Das "Lieferkettengesetz" - zu weit oder zu kurz geworfen?
Von Daniel Wuhrmann *)Im Juni 2011 hat die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, die staatliche Schutzpflichten sowie unternehmerische Verantwortungsbereiche zur Achtung von Menschenrechten in globalen Lieferketten definieren. Mit ihrem “Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien” (NAP) setzte die Bundesregierung im Dezember 2016 zunächst auf Freiwilligkeit: Die Geschäfte deutscher Unternehmen sollten keine negativen Auswirkungen auf grundlegende Rechte haben dürfen, Menschenrechte in der Wertschöpfungskette geachtet werden. Die Rückmeldungen zweier Befragungsrunden zeichnen ein ernüchterndes Bild: Weniger als 20 % der befragten deutschen Unternehmen meldeten sich (verwertbar) zurück, von ihnen kommen deutlich weniger als 50 % ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nach. Weitere SchritteLaut NAP prüft die Bundesregierung weitere Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen, wenn weniger als 50 % der Unternehmen ihre Sorgfaltspflicht erfüllen. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag wurde Entsprechendes vereinbart. In der Folge haben Bundeswirtschafts- und Bundesarbeitsministerium Vorschläge für die Eckpunkte eines “Lieferkettengesetzes” erarbeitet und erste Inhalte kommuniziert; konkrete oder gar verbindliche Entwürfe liegen bis dato allerdings nicht vor.Das Gesetz soll in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern verpflichten und den inhaltlichen Fokus auf “relevante Risikofelder” wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit oder Diskriminierung legen. Zudem sollen Berichts- und Handlungspflichten enthalten sein, die sich an internationalen Vorgaben wie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für multinationale Unternehmen orientieren. Die Unternehmen sollen potenziell nachteilige Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf Menschenrechte ermitteln, analysieren und ihnen vorbeugen, sie minimieren oder beheben. Ihre Abhilfemaßnahmen sollen sie jährlich transparent darlegen, es ist von einer verpflichtenden Berichterstattung an eine Bundesbehörde sowie von Beschwerdemechanismen die Rede. Es sollen auch Bußgelder gegen die Unternehmen und gerichtlich durchsetzbare Ersatzansprüche für Geschädigte geregelt werden – beides jedoch abhängig von einem Sorgfaltspflichtverstoß. Frage der HaftungSomit kann anhand des bereits Bekannten der Aufregung um etwaige Haftstrafen von Managern und einer ungebremsten Haftung der Unternehmen entgegengehalten werden: Das eine soll es schon per se nicht geben, das andere wird nur dann relevant, wenn Sorgfaltspflichten nachweislich außer Acht gelassen werden – diese sollen als “Bemühungspflicht” aufgesetzt sein. Aus juristischer Sicht bedeutet das: Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt ergeben sich aus den Anforderungen, die bei einer Ex-ante-Betrachtung an eine besonnene und gewissenhafte Unternehmensführung in der konkreten Lage und sozialen Rolle der Handelnden zu stellen sind. Dabei gilt grundsätzlich ein objektiver Maßstab, der im Lichte einer Angemessenheit einzuordnen ist. Diese wird bestimmt von der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der jeweiligen Maßnahme.Wenn also im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten das getan wurde, was man vernünftigerweise erwarten durfte, und es dennoch zu einer Schädigung kommt, scheidet eine Haftung aus. Die Kritik, der Gesetzgeber verlange Unmögliches und mache Unternehmen für das Fehlverhalten Dritter haftbar, läuft insoweit ins Leere: Es geht darum, für eigene Verfehlungen in der Vorbeugung, Kontrolle und Lösung von Missständen – im Rahmen der Angemessenheit – zu haften.Praktisch werden die Unternehmen einen erheblichen Mehraufwand stemmen müssen, ob nun nach nationaler oder EU-Vorgabe. Probleme etwa hinsichtlich der Umsetzbarkeit und potenzieller Wettbewerbsnachteile erst gar nicht entstehen zu lassen, ist Teil einer guten Gesetzgebung. Hilfreich sind klare Vorgaben, funktionierende staatliche Strukturen und bestenfalls Unterstützung bei der Umsetzung. In diesen Punkten ist die Kommunikation seitens der Bundesministerien bisher bedenklich dünn.Gute Nachhaltigkeits- und Compliancestrukturen zu schaffen, kann eine enorm herausfordernde Aufgabe sein. Diese dann auch noch effektiv zu leben, ist oftmals noch schwieriger: Es fehlt an rechtlichen, finanziellen und personellen Ressourcen. Hier gälte es anzusetzen, was wiederum vor allem durch staatliche Förderung und Anreize darstellbar wäre – wenn man zeitnah wirksame Effekte erzielen möchte. Unklare KommunikationSo gut und sinnvoll die Ambitionen und Ziele der Ministerien auch sind, so unklar und wenig förderlich sind die bisherige Kommunikation und die veröffentlichten Kernpunkte. Hinzu kommt die im Raum stehende Unsicherheit, ob und wie die EU dem nationalen Vorpreschen einzelner Staaten zuvorkommt. Die teilweise unbegründete Kritik und der damit verursachte “Lärm” hingegen tragen ihren Teil zur derzeit verklärten Situation bei. *) Daniel Wuhrmann ist Partner von Reuschlaw Legal Consultants.