Wachstum oder Warteschleife
Wachstum oder Warteschleife
Wachstum oder Warteschleife
Wie investitionsfreundliche Energiewende-Politik die Wirtschaft ankurbeln könnte – Verlässliche Rahmenbedingungen benötigt
Von Katrin Andrä und Tibor Fedke *)
Die anfängliche Euphorie über das Sondervermögen Infrastruktur war im Herbst verflogen, bei den Investoren in Energieinfrastruktur machte sich Ernüchterung breit. Jetzt zeichnet sich eine neue Dynamik ab. Schafft Deutschland die Trendwende?
Als die Regierung im Mai vereidigt wurde, fegte zunächst ein frischer Wind durch Deutschland. Auf den stürmischen Start mit den Sondervermögen Infrastruktur und Verteidigung noch vor Regierungsantritt folgten einige Anlaufschwierigkeiten in der Koalition, aber die Wirtschaft war insgesamt hoffnungsfroh und die Stimmung positiv. Die Energie- und Infrastrukturbranche machte mit milliardenschweren Transaktionen Schlagzeilen: TenneT, Uniper Fernwärme und BayWa r.e. zogen frisches Kapital an; internationale Akteure wie Giga Storage sicherten sich einen 350-MW-Batterie-Giganten, Netzbetreiber hoben ihre Ausbaupläne in den zweistelligen Milliardenbereich.
Abkühlung im Sommer
Doch schon im Hochsommer wich die Aufbruchseuphorie einer spürbaren Ernüchterung. In der deutschen Energie-Infrastrukturszene machte sich ein eigentümlicher Schwebezustand breit: Ein prominentes Warnsignal war die Offshore-Windauktion im August, die entgegen der Rekordnachfrage in den Vorjahren ohne ein einziges Gebot endete – ein dramatischer Stimmungsumschwung in einem Segment, das Investoren bislang als ‚safe harbour‘ für grüne Infrastruktur betrachteten. Gleichzeitig blieb die vorbereitete Ausschreibung von H2-ready-Gaskraftwerken in der Warteschleife. Bis heute existiert weder ein rechtskräftiges Vergütungsdesign noch eine abschließende beihilferechtliche Genehmigung.
Über all dem schwebte ein „Execution Gap“-Risiko: Das 500 Mrd. Euro schwere Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ steht bereit, doch mangels Vergabekriterien und priorisierter Projektlisten blieben die Mittel über viele Monate lediglich ein politisches Versprechen. Die Folge war eine immer stärker werdende „wait-and-see“-Haltung bei Investoren.
Mehr als nur ein Versprechen
Seit wenigen Wochen zeichnet sich eine neue Dynamik ab: Der Haushaltsplan 2025 ist beschlossen, 37,2 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen sind veranschlagt, flankiert von Verpflichtungsermächtigungen über 87,5 Mrd. Euro bis 2045. Mittel sollen kurzfristig fließen – u. a. für Brücken- und Tunnelsanierungen, das europäische Zugsicherungssystem ERTMS sowie die Modernisierung der Schienenwege. Für die Energie- und LNG-Infrastruktur sind 830 Mill. Euro an die Deutsche Energy Terminal GmbH (DET) veranschlagt, um zusätzliche FSRU-Kapazitäten (schwimmende Flüssiggasterminals) aufzubauen. Der Haushalt 2026 wurde nun ebenfalls im Bundestag und Bundesrat beschlossen: Die Investitionen des Bundes – inklusive des Klima- und Transformationsfonds und neuem Sondervermögen – belaufen sich 2026 auf ca. 128 Mrd. Euro.
Länder und Bund haben sich zudem auf effiziente, digitale Förderprozesse verständigt; das LuKIFG (Gesetz zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen von Ländern und Kommunen) verpflichtet zu Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und verschlankt Berichtspflichten. Zusätzlich soll das Vergabebeschleunigungsgesetz im Dezember verabschiedet werden und sowohl Auftraggebern als auch Bietern mehr Flexibilität bei Losbildung, Nebenangeboten und Unterlagennachforderungen geben. Die Normenkulisse steht: Eine Verwaltungsvereinbarung zur Durchführung des Länder- und Kommunalfinanzierungsgesetzes ist unterzeichnet, Berichtspflichten, Förderverfahren und Fristen sind definiert. Damit sind auch einige der früher beklagten „Bruchstellen“ durch das föderale System adressiert.
Auch für verschiedene Assetklassen wurde der regulatorische Rahmen stabilisiert: Die rechtlichen Unsicherheiten um sogenannte Kundenanlagen wurden entschärft – ein vorläufiger Befreiungsschlag für Quartiers-, Speicher- und Industrienetze. Großbatterien im Außenbereich bekommen künftig einen EEG-vergleichbaren Vorrangstatus, was Genehmigungen beschleunigt und Kosten senkt. Mit der Kohlendioxid-Speicherungsgesetzesänderung wird erstmals die CO2-Abscheidung und die dauerhafte Speicherung von CO2 für kommerzielle Zwecke im industriellen Maßstab (CCU/CCS) ermöglicht. Schließlich wurde auch die nationale Wasserstoffstrategie angepasst und sieht nun zehn Gigawatt Elektrolysekapazität bis 2030 vor, um die steigende Nachfrage der Industrie nach grünem Wasserstoff zu decken.
Für andere Assetklassen weht hingegen ein rauerer Wind, insbesondere bei den Erneuerbaren. Bislang als „letzter verbliebener Wachstumsmotor“ gepriesen, drohen zum Beispiel durch die angekündigte Kostenbeteiligung der Erzeuger an den Netzkosten („AgNes“) sowie dem Wegfall von Fördermitteln zusätzliche Herausforderungen für Businesspläne. Die Regierung macht deutlich, dass Investoren hier mit weniger attraktiven Rahmenbedingungen leben müssen als bislang.
Ein weiteres Signal für die Strompreisentwicklung und Versorgungssicherheit ist die Einigung des Koalitionsausschusses von Mitte November: Sie schafft die Grundlage für eine rasche Ausschreibung von Wasserstoff-ready-Gaskraftwerken (Kraftwerksstrategie) und enthält ein Strompreispaket, das energieintensive Unternehmen und private Haushalte entlasten soll. Bis zu 12 GW moderne, auf H2 umrüstbare Kapazitäten sollen in den nächsten Jahren ausgeschrieben werden, flankiert von einem vergütungsfähigen Kapazitätsmechanismus. Damit wird ein lang erwarteter Rahmen für Investitionen in flexible Back-up-Leistung gesetzt. Zugleich adressiert das Strompreispaket die Sorge um international wettbewerbsfähige Stromkosten und verstetigt Nachfragesignale für erneuerbaren Strom. Für Investoren, Finanzierer und Projektentwickler sind dies entscheidende Bausteine, um Projekte aus der Planungs- in die Bau- und Realisierungsphase zu bringen.
Execution Gap schwindet nicht
Mit diesen Entscheidungen und Impulsen schrumpft die Execution Gap schon erheblich – aber sie verschwindet nicht. Denn mehrere strukturelle Schwächen sind noch ungelöst:
- Der Bund nutzt das Sondervermögen in erheblichem Umfang für eigene Investitionen statt auf Co-Investitionen (Public Private Partnerships) zu setzen oder mit den Mitteln aus dem Sondertopf insgesamt private Investitionen lediglich zu fördern – obwohl jeder Euro Anreizmittel die öffentliche Finanzierungsbasis vervielfachen würde.
- Die weiterhin offenen Fragen zur künftigen Netzentgeltlogik („AgNes“) und zur EU-konformen Ausgestaltung von Infrastruktur-Beihilfen wirken als Bremsklötze.
- Und zudem droht jeder Fortschritt von finanz-, haushalts- oder rentenpolitischen Konflikten in der Koalition ausgebremst zu werden.
Ungelöste Herausforderungen
Neben diesen Herausforderungen existieren Baustellen, die noch angegangen werden müssen. Dazu zählt insbesondere die Wärmewende, die für das Erreichen der Klimaziele zentral ist, aber bisher nicht mit klaren Finanzierungsstrukturen und Umsetzungsmechanismen hinterlegt ist. Eng verbunden damit ist auch die Frage der Leistungsfähigkeit kommunaler Stadtwerke. Diese sollen als regionale Investoren und Träger neuer Versorgungslösungen eine zentrale Rolle spielen, sind derzeit dazu aber weder finanziell, inhaltlich noch strukturell in der Lage. Um hier privates Kapital anzuziehen, müssen Strukturen neu gedacht und Denkblockaden überwunden werden. Diese strukturpolitischen Aufgabenbereiche gilt es zügig zu adressieren.
Deutschland steht vor der Chance, attraktive und verlässliche Rahmenbedingungen für langfristige Investitionen in die Energiewende zu schaffen und damit Kapitalgebern einen sicheren Hafen zu bieten. Investitionen in die Energieinfrastruktur können so zum Konjunkturmotor für die deutsche Wirtschaft werden. Die zentrale Botschaft lautet daher: Die Zeit ist nicht nur reif, sie ist knapp.
Erste Fondsmanager sprechen nach den jüngsten Entscheidungen bereits vom „Proof of Concept“ für den Marktrahmen. Die Infrastruktur-Investoren sind bereit, von „wait-and-see“ auf „prepare-and-bid“ umzuschalten. Gelingt die schnelle, operative Übersetzung der Maßnahmen, kann die Energiewende Skaleneffekte für einen Aufschwung der Gesamtwirtschaft auslösen. Scheitert die Umsetzung, gerät Deutschland erneut ins Hintertreffen – und Kapital wandert in andere Märkte. Die Zeit zum konsequenten Handeln ist jetzt.
*) Katrin Andrä und Dr. Tibor Fedke sind Partner der Kanzlei Noerr.
