GastbeitragPrivate Credit

Same Risks, Same Rules – Ordnungsprinzip oder Illusion?

Das Prinzip von „Same Risks, Same Rules“ fordert gleiche Regeln für gleiche Risiken, unabhängig von der Rechtsform. Private Credit dürfte zum Lackmustest für den Ansatz werden.

Same Risks, Same Rules – Ordnungsprinzip oder Illusion?

Same Risks, Same Rules: Lackmustest Private Credit

Neue Dynamiken stellen Ansatz auf die Probe – Strukturen unterscheiden sich – Flexibles Ordnungsprinzip gefragt

Von Mathias Hanten *)

*) Dr. Mathias Hanten ist Partner bei Deloitte Legal in Frankfurt. Er leitet die deutsche Service Line Banking & Finance.

„Same Risks, Same Rules“ – im Folgenden SR² – klingt so eingängig, dass man es fast für eine Selbstverständlichkeit halten könnte. Gleiche Risiken, gleiche Regeln: Das steht für Gerechtigkeit, Rationalität und Klarheit. Doch trägt diese Formel wirklich im Aufsichtsrecht?

Idee mit Geschichte

Die Idee, Risiken unabhängig von der Rechtsform zu erfassen und zu beaufsichtigen, ist nicht neu. Die Finanzkrise 2007/08 hat eindrücklich gezeigt, dass systemische Gefahren nicht dort entstehen, wo „Bank“ auf dem Schild steht, sondern im „Bankenschatten“ – etwa in Zweckgesellschaften, Verbriefungsvehikeln oder Fonds. Schattenbanken wurden zum Menetekel einer Finanzwelt, in der Risiken ausgelagert wurden und Verantwortung gleich mit.

Die Moral: Nicht das Etikett sollte zählen, sondern die Funktion. SR² versprach, diese Lücke zu schließen.

Heute, 15 Jahre später, erleben wir neue Dynamiken – etwa im Private Credit, also der Kreditvergabe außerhalb des Bankensystems. Versicherungen, Fonds, Family Offices oder Plattformen vergeben Darlehen ohne Bankenlizenz, aber mit wachsender Systemrelevanz. Das Marktvolumen hat sich in Europa seit 2010 verfünffacht, weltweit liegt es bei über zwei Billionen US-Dollar – mit zweistelligen Wachstumsraten. Diese Risiken wachsen außerhalb der Bankbilanzen und bleiben damit weitgehend unsichtbar.

Könnte SR² hier Abhilfe schaffen? Wenn nicht die Rechtsform, sondern die ökonomische Funktion zählen würde, müsste gelten: Wer Kredite vergibt, sollte auch wie ein Kreditgeber beaufsichtigt werden – egal ob Bank, Fonds oder Versicherer. Klingt schlüssig – aber funktioniert das?

Private Credit

Private Credit ist kein Kind der Gegenwart, sondern ein Wiederkehrer: Schon in Babylon, Rom oder Florenz florierte Kreditvergabe jenseits zentraler Aufsicht – stets mit systemischer Wirkung. Ökonomisch betrachtet erleben wir also eine Neuauflage alter Strukturen, nur globaler, digitaler und komplexer.

Apologeten preisen die Agilität des Sektors mit einer leisen Warnung: „(…) Wo Banken mit sperrigen Prozessen kämpfen, reagieren Private-Credit-Anbieter schneller und effizienter. (…) Könnte hier eine Blase lauern? (…)“

Jüngere Fälle – Bridging Finance (Kanada), Greensill Capital (UK) und Archegos Capital (USA) – zeigen, wohin mangelnde Transparenz führt: Governanceversagen, Bewertungsillusionen und fehlende Offenlegung mit systemischen Folgen. Fonds, Versicherer, Zweckgesellschaften und Family Offices unterliegen unterschiedlichen, teils gar keinen Regeln – ein regulatorischer Flickenteppich, auf dem Risiken lauern, ohne sichtbar zu werden.

Hier zeigt sich die Ambivalenz von SR²: Gleiche Risiken sollen gleichbehandelt werden – aber sind sie wirklich gleich, wenn sie aus völlig unterschiedlichen Strukturen erwachsen?

Gerechtigkeit oder Gleichmacherei?

Das Versprechen von SR² wirkt normativ stark, ist aber konzeptionell schwach. „Gerechtigkeit“ reduziert sich auf eine einzige, unklare Dimension: Risiko. Unterschiede in Haftungsstruktur, Funktion oder Systemrelevanz werden eingeebnet. Damit entsteht ein mechanisches Gleichheitsraster – aufsichtlich bequem, ökonomisch aber kurzsichtig. SR² steht so für einen funktionalistischen Minimalismus: Formal Gleiches würde gleichbehandelt, auch wenn die Materie differiert. Eine intelligente Aufsicht müsste Unterschiede sichtbar machen – nicht glätten.

Internationale Regulierung

Ein Blick über die Grenzen zeigt ein heterogenes Bild:

  • Europa setzt auf Koordination, Transparenz und makroprudenzielle Datenerfassung. Doch die Aufsicht von EZB und EBA bleibt auf Banken zugeschnitten. Die Debatte um AIFMD II illustriert, wie mühsam sich die EU einem funktionalen Verständnis annähert.
  • Großbritannien agiert empirischer. Die Bank of England hat jüngst einen Stresstest für Nichtbanken durchgeführt – pragmatisch und risikoorientiert. Entscheidend ist dort die Stabilität, nicht das Etikett.
  • Die USA gingen härter vor: Der Financial Stability Oversight Council stuft Private Credit als potenziell systemgefährdend ein. Gefordert werden Meldepflichten, Stresstests und strengere Offenlegung. Doch politische Unsicherheit macht diesen Kurs fragil.
  • Asien-Pazifik erlebt dynamisches Wachstum bei schwacher Regulierung. Erste Initiativen in Hongkong, Australien oder China setzen auf Transparenz, doch eine sektorübergreifende Logik fehlt. Die Region droht zum Testfeld unregulierter Kreditstrukturen zu werden.

Allen Ansätzen gemeinsam ist: Strukturen unterscheiden sich, Risiken nicht unbedingt. Doch die politischen Antworten variieren erheblich.

Mit Leben füllen

Private Credit könnte der Lackmustest für SR² werden. Hier entscheidet sich, ob das Prinzip mit Leben gefüllt oder zur Leerformel wird.

Die Erfahrungen mit den Schattenbanken der Vergangenheit mahnen: Wer Risiken erst ex post erkennt, zahlt am Ende einen hohen Preis.

Nötig wären klare Bewertungsstandards, wirksame Interessenkonfliktregeln und eine Aufsicht, die ökonomische Realitäten abbildet – nicht formale Kategorien. Die Rendite darf nicht aus Intransparenz stammen, sondern aus echter Kreditprüfung und Governancedisziplin.

Die Parallelen zur NPL-Krise sind unübersehbar: rasantes Kreditwachstum, mehrstufige Hebelung, fehlende Transparenz und Bewertungspraktiken, die Risiken erst sichtbar machen, wenn es zu spät ist. Die Frage ist nicht, ob Private Credit systemisch relevant ist, sondern wann.

Abzuwarten, bis der Markt eine Lösung findet, hieße, die nächste Krise einzupreisen.

„Zeitenwende“ in der Regulierung

SR² bleibt bislang programmatisch. Es rückt Kreditfonds näher an Banken heran, lässt aber viele andere Akteure außen vor. Für einzelne Finanzstandorte mag das attraktiv sein – für die Stabilität ist es riskant. Ein halbes Aufsichtsregime schützt, wenn überhaupt, allenfalls halb.

Hinzu kommt: Die internationale Koordination stockt. Europa tastet sich voran, die USA sind politisch gespalten, Asien setzt auf Wachstum. Ohne globale Standards droht eine Fragmentierung, die Risiken nicht neutralisiert, sondern verschiebt.

Mehr als ein Slogan

SR² sollte nicht zur bequemen Formel werden. Richtig verstanden, kann es Arbitrage und Wettbewerbsverzerrungen begrenzen – darf aber nicht die Illusion nähren, komplexe Realitäten ließen sich vereinheitlichen. Private Credit zeigt: Gleiche Risiken sind selten wirklich gleich.

Drei Thesen:

  1. SR² ist als Prüfstein nützlich, aber nicht als Dogma. Aufsicht muss Unterschiede erkennen, nicht ausblenden.
  2. Private Credit verlangt eine makroprudenzielle Perspektive. Es genügt nicht, Fonds- und Bankenaufsicht nebeneinanderzustellen – es braucht eine systemweite Sicht.
  3. Ohne internationale Koordination bleibt SR² wirkungslos. Risiken sind global, Regulierung ist es bisher nicht.

Die Zukunft der Finanzaufsicht wird sich daran entscheiden, ob SR² als starre Formel oder als flexibles Ordnungsprinzip verstanden wird. Wir brauchen Regeln, die dort greifen, wo Risiken entstehen – auch wenn sie in neuen Gewändern auftreten.

Private Credit wird zeigen, ob wir rechtzeitig gelernt haben – oder erneut erst, wenn die Krise uns belehrt.

*) Dr. Mathias Hanten ist Partner bei Deloitte Legal in Frankfurt. Er leitet die deutsche Service Line Banking & Finance.

*) Dr. Mathias Hanten ist Partner bei Deloitte Legal in Frankfurt. Er leitet die deutsche Service Line Banking & Finance.