Gastbeitrag

Neues zur Europäischen Aktiengesellschaft: Bundesarbeitsgericht stärkt die Vorrats-SE

Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) ist nicht nur für große Unternehmen, sondern gerade auch für den Mittelstand eine sehr interessante Rechtsformalternative. Bei der Gründung einer SE muss ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchgeführt werden, was in der Praxis mit erheblichem Aufwand verbunden ist.

Neues zur Europäischen Aktiengesellschaft: Bundesarbeitsgericht stärkt die Vorrats-SE

Neues zur Europäischen Aktiengesellschaft: Bundesarbeitsgericht stärkt die Vorrats-SE

Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) ist nicht nur bei Großkonzernen, sondern gerade auch bei Familiengesellschaften und im Mittelstand sehr beliebt.

Bei der Etablierung einer SE greift die Praxis nicht selten auf die sogenannte Vorrats-SE zurück, die sich dadurch auszeichnet, dass der rechtliche Gründungsvorgang abgeschlossen ist, die SE aber noch keinen Geschäftsbetrieb aufgenommen hat. Wie die Beteiligung der Arbeitnehmer in diesem Fall stattfindet, sorgte bisher für viele Zweifelsfragen. Zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bringen erfreuliche Klarheit. Die zentrale Frage war dabei, ob bei Eintritt einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE in eine SE & Co. KG über die Beteiligung von Arbeitnehmern verhandelt werden muss.

*) Dr. Matthias Heusel ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg im Büro Stuttgart.

Gründe für die Wahl der SE

Die Vorzüge der SE sind rasch benannt: Neben dem internationalen Image ermöglicht die SE individuelle Gestaltungen der Corporate Governance, was sie auch für Nachfolgelösungen interessant macht. Ferner wird die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nicht gesetzlich festgelegt, sondern vereinbart.

Dabei kann ein bestehendes Mitbestimmungsniveau dauerhaft erhalten werden, mit der Folge, dass etwa eine im Gründungszeitpunkt nicht mitbestimmte SE dauerhaft nicht der unternehmerischen Mitbestimmung unterliegt. Hinzu kommt, dass die SE sich auch als Komplementärin einer KG eignet, sodass sich flexible personengesellschaftsrechtliche Strukturen mit kapitalgesellschaftsrechtlicher Haftungsabschirmung kombinieren lassen.

Eine Kernvoraussetzung für die Gründung einer SE ist die Durchführung eines Verfahrens über die Beteiligung der Arbeitnehmer. Erst wenn dieses Verfahren durchlaufen wurde, kann die SE in das Handelsregister eingetragen werden. Hierfür errichten die Arbeitnehmer nach einem gesetzlich geregelten Verfahren ein sogenanntes besonderes Verhandlungsgremium (BVG), welches den Umfang der Mitbestimmung mit der Unternehmensleitung verhandelt. Da eine auf Vorrat gegründete SE keine Arbeitnehmer beschäftigt, kann das Beteiligungsverfahren naturgemäß nicht durchgeführt werden. Gleichwohl ist anerkannt, dass die SE in diesem Sonderfall in das Handelsregister eingetragen und die Gründung abgeschlossen werden kann.

Bisherige Auffassung

Allerdings forderte die bisher herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass das Beteiligungsverfahren im Zuge der wirtschaftlichen Aktivierung nachgeholt wird. Die Einzelheiten waren weitgehend ungeklärt und sorgten in der Praxis für Unsicherheit. Das galt umso mehr, wenn die SE nicht selbst operativ tätig wurde und Arbeitnehmer beschäftigte, sondern als Komplementärin einer SE & Co. KG eingesetzt wurde.

Kehrtwende durch EuGH und BAG

Die Entscheidungen des BAG (jew. v. 26.11.2024 – 1 ABR 37/20, 1 ABR 3/23 und 1 ABR 6/23) vollziehen eine Kehrwende. Den Ausgangspunkt bildeten Umstrukturierungen, bei denen – mit unterschiedlichen strukturellen Wegen – unter Einsatz einer Vorrats-SE eine SE & Co. KG etabliert wurde, die nicht der unternehmerischen Mitbestimmung unterlag. Da die Unternehmen mehr als 500 bzw. 2.000 Arbeitnehmer beschäftigten, vertrat der Betriebsrat bzw. der Konzernbetriebsrat die Ansicht, dass den Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten würden.

Entgegen der bisher herrschenden Meinung beschloss das BAG, dass kein Beteiligungsverfahren nachzuholen war. Es fehle an einer Rechtsgrundlage. Das SE-Beteiligungsgesetz regle keine Verpflichtung zur Verfahrensnachholung und diese sei auch europarechtlich nicht geboten.

Hierzu bezieht sich das BAG auf die vorangegangene Olympus-Entscheidung, in welcher der Europäische Gerichtshof (EuGH) begründet hatte, dass die unionsrechtlichen Vorgaben an das Gründungsstadium anknüpfen; nach der Gründung sei – von wenigen Ausnahmen abgesehen – kein Beteiligungsverfahren durchzuführen. Allenfalls aus einem rechtsmissbräuchlichen Einsatz der SE könne eine Nachholungspflicht folgen, wenn das nationale Recht in diese Richtung zu verstehen sei. In dieser Hinsicht legt das BAG dar, das das Rechtsmissbrauchsverbot des § 43 SEBG keinen Anspruch auf Verfahrensnachholung bereithalte.

Praxisfolgen

Die Entscheidungen des BAG sind richtig und zu begrüßen. Für die Praxis bringen sie erfreuliche Klarheit: Sie stärken die SE & Co. KG und erhöhen die Rechtssicherheit bei ihrer Implementierung. Insbesondere die arbeitnehmerlose Vorrats-SE wird in ihrer Bedeutung aufgewertet. Von dieser Entwicklung profitiert jedes Unternehmen, das eine moderne, flexible Gesellschaftsstruktur umsetzen möchte. Da der Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode die unternehmerische Mitbestimmung (im Gegensatz zum Programm der Ampel-Regierung) nicht aufgreift, dürfte ein Reformvorstoß in diesem Bereich nicht zu erwarten sein.

)*Dr. Matthias Heusel ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg im Büro Stuttgart.

Individuelle Gestaltungen der Corporate Governance möglich

Von Matthias Heusel *)