Lieferkettengesetz

„Sorgfalts­pflichten erstrecken sich nicht auf End­kunden“

Die Finanzbranche tut sich schwer mit dem neuen Lieferkettengesetz. Aus ihrer Sicht hat sich der Gesetzgeber an Industrieunternehmen orientiert. CMS-Anwalt Christoph Schröder analysiert die Sachlage.

„Sorgfalts­pflichten erstrecken sich nicht auf End­kunden“

Herr Schröder, i

n der Finanzbranche sorgt das Lieferkettengesetz für Unruhe. In welcher Weise sind Banken und Finanzdienstleister von den neuen Vorgaben betroffen?

Sie sind grundsätzlich in gleicher Weise betroffen wie andere Unternehmen. Das Lieferkettengesetz enthält keine Sonderregeln für Banken und Finanzdienstleister. Das gilt sowohl für den Anwendungsbereich als auch für die Frage, gegenüber welchen Zulieferern und Tochtergesellschaften Sorgfaltspflichten bestehen. Allerdings können sich Besonderheiten ergeben. Beispielsweise ist es denkbar, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften allein aus aufsichtsrechtlichen Gründen nicht zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft gehören. Das Gesetz wirkt sich aber auch indirekt auf Banken und Finanzdienstleister aus, weil sie Teil der Lieferkette ihrer Kunden sind. Immer häufiger werden Kunden deshalb von den Banken verlangen, sich auf vertraglichem Wege zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten zu verpflichten.

Welche Punkte stoßen auf Kritik?

Im Wesentlichen geht es darum, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung der Bestimmungen in erster Linie die Unternehmen der Realwirtschaft vor Augen hatte. Deshalb ist es an manchen Stellen schwierig, die Vorschriften auf die Finanzbranche anzuwenden.

Inwieweit greifen die Sorgfaltspflichten für das Kerngeschäft wie Einlagen, Kredite, Beratung, Emission von Wertpapieren oder Derivate?

Im Ausgangspunkt gilt das Gesetz für sämtliche geschäftliche Tätigkeiten eines Unternehmens. Wie stark ein bestimmtes Geschäft von den Sorgfaltspflichten betroffen ist, hängt von der Komplexität der Lieferkette ab. Es kommt also darauf an, in welchem Umfang Zulieferer und – im Falle der Obergesellschaft – Tochtergesellschaften beteiligt sind. Beispiel Kreditgeschäft: Vergibt eine Bank ein Darlehen an ein Unternehmen, dann ist das Unternehmen Endkunde und daher nicht Bestandteil der Lieferkette. Die Sorgfaltspflichten erstrecken sich nicht auf den Endkunden. Wenn im Rahmen der Kreditvergabe ein Vertriebsmittler im Auftrag der Bank tätig wird, die Bank sich von einem Rechtsanwalt beraten lässt oder sich bei einem anderen Kreditinstitut refinanziert, dann sind der Vertriebsmittler, der Rechtsanwalt und das an­dere Kreditinstitut sogenannte Zu­lieferer. Ihnen gegenüber hat die Bank die Sorgfaltspflichten zu erfüllen.

Fallen alle Finanzinstitute unter das Gesetz?

Das Gesetz gilt, kurz gesagt, für alle in Deutschland ansässigen Unternehmen, die mindestens 3000 Ar­beitnehmer/Arbeitnehmerinnen in Deutschland beschäftigen. Diese Schwelle sinkt ab 1. Januar 2024 auf 1000. Öffentlich-rechtliche Kreditinstitute fallen darunter, soweit sie unternehmerisch am Markt tätig sind.

Welche Lösungen schlägt die Finanzbranche vor?

Für ein in Kraft getretenes Gesetz gibt es bis zu einer etwaigen Änderung nur begrenzte Lösungsmöglichkeiten: Man muss das Gesetz auslegen und sich dort, wo es mehrdeutig ist, für eine Option entscheiden und entsprechend handeln. Die Finanzinstitute drängen nun das Bafa, zu den für die Branche unklaren Regelungen Stellung zu nehmen. Das Ziel ist Risikominimierung: Äußert sich die Behörde öffentlich zu einer Rechtsfrage und hält sich ein Unternehmen an diese Äußerung, so kommt ein Bußgeld nicht in Frage. Denn das Unternehmen handelt nicht fahrlässig, weil es sich auf die Rechtsauffassung der zuständigen Behörde verlassen darf.

Mit welchen Auswirkungen ist zu rechnen, wenn die EU Banken und Finanzdienstleister als Hochrisikosektor einstuft?

Im Rahmen der geplanten EU-Lieferketten-Richtlinie führt dies zu einer Ausweitung des Anwendungsbereichs. Das heißt, auch kleinere Banken und Finanzdienstleister müssten die Sorgfaltspflichten beachten: Die Schwellenwerte würden von 500 auf 250 Beschäftigte und beim Umsatz von 150 Mill. auf 40 Mill. Euro sinken. Allerdings stehen derzeit auch die Schwellenwerte selbst noch in der Diskussion.

Dr. Christoph Schröder ist Rechtsanwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.

Die Fragen stellte Helmut Kipp.