Restrukturierungen

Was die EU-Harmoni­sierung im Insolvenz­recht bedeutet

Bei grenzüberschreitenden Restrukturierungen haben die Unterschiede in den Rechtssystemen der Länder Krisen eher vorangetrieben, als zu helfen. Gerade kleine Unternehmen sind betroffen.

Was die EU-Harmoni­sierung im Insolvenz­recht bedeutet

Von Daniel Friedemann Fritz*)

Die EU wächst weiter zusammen, auch das Insolvenzrecht bleibt davon nicht unberührt. Denn zuletzt war zu beobachten: Bei grenzüberschreitenden Restrukturierungen trieben die Unterschiede in den Rechtssystemen der Länder Krisen eher voran, als zu helfen. So ist die Krisenbewältigung bisher vor allem für Großunternehmen aussichtsreich, die sich international erfahrene Wirtschafts- und Rechtsberater leisten können. Kleinst- und Kleinunternehmen (KKU) mangelt es dagegen an finanziellen Mitteln.

Dabei sollte es gerade aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie oberstes Ziel sein, eher kleine Krisenunternehmen, die tatsächlich aber über 90% aller EU-Un­ternehmen ausmachen, einen gesetzlichen Rahmen zur vorinsolvenzlichen Krisenbewältigung an die Hand zu geben.

Blackbox

Details zur EU-Harmonisierung werden laut Fahrplan der Europäischen Kommission zu Ende Juni 2022 veröffentlicht. Zeitgleich findet der 11. Europäische Insolvenzrechtstag (EIRT) des Deutschen Anwaltvereins (DAV) am 30. Juni und 1. Juli 2022 in Brüssel statt. Hier ist zu erwarten, dass hochrangige Vertreter der Europäischen Kommission über die Harmonisierungsthemen aus erster Hand berichten. Das Problem: Auch wenn die Themen erhebliche Bedeutung für die Sanierung im kleinen Mittelstand haben, sind die Pläne bis heute eine gewisse Blackbox.

Ein Blick auf das deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzrecht der vergangenen Jahrzehnte zeigt: Brüssel hat die Entwicklung vorangetrieben. Das verdeutlicht der dem deutschen Rechtssystem bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) 2021 fremde Begriff des Restrukturierungsrechts, denn auch das StaRUG, welches Derartiges erstmals kodifizierte, ging aus einer EU-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1023 vom 20. Juni 2019) hervor. In der Rechtspraxis zeigt sich indes, dass zunehmend Fälle mit StaRUG-Bezug auf den Schreibtischen der Sanierer landen, gerade auch im (kleineren) Mittelstand.

Klar ist: Auch wenn nicht jedes Restrukturierungsvorhaben bei Ge­richt angezeigt und ohne Anzeige von den Statistiken nicht erfasst wird, zeichnet sich das StaRUG zunehmend als geeignetes Sanierungsmittel für Unternehmen jedweder Größe ab. Dass das StaRUG nun auch bei KKU ankommt, ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung.

Das StaRUG ist jedoch kein Allheilmittel. Die (vor)insolvenzliche Sa­nierung eines Unternehmens stellt sich für KKU nach wie vor als eine größere Herausforderung dar als für große Unternehmen. Denn: In aller Regel verfügen sie nur über begrenzte finanzielle Mittel für fundierte Beratung und Buchhaltung.

Problematisch ist zudem der höchst unwirtschaftliche Einsatz von Ressourcen, da die Kosten eines Insolvenzverfahrens für KKU oft bzw. im Verhältnis unweit der Kosten eines Insolvenzverfahrens für Großunternehmen liegen. Zudem sind KKU häufig nur regional tätig und damit für grenzüberschreitende Investitionen großer Investoren nicht so relevant.

Die vermehrten internationalen Konflikte zeigen, wie wichtig es aus EU-Perspektive ist, mit anderen internationalen Wirtschaftsmärkten konkurrenzfähig zu sein. Dies erfordert im ersten Schritt eine Mindestharmonisierung des rechtlichen Rahmens, in dem sich Unternehmen bewegen. Als Beispiel dienen die Möglichkeiten der Insolvenzanfechtung: Hierzulande können teilweise Rechtshandlungen, die bis zu zehn Jahre zurückliegen, im Rahmen der Vorsatzanfechtung angefochten werden. Bei ausländischen Geschäftspartnern deutscher Insolvenzschuldner trifft dieses so nicht bekannte Schwert deutscher Insolvenzverwalter regelmäßig auf großes Unverständnis. Dies führt zu Rechtsunsicherheit und erhöhten Transaktionskosten bzw. präventiver Vermeidung des Insolvenzstandortes Deutschland. Statt dieser Kleinstaaterei sollte das Vertrauen auf den gemeinsamen Markt gestärkt und die Effizienz von Insolvenz- und Sanierungsverfahren gesteigert werden.

Gut Ding will Weile haben

An dieser Stelle sind nun Gesetzgeber auf Bundes- und EU-Ebene gefragt. Auf EU-Ebene wird die Einführung eines Spezialinsolvenzverfahrens für KKU diskutiert. Es würde als vereinfachtes und weitgehend verwalterfreies Regime mit niedrigschwelligem Verfahrenszugang die Gerichtseinbindung auf das Notwendigste reduzieren. Die Folge: Kostenersparnis und Effizienz. In Diskussion ist außerdem eine Harmonisierung zu den bereits existierenden Pre-Pack-Verfahren wie in Frankreich, Niederlande und Polen.

Doch gut Ding will Weile haben. Darüber, ob die anstehende Harmonisierung den aufgeworfenen Problemen Abhilfe schaffen wird, lässt sich wohl erstmals zuverlässig urteilen, wenn die hochrangigen Vertreter der EU-Kommission hierüber auf dem 11. Europäischen Insolvenzrechtstag in Brüssel informieren. Es bleibt spannend.

*) Daniel Friedemann Fritz ist Partner von Dentons Europe, Sprecher der Europagruppe der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung im DAV und Private Expert der Europäischen Kommission für Insolvenzrecht.