Konfliktlösung

Mediation kann Streit in der Lieferkette beilegen

Bei Streitigkeiten zwischen Lieferanten und Abnehmern sind schnelle Lösungen gesucht, damit Vertragsverpflichtungen erfüllt werden können. Die Mediation bietet sich an, hat aber Stärken und Schwächen.

Mediation kann Streit in der Lieferkette beilegen

Von Patrick Schroeder *)

Für viele produzierende Unternehmen war die Lieferkette das wichtigste rechtliche Thema im Jahr 2022. Die regulatorischen, geopolitischen und makroökonomischen Aussichten lassen vermuten, dass dies auch im Jahr 2023 anhalten wird.

Störungen in der Lieferkette sorgen für Streit. Die aktuelle Häufung von Störungsursachen haben einen bemerkenswerten Trend bei der Beilegung von Streitigkeiten ausgelöst. Betroffene Unternehmen suchen vermehrt nicht – wie in den Verträgen vereinbart – Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten oder Schiedsgerichten. Stattdessen vereinbaren sie nach Entstehen der konkreten Streitigkeit, in einem Mediationsverfahren eine einvernehmliche Lösung finden zu wollen. Hierfür sind vor allem zwei Gründe ausschlaggebend.

Erstens haben die Unternehmen vielfach keine Zeit, um die Beilegung eines Rechtsstreits durch staatliche Gerichte oder Schiedsgerichte abzuwarten. Diese Verfahren dauern mehrere Monate oder gar Jahre bis zum rechtskräftigen Abschluss. Auch einstweiliger Rechtsschutz ist häufig nicht verfügbar, insbesondere wenn Vertragserfüllung begehrt wird (sogenannte Leistungsverfügung). Ein Beispiel: Zulieferer und Abnehmer streiten um die Fortsetzung eines Liefervertrages, zum Beispiel nach Ausübung einer Verlängerungsoption oder nach einer Kündigung. Stellt hier der Zulieferer die Lieferungen ein, können die Produkte nicht einfach nachgeliefert werden, wenn nach zwei Jahren ein (Schieds-)Ge­richt urteilt, dass der Vertrag wirksam war und eine Lieferpflicht bestand. Dem „Aufholen“ von Lieferungen stehen fehlende Produktionskapazitäten entlang der gesamten Lieferkette und dementsprechend fehlende Nachfrage entgegen.

Zweitens drohen bei einem Lieferstopp dem Abnehmer Schadenersatzansprüche, da er seine Lieferpflichten gegenüber den eigenen Kunden nicht erfüllen kann. Er kann zwar regelmäßig Schadenersatzverpflichtungen unbegrenzt und in voller Höhe weiterreichen, soweit sie von einem unberechtigten Lieferstopp verursacht worden sind. Denn die grundlose Einstellung der Belieferung stellt eine Vertragsverletzung in Form der Vertragsaufsage dar. Der Abnehmer trägt aber das Regressrisiko, muss also gegebenenfalls zunächst in Vorleistung treten und kann erst nach erfolgreichem Abschluss des Regressprozesses die geleisteten Zahlungen zurückverlangen. Aufgrund dieser Abfolge trägt der Abnehmer auch bei erfolgreichem Ausgang des Regressrisiko das Insolvenzrisiko seines Zulieferers. Für beide Seiten besteht daher die konkrete Gefahr, durch eine solche Streitigkeit, wenn sie die Lieferfähigkeit des Abnehmers an seine eigenen Kunden beeinträchtigt, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten.

Gütliche Einigung

Mediation kann einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation bieten. Seit 2020 zeigt sich im Markt eine starke Zunahme von Ad-hoc-Mediationsverfahren zwischen Unternehmen unterschiedlicher Größe, vom kleinen Mittelständler bis hin zum Dax-Unternehmen. Häufig gelingt es den Parteien, mit Unterstützung einer Mediatorin oder eines Mediators die verfahrene und nicht selten emotional aufgeladene Konfliktsituation aufzulösen und gemeinsam eine tragfähige Grundlage für die kurz- bis mittelfristige Zusammenarbeit zu finden.

Selbst wenn eine langfristige Fortsetzung der Vertragsbeziehung zumindest anfangs ausgeschlossen erscheint, vermeidet eine solche gütliche Einigung jedenfalls die risikoreiche Schwebezeit während eines laufenden Rechtsstreits, einschließlich der mit dem Rechtsstreit verbundenen tatsächlichen Kosten und der Opportunitätskosten.

Ein erfolgreiches Mediationsverfahren verlangt von beiden Seiten, dass sie von ihren jeweils vertretenen Positionen abrücken. Die Mediation ermöglicht eine wirtschaftliche und interessengerechte Lösung jenseits der rein rechtlichen Betrachtungsweise. Hierin liegt ihre Stärke, ebenso wie ihre Schwäche.

Einerseits weicht eine Nachverhandlung des Vertragswerkes – und das geschieht in der Mediation, selbst wenn nur Unklarheiten im Vertragswerk beseitigt werden – die Vertragsbindung zwischen den Parteien auf. Gegebenenfalls schaffen die Parteien einen Präzedenzfall für Nachforderungsbegehren bei sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Andererseits sind vertragliche Rechtspositionen kein Wert an sich. Wenn sie nicht rechtzeitig durchgesetzt werden oder das aktuelle wirtschaftliche Ziel erreichen können, sind sie wertlos. Dann erscheint eine Neuordnung der vertraglichen Rechte und Pflichten vorzugswürdig und jeder anderen Streitbeilegungsmethode überlegen – das gilt auch jenseits der konkreten Probleme in der Lieferkette in jedem anderen Bereich der Rechtsbeziehungen eines Unternehmens.

Unter diesen Umständen sollte der Blick nicht auf die Risiken für die Vertragsbindung gerichtet sein, sondern auf die Chancen, die sich aus der Neuordnung der Rechtsbeziehungen ergeben. Je klarer und verbindlicher die Rechte und Pflichten im Vertragsverhältnis ausgestaltet sind, desto eher sind streitige Verfahren – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – eine Alternative.

*) Prof. Dr. Patrick Schroeder ist Partner für Konfliktlösung, Prozesse und Schiedsverfahren von Freshfields Bruckhaus Deringer.

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