PORTFOLIO - IM INTERVIEW: HANS NEUENDORF, ARTNET

"Der größte Teils des Kunsthandels wird online ablaufen"

Das Potenzial der Web-Auktionen wird als ausbaufähig qualifiziert - Das Internet als perfektes Vertriebskanal für Kunst

"Der größte Teils des Kunsthandels wird online ablaufen"

– Herr Neuendorf, Artnet hat viele Höhen und Tiefen hinter sich. Sie haben auch zwischendurch aus dem privaten Bestand Kunstwerke verkauft und in die Firma gesteckt. Wie oft waren Sie kurz davor, aufzugeben?Wir hatten in der Tat einige Herausforderungen in der Vergangenheit zu meistern. Aber aufgeben wäre für uns – und speziell für mich – nie in Frage gekommen. Ich war und bin von der grundlegenden Idee, dass Artnet Transparenz und Liquidität in den Kunstmarkt bringt, absolut überzeugt. Die aktuelle Entwicklung gibt uns recht: Artnet ist profitabel, steht auf einem stabilem Fundament und bringt laufend neue Produkte auf den Markt. Ich denke, ich kann meine privaten Kunstwerke daher jetzt behalten!- In die Aktie von Artnet ist in den vergangenen Wochen Bewegung gekommen. Es gibt Unternehmen, die eine Beteiligung an Artnet erworben haben. Weng Fine Art hat 4 % an der Artnet übernommen. Ist das ein feindlicher Übernahmeversuch?Weng ist Kunde bei Artnet. Er macht große Umsätze bei den Artnet Auctions und nutzt außerdem unseren Preisdatenspeicher, um die geografischen Preisasymmetrien zu ermitteln, die die Basis seines Geschäfts sind. Seine Firma ist also in zweierlei Hinsicht von Artnet abhängig. Eine Rolle in der Artnet-Geschäftsführung, für die er sich seit Jahren andient, wäre keine gute Idee, da er offensichtlich einen Interessenkonflikt haben würde. Ich bin überrascht und finde es erstaunlich, dass er sein Kapital für den Kauf von Artnet-Aktien einsetzt, anstatt es für den Ausbau seiner eigenen Firma zu verwenden. Aber Weng ist nicht der Einzige, der verstanden hat, welche Vorteile unser Unternehmen bietet. Auch der russische Unternehmer Vladimir Evtushenkov, der in der Vergangenheit durch seinen Emissär Sergey Skaterschikow schon mehrfach Angebote gemacht hat, bei Artnet die Mehrheit zu übernehmen, hat einen Anteil von 7,3 % von Artis Capital, einem kalifornischen Investor, übernommen und kauft weiterhin täglich Aktien an der Börse. Dies ist zweifellos ein feindlicher Übernahmeversuch, da Artis, Evtushenkov und Weng koordiniert vorgehen.- Artnet hat recht früh online Kunst angeboten. Wie hat die Branche reagiert?Wir haben in eine angestaubte und verschlossene Branche frischen Wind gebracht. Das kam in der Kunstwelt nicht überall gut an, zumal viele Beteiligten ganz gut damit verdienten, dass der Markt so intransparent war. Zu Beginn wurden wir belächelt und gewiss auch unterschätzt. Aber als wir relativ schnell eine große Bedeutung im Markt erlangt haben, hat sich das geändert. Heute nutzen uns alle: Galeristen, Händler, Künstler und Käufer zum allseitigen Vorteil.- In turbulenten Zeiten wie diesen investieren viele Branchenfremde in Kunst. Gekauft werden allerdings nur die bekanntesten Namen. Was sagen Sie zu der Preisentwicklung?Die aktuelle Preisentwicklung hat eine einzige Ursache: Die Unsicherheit von unerfahrenen Käufern führt dazu, dass vermehrt die Werke bekannter Künstler gekauft werden. Dies äußert sich in steigenden Preisen bei einer immer geringeren Anzahl von berühmten Künstlern, die sich spontan zu eigenständigen Marken entwickeln. Das sieht man sehr gut am Beispiel Damien Hirst. Die hohe Kostenstruktur der großen Auktionshäuser und ihr Bemühen, Risiko zu vermeiden, führt dann dazu, das ausschließlich diese “Modekünstler” zu den Auktionen zugelassen werden. Das bedeutet, wir bekommen eine Popularitätsauswahl, aber keine Qualitätsauswahl im Kunstmarkt. Die geringe Anzahl dieser Markenkünstler, auf die sich jetzt die ganze Kaufkraft konzentriert, führt zu einer Preisspirale. Für die ist zweifellos schon lange eine Korrektur fällig.- Wird im Kunstmarkt viel spekuliert? Wie hoch ist das Risiko einer Spekulations- oder Preisblase?Im Kunstmarkt wird nicht mehr spekuliert als in anderen Assetklassen. Die extremen Bewertungen mancher Modekünstler sowie einiger unwiederbringlicher Meisterwerke aus allen Jahrhunderten wird in der Presse nur immer wieder hochgespielt. Sie ist in der Tat erstaunlich. Menschen sind eben immer bereit, für ihre Überzeugungen und ihren Glauben alle Grenzen zu überschreiten.- Welche Rolle spielt dabei das Geld, das aus Ländern in Fernost, aus Russland oder aus dem arabischen Raum in den Markt strömt? Kaufen jetzt mehr Investoren Kunst als reine Kapitalanlage als früher?Kapitalanlage ist nicht so oft das alleinige Motiv, wie gern behauptet wird. Für die aufstrebende Oberschicht aus Ländern wie China, Russland oder aus Arabien ist Kunst natürlich auch ein begehrenswertes Statussymbol. Hinzu kommen Hedgefonds-Manager und Börsenspekulanten, die auf viel Geld sitzen. Dieses Geld flutet derzeit den Markt, weil jeder kaufen will. Das treibt die Preise in die Höhe. Solche Situationen habe ich schon mehrfach erlebt. Das gibt es immer wieder. So kommen dann die absurden Summen zustande, wie zuletzt die 120 Mill. Dollar für Munchs “Der Schrei”. Ein positiver Nebeneffekt: Die hohen Summen, die gezahlt werden, sorgen für eine Umverteilung des Wohlstandes von den Superreichen auf die Sammler und Kunsthändler, die die Werke abgeben. Interessant ist in diesem Zusammenhang noch ein weiteres Phänomen, das wir aus China kennen: Vergleichsweise unbekannte Künstler, die noch gar kein großes îuvre haben, sind dort sehr schnell sehr erfolgreich. In Indien ist es ähnlich. Da werden hunderttausende Dollars für Werke von Künstlern bezahlt, von denen man hierzulande noch nie etwas gehört hat. Das heißt, es gibt dort sehr starke lokale Kunstmärkte, die ganz nach dem Muster der westlichen Kunstmärkte funktionieren.- Artnet kassiert an jedem Gemälde weniger Provision als andere Auktionshäuser. Sie haben keine Transport-, Versicherungs-, Ausstellungs- oder Katalogkosten, aber eben auch keine Sicherheiten. Vertrauen potenzielle Käufer dem Portal?Artnet bietet nicht weniger Sicherheit, sondern mehr. Kunden werden von erfahrenen Fachleuten beraten, und Artnet bietet zusätzlich eine Fülle von Informationen, die die Kaufentscheidung auch für unerfahrene Käufer erleichtern. Wissen Sie, der E-Commerce lebt immer vom Vertrauen. Aber das Schöne am Online-Handel ist, dass unseriöse Anbieter nicht lange existieren können, schon gar nicht im Internet und mit der Macht der Konsumenten in diesem Medium. In unseren täglich ablaufenden Auktionen haben wir seit Beginn der Artnet Auctions 2008 rund 9 000 Kunstwerke verkauft. Es gab noch keinen einzigen Zwischenfall. Die, die sich mit Kunst beschäftigen, kennen und schätzen uns.- Sie ermöglichen keine Besichtigung der Lose vor einer Auktion. Welche Sicherheiten bieten sie dem Käufer, dass er ein Original erwirbt?In der Realität schauen sich längst nicht alle Bieter die Werke im Vorfeld einer Auktion persönlich an. Es wird überwiegend aufgrund der Abbildungen im Katalog geboten. Nirgends erhält der Bieter mehr Informationen als bei uns. Bei Artnet werden alle Details über das Werk, inklusive aussagekräftiger Bilder der Werke bereitgestellt. Zusätzlich sieht der Interessent, welche Preise ähnliche Werke erzielt haben. Zum Thema Originale: Natürlich werden alle unsere Kunstwerke, die wir über die Artnet Auctions verkaufen, von Experten geprüft, und unsere Spezialisten kennen die Einlieferer und die Kunstwerke. Deshalb hatten wir auch noch nie einen Disput über die Echtheit der Kunstwerke. Die Echtheitsproblematik existiert hauptsächlich in den Köpfen von Laien.- Sie haben einen Schwerpunkt auf Kunstwerke im unteren Preissegment. Wie schwierig ist es, an höherpreisige Stücke zu kommen?Das ist nur zum Teil richtig. Sehen Sie, die großen Auktionshäuser gehen selektiv vor bei der Gestaltung ihrer Auktionen, weil sie wegen ihrer hohen Kosten sicher sein wollen, dass sie die Ware auch verkaufen können. Diese Auswahl ist keine Qualitätsauswahl, sondern eine Popularitätsauswahl. Artnet hat diese Kosten nicht und kann nach Qualität oder nach Lust und Laune verfahren und nimmt Werke aus jedem Segment. Das heißt, Artnet ist ein Instrument zur Demokratisierung des Kunstmarktes. Natürlich bestehen immer noch ein paar Vorbehalte, und man wird gefragt, ob das Internet nicht eher ein Handelsplatz für preiswerte Kunst sei. Das ist ein Vorurteil. Kunstwerke, die teuer und bekannt sind, verkaufen sich auch im Internet besonders gut, denn es handelt sich um Markenware, die man nicht extra besichtigen muss. Das zeigt der Verkauf des Warhol-Bildes für 1,3 Mill. Dollar im vergangenen Jahr. Aber lassen Sie mich noch etwas sagen zum Thema Preissegment: Die Sensationsmeldungen in den Medien über Verkäufe haben entscheidend dazu beigetragen, dass alle Welt glaubt, dass sich der Kunsthandel vor allem im Hochpreisbereich abspielt. Das ist aber falsch! Der Bereich, der zwischen 800 und 10 000 Euro liegt, macht etwa vier Fünftel der weltweiten Umsätze aus. Die sensationellen Höchstpreise bleiben die Ausnahme.- Wird der Kunsthandel tatsächlich eines Tages im Internet stattfinden?Auf jeden Fall! Ich bin fest davon überzeugt, dass das Internet der perfekte Vertriebskanal für Kunst ist und der größte Teil des Kunsthandels künftig online abläuft. Die Vorzüge liegen auf der Hand: Sie erreichen mit einer Online-Auktion eine wesentlich größere Zielgruppe. Sie haben geringere Kommissionen, sind also wesentlich günstiger, und die Kaufabwicklung ist erheblich schneller. Während große Auktionshäuser bis zum tatsächlichen Verkauf fünf Monate brauchen, dauert es bei Artnet fünf Wochen.- Sie gelten als einer der Pioniere im Online-Kunstmarkt. Was bedeutet dies für Sie?Es gibt drei Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Markt. Erstens Preistransparenz. Artnet stellt diese durch den Auktionspreisdatenspeicher zur Verfügung, der alle Auktionspreise der letzten 25 Jahre enthält. Zweitens Marktüberblick. Artnet zeigt das Angebot von 2 100 führenden Galerien weltweit mit 176 000 Werken von 37 000 Künstlern in übersichtlicher Weise online. Drittens Liquidität. Artnet ermöglicht den kurzfristigen und kostengünstigen Verkauf von Kunstwerken in den Online-Auktionen. Wir geben dem Kunden Sicherheit, wir demokratisieren einen Markt, der vorher nur einer Elite zugänglich war. Wir bei Artnet möchten, dass es für jeden möglich ist, den Wert eines Kunstwerkes einzuschätzen. Wir haben mittlerweile mehr als 180 000 Künstler in unserer Datenbank. Das alles hilft den Käufern bei ihrer Kaufentscheidung und hat den Markt transparenter gemacht. Unser Fundament ist der Preisdatenspeicher, das ist eine Datenbank mit Ergebnislisten von etwa 500 Auktionshäusern weltweit. Damit können Sie die Kunstverkäufe von allen weltweiten Auktionen bis ins Jahr 1985 recherchieren, das sind mittlerweile über7 Millionen Lose. Der gesamte Markt trifft seine Entscheidungen heute mit unserem Preisdatenspeicher.- Sie werben mit einem System, das Kunstwerke mit Finanzindizes wie S & P 500 und Dax oder sogar mit Goldpreisen vergleicht und bewertet. Wie können diese Indizes beim Kauf eines Werkes weiterhelfen?Deshalb haben wir kürzlich die Artnet-Indizes gestartet. Nach dem Vorbild eines Aktienindex zeigen die Indizes den Verlauf der Preisentwicklung eines Künstlers. Die Indizes sind wesentlicher Bestandteil der neuen Artnet Analytics Reports, einer umfassenden Analyse der individuellen Entwicklung der wichtigsten Künstler. Bislang fehlte dem Markt ein derartiges Instrument, das die Wertentwicklung umfassend und statistisch belastbar nachvollzieht. Mit den Artnet-Indizes schließen wir diese Lücke, es ist ein weiterer Schritt zur Professionalisierung des Kunstmarktes. Mit den Artnet-Indizes können Kunstkäufer einschätzen, ob Kunstwerke beispielsweise von Damien Hirst, Andy Warhol oder Gerhard Richter im Vergleich zu Aktien (Vergleichsindizes: S & P 500, Dow Jones, FTSE 100 und Dax) oder Gold eventuell eine Anlagemöglichkeit wären. Als Vergleichsgröße hat Artnet zusätzlich mit dem C 50 einen Branchenindex entwickelt, der die Preisentwicklung der 50 bedeutendsten zeitgenössischen Künstler aufzeigt.- Wie bewerten Sie die Entwicklung des Auktionshandels auf Artnet?Wir sind mit der Entwicklung der Artnet Auctions sehr zufrieden. Seit vier Jahren sind wir mit dem Produkt am Markt. Die Provisionserlöse der Artnet Auctions haben 2011 erstmals die Grenze von 2 Mill. Euro übersprungen, mit einer Brutto-Marge von 19 %. Insgesamt hat Artnet Verkäufe in Höhe von 10,7 Mill. Euro (Zuschlagspreis) vermittelt. Dazu haben maßgeblich die Versteigerungen von Werken bedeutender Künstler wie Andy Warhol, John Chamberlain, Damien Hirst oder Nam June Paik beigetragen. Im ersten Quartal 2012 stiegen die Umsätze der Online-Auktionen im Vergleich zum Vorjahr um 37 % auf 4,7 Mill. Euro. Die Durchschnittspreise der versteigerten Lose erhöhten sich von 4 700 Euro auf knapp 7 500 Euro. Diese Entwicklung signalisiert die fortschreitende Akzeptanz von Online-Auktionen für Kunstwerke.—-Die Fragen stellte Anna Perucki.