Übernahme der Mailänder Börse

Rom will mehr Autonomie für Borsa

Die Kritik in Italien an der Übernahme der Mailänder Börse durch Euronext reißt nicht ab. Zwar ist das Projekt wohl nicht grundsätzlich in Gefahr. Doch in trockenen Tüchern ist es noch nicht, und die Regierung Draghi scheint auf Zugeständnisse zu dringen, ebenso wie die Börsenaufsicht Consob.

Rom will mehr Autonomie für Borsa

Von Gerhard Bläske, Mailand

Die Regierung unter Premierminister Mario Draghi will offenbar im Rahmen der geplanten Übernahme der Mailänder Börse durch die französisch dominierte Mehrländerbörse Euronext mehr für Italien herausholen. Aufhorchen ließen zuletzt Äußerungen von Wirtschafts- und Finanzminister Daniele Franco, der den „italienischen Interessen mehr Gewicht“ verleihen will. Angesichts der „be­deutenden Beteiligung der italienischen Staatsbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) und der Bank Intesa Sanpaolo an Euronext“ sei es „opportun, den wirtschaftlichen Interessen Italiens und der Borsa Italiana“ Rechnung zu tragen. Das Thema soll auch auf dem Tisch von Draghi-Wirtschaftsberater Francesco Giavazzi liegen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich das Vorhaben, das bis Ende März realisiert sein sollte, verzögert.

Aufschlussreich werden die Debatten im Abgeordnetenhaus und im Senat in der kommenden Woche sein. Adolfo Urso, Senator der oppositionellen Fratelli d’Italia und Vizepräsident der parlamentarischen Kontrollkommission der Geheimdienste (Copasir), fordert in seinem Antrag mehr Autonomie für die Borsa und ihre Tochtergesellschaften, mehr operative Funktionen in Mailand sowie Beschäftigungs- und Investitionszusagen sowie notfalls ein Veto Roms gegen den Verkauf.

Vor allem die Rechtsparteien Lega und Forza Italia, die der Regierung angehören, unterstützen Ursos Forderungen, die teilweise auch von Parlamentariern etwa der 5 Sterne geteilt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierung einige dieser Forderungen aufnehmen wird. Copasir hat wiederholt Kritik an einem beherrschenden Einfluss Frankreichs speziell in der Finanzindustrie Italiens geübt.

Manche Kritik mag übertrieben sein. Wahr ist, dass französische Unternehmen einen Großteil der italienischen Wirtschaft aufgekauft haben, umgekehrt aber italienische Unternehmen in Frankreich immer wieder ausgebremst werden.

Es war Francos Vorgänger als Wirtschaftsminister, der Sozialdemokrat Roberto Gualtieri, der sich massiv für die Übernahme der Borsa Italiana durch Euronext eingesetzt hatte. Die London Stock Exchange musste sich aus kartellrechtlichen Gründen von der Mailänder Börse trennen. Für Kritik sorgt in Italien, dass Gualtieri sich für Euronext einsetzte, ohne die Konkurrenzangebote der Deutschen Börse und der Schweizer Six zu kennen.

Darüber zeigte sich auch Six-Präsident Thomas Wellauer verwundert. Euronext wolle die Handelsaktivitäten stark zentralisieren. „Wir hingegen hatten der Borsa Italiana eine dezentrale Lösung angeboten, so wie auch der spanischen Börse“, sagte er der NZZ. Six hat Madrid 2020 gekauft. Es ist unwahrscheinlich, dass die Übernahme der Borsa Italiana durch Euronext scheitert. Doch in der Tasche hat Euronext die Borsa Italiana noch nicht: Denn auch die Börsenaufsicht Consob muss dazu ihre Zustimmung geben. Deren Chef Paolo Savona betrachtet die Börse und ihre Töchter wie die Handelsplattform für Staatstitel MTS als strategisch. Er will darauf achten, „die operative Autonomie der Borsa Italiana und ihr Wachstum“ sicherzustellen.

Euronext hat bisher kaum konkrete Zusagen gemacht und stattdessen Fakten geschaffen: Mit Ausnahme des italienischen Chairman Piero Novelli und CFO Giorgio Modica sind alle Schlüsselfunktionen von Euronext mit Franzosen besetzt worden.