EU-Harmonisierung im Restrukturierungsrecht mit „Special Pre-Packs“
Restrukturierungsrecht mit „Special Pre-Packs“
Es sind nun bereits weit über zwei Jahre vergangen, seitdem die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf zur weiteren Harmonisierung des Insolvenzrechts veröffentlicht hat. Dieser Entwurf ist Teil eines Maßnahmenpakets der Kommission zur weiteren Stärkung der Kapitalmarktunion. Die Kommission sieht in national fragmentierten Insolvenzrechten eines der größten Hindernisse des freien Kapitalverkehrs und der Integration der Kapitalmärkte innerhalb der Europäischen Union.
Der Richtlinienentwurf ist jedoch weiterhin nicht final, geschweige denn umgesetzt. Seit der ersten Veröffentlichung wurde der Entwurf innerhalb der Organe der EU eingehend diskutiert und von extern kommentiert – insbesondere von nationalen Regierungen sowie aus der Wissenschaft und Praxis, und zwar durchaus auch kritisch. Im November vergangenen Jahres veröffentlichte die Kommission schließlich einen ersten Kompromissvorschlag, in dem sie sich auf einige ausgewählte Themen beschränkte. Aus deutscher Sicht beinhalten diese Kompromisse wenig wirklich Neues. Einzig das Aufspüren von Vermögenswerten (sogenanntes asset tracing) durch Abfragen von Kontendaten in einem Insolvenzverfahren müsste spürbar erleichtert werden.
Näher an deutschen Maßstäben
Für einige andere Mitgliedstaaten würde eine Umsetzung in der Sache jedoch bedeuten, dass sie sich bei den Regelungen zur Insolvenzanfechtung und den Geschäftsleiterpflichten in der Krise näher an den deutschen Maßstäben orientieren müssten. Statt einer Insolvenzantragspflicht mit harter Frist nach deutschem Vorbild, soll nun jedoch auch möglich sein, dass die Geschäftsleiter die eingetretene Insolvenz lediglich öffentlich bekanntgeben oder die Antragsstellung durch bestimmte Sanierungsbemühungen vermeiden können.
Ein Kernpunkt der Reformvorschläge steht aber jetzt noch zur Debatte – und dieser Vorschlag hat es in sich. Falls er in seiner ursprünglichen Form umgesetzt würde, müsste dies auch im deutschen Insolvenzrecht zu erheblichen Neuerungen führen.
Es geht um die europaweite Einführung von sogenannten Pre-Packs – Unternehmensverkäufe in der Insolvenz, die noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgestimmt („pre-packed“) und dann besonders schnell umgesetzt werden können. In England – oft Vorreiter in Insolvenz- und Restrukturierungsthemen – sind derartige Pre-Packs schon seit geraumer Zeit ein fester Teil der Insolvenzpraxis.
Effizienzvorteile der Pre-Packs
Für Pre-Packs sprechen Effizienzvorteile, die zu höheren Befriedigungsquoten für die Gläubiger führen können. Beispielsweise werden die Kosten gespart, die unmittelbar und mittelbar (beispielsweise aufgrund des negativen Stigmas einer Insolvenz) mit einem längeren Insolvenzverfahren einhergehen. Die englischen Pre-Packs werden jedoch seit jeher auch kritisch beobachtet. In der Anfangsphase in England war ein Kernvorwurf, dass Unternehmen über ein Pre-Pack (zu) leicht entschuldet und dann von Insidern, etwa einzelnen Gesellschaftern, aus der Insolvenz zurückgekauft werden können. In Anlehnung an „Phönix aus der Asche“ bezeichneten Kritiker derartige Transaktionen auch gerne als „phoenixing“.
Die Pre-Packs nach dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission sind aus englischer Sicht gleichwohl sicherlich „special“. Denn das europäische Konzept der Pre-Packs weist einige Elemente auf, die das englische Recht in dieser Form nicht kennt und in England somit in dieser Form nicht möglich wären. Neuland betritt die EU-Kommission insbesondere mit dem Vorschlag, dass im Rahmen eines „pre-packaged“ Verkauf des Unternehmens (als asset der insolventen Gesellschaft) bis auf wenige Ausnahmen auch die laufenden betriebsnotwendigen Verträge kraft Gesetzes (automatisch) auf die Erwerberin übergehen soll. Anderseits soll das zuständige Gericht Verträge kündigen können, sofern dies im Interesse des Unternehmens ist. Mit dieser Mischung aus erzwungener Vertragsübernahme und „cherry picking“ würden Sanierungen von Unternehmen erheblich erleichtert. Beispielsweise könnten dann günstige Lieferverträge einfach fortlaufen, während ungünstige Mietverträge beendet werden. Lizenzen und andere IP-Rechte sollen sogar ausnahmslos übergehen. Nach heutigem Recht ist eine solche Übertragung der Vertragsbeziehungen bei einem asset deal in der Insolvenz in der Regel nur mit Zustimmung der jeweiligen Vertragspartei möglich.
Der europäische Entwurf zum Umgang mit den Verträgen ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Naheliegender wäre es wohl gewesen, entsprechende Regelungen in einem Verfahren vorzusehen, bei dem nicht lediglich das Unternehmen als asset übertragen werden, sondern die Gesellschaft (als Vertragspartnerin) selbst saniert werden soll (sogenannte Rechtsträgersanierung).
Vorgaben für solche Verfahren hat der europäische Gesetzgeber bereits 2019 mit der Restrukturierungsrichtlinie gemacht, die in Deutschland zu dem StaRUG-Verfahren führte. Damals war es den Mitgliedstaaten noch ausdrücklich offengelassen worden, ob sie Sonderregelungen für laufende (betriebsnotwendige) Verträge einführen. Der deutsche Gesetzgeber hat davon abgesehen, nachdem es hierzulande viel Kritik an entsprechenden Vorschlägen gegeben hatte. In den Niederlanden – einem bedeutenden europäischen Restrukturierungsstandort – ist dies beispielsweise anders. Für eine Regelung im Rahmen des StaRUG und seiner europäischen Pendants ließe sich beispielsweise anbringen, dass dabei die Bestandsfähigkeit des sanierten Unternehmens geprüft würde.
Vertragsübernahme problematisch
Denn insbesondere dann, wenn nicht geprüft wird, ob der aufgezwungene neue Schuldner zukünftig leistungsfähig sein wird, stellt sich das Konzept der Vertragsübernahme für die Vertragspartner als erheblichen Eingriff dar. So wurde in England bemängelt, dass es gerade in Fällen des „phoenixing“ relativ oft zeitnah zu Folgeinsolvenzen kommt. Den Vertragspartnern würde mit dem Kommissionsvorschlag faktisch die Möglichkeit genommen, ihre Konditionen den Umständen anzupassen. Das wäre gewissermaßen der Preis dafür, dass das Konzept wohl für Unternehmen in der Krise und deren Erwerber interessant ist und Sanierungen erleichtern könnte.
Zudem lässt der Kommissionsentwurf zur Vertragsübernahme noch einige Fragen offen. Beispielsweise erscheint unklar, ob diese Regelung auch für nicht gezogene bzw. revolvierende Betriebsmittelkreditlinien oder andere notwendige Finanzierungen gelten soll.
Der Berichterstatter des Rechtsausschusses des EU-Parlaments, Emil Radev, scheint von der Geltung auszugehen. Er hat kürzlich sogar vorgeschlagen, dass bei derartigen Verträgen die gerichtliche Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen sein soll. Inwieweit durch die Richtlinie etwaige Kündigungsrechte in den Verträgen ausgehebelt werden sollen, ist ein weiterer unklarer Punkt. Falls vertragliche Kündigungsrechte fortbestehen, dürften die Regelungen zur Vertragsübernahme in der Praxis außer bei kleineren, weniger professionell aufgestellten Vertragspartnern nicht selten ins Leere laufen. Denn die gut beratenen Vertragspartner dürften in den einschlägigen Situationen regelmäßig durch vertragliche Kündigungsrechte geschützt sein.
Diskussionsbedarf erkannt
Auch darüber hinaus bietet der Kommissionsentwurf wohl noch Optimierungspotential. Dementsprechend wurde auch seitens der Europäischen Union am 7. März dieses Jahres mitgeteilt, dass Pre-Packs im Allgemeinen und das Konzept der Vertragsübernahme im Besonderen noch einmal eingehend diskutiert werden. Es würde sich anbieten, dass dabei trotz Brexit auch die Erkenntnisse aus der englischen Rechtspraxis berücksichtigt werden. Nicht zuletzt hat die englische Regierung umfangreiche (empirische) Studien zu Pre-Packs erstellen lassen.
Allerdings erscheint fraglich, wie viel Zeit noch dafür verbleibt. Denn die zuständigen Stellen der EU hatten zuletzt als Ziel ausgerufen, noch vor dem Ende der polnischen Ratspräsidentschaft am 30. Juni 2025 einen überarbeiteten Richtlinienentwurf vorzulegen.
*) Jasper Bothe ist Rechtsanwalt im Restrukturierungsteam von Hengeler Mueller