Kartellnovelle bringt Annäherung an europäisches Recht
Von Hans Jürgen Meyer-Lindemann*)Lange, zu lange haben sich die Diskussionen um die siebte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) hingezogen. Nun endlich haben sich Regierung und Opposition im Vermittlungsausschuss geeinigt. Das Gesetz, das nach den ursprünglichen Planungen am 1. Mai 2004 parallel zur neugefassten EG-Kartellverfahrensverordnung in Kraft treten sollte, wird vom 1. Juli 2005 an gelten.Die Verzögerung wurde im Wesentlichen durch den Plan von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement verursacht, die Pressefusionskontrolle zu reformieren – für den früheren Zeitungsjournalisten ein ganz persönliches Anliegen, für seine Gegner eine Instrumentalisierung des Wettbewerbsrechts für strukturpolitische Ziele. Im Ergebnis ist die Reform der Pressefusionskontrolle gescheitert. Trotzdem kann das Thema angesichts der restriktiven Regeln in dem Bereich zukunftsrelevant werden. Der Angleichung dienenDie GWB-Novelle soll vor allem der Angleichung an das europäische Kartellrecht dienen, das durch die neue EG-Kartellverfahrensverordnung mit Wirkung zum 1. Mai 2004 radikal geändert wurde. Die dadurch eingeführte Legalausnahme vom Kartellverbot soll Bürokratie abbauen, da es zukünftig grundsätzlich allein der Selbsteinschätzung der Unternehmen überlassen bleibt, ob sie rechtmäßig handeln oder nicht. Diese offizielle Begründung dürfte jedoch für den Geltungsbereich des GWB stark zu relativieren sein, da mittelständische Unternehmen, die ein entsprechendes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse nachweisen können, nach dem im Vermittlungsausschuss erzielten Kompromiss noch für eine Übergangszeit von vier Jahren einen Anspruch auf eine kartellbehördliche Entscheidung haben werden.Sanktionen für Kartellverstöße werden erheblich verschärft. So tritt an die Stelle des dreifachen Mehrerlöses ein Bußgeldrahmen von bis zu 10% des weltweiten Gesamtumsatzes jedes am Kartellverstoß beteiligten Unternehmens. Da der Gesetzeswortlaut keine Einschränkung in räumlicher Hinsicht oder bezüglich der betroffenen Produkte enthält und keine Rücksicht auf parallel geführte Bußgeldverfahren in anderen Ländern nimmt, erfolgt eine Begrenzung des Bußgeldrahmens lediglich durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser dürfte im Einzelfall schwer zu konkretisieren sein. Private SchadenersatzklagenDie Bußgeldsanktionen können nicht nur durch Unterlassungsklagen unmittelbarer Marktbeteiligter flankiert werden, zu denen auch individuelle Verbraucher zählen können, sondern auch durch Klagen von Unternehmensverbänden. Letztere können die Kartellbeteiligten künftig auch auf Herausgabe des wirtschaftlichen Vorteils aus dem Kartellverstoß an den Bundeshaushalt verklagen. Da der Vermittlungsausschuss die im Entwurf vorgesehene Erweiterung der Klageberechtigten auf Verbraucherverbände gestrichen hat, sind Neuerungen in diesem Bereich jedoch nicht überzubewerten.Die Bekämpfung von Kartellen soll schließlich durch die Förderung privater Schadenersatzklagen verbessert werden. In den USA hat sich dieser Weg für Kartellbeteiligte als besonders bedrohlich erwiesen. Nach der Novelle darf sich das beklagte Unternehmen künftig nicht mehr darauf berufen, dass der Kläger den Schaden – etwa mit erhöhten Preisen – an die nächste Marktstufe weitergereicht hat (“passing on defense”). Auch kann das Gericht bei der Schadensschätzung den anteiligen Gewinn berücksichtigen, den das beklagte Unternehmen mit dem Kartellverstoß erzielt hat. Trotz dieser Regelungen wird nicht mit einem dramatischen Zuwachs an Zivilklagen oder US-Verhältnissen zu rechnen sein. “Class actions” und “treble damages” wird es nicht geben, so dass Kläger nur den individuell entstandenen Schaden geltend machen können, der oft nicht groß genug sein wird, um ein aufwendiges Verfahren zu rechtfertigen. Die 7. GWB-Novelle beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Kartellrecht im engeren Sinne. Eine wichtige Neuerung betrifft den einstweiligen Rechtsschutz Dritter in der Fusionskontrolle. In Zukunft sollen nicht am Zusammenschluss beteiligte Unternehmen Fusionen, die vom Bundeskartellamt genehmigt wurden, nur dann im Eilverfahren blockieren können, wenn sie geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein.Da das Fusionskontrollrecht aber Wettbewerbern der Zusammenschlussparteien im Eilverfahren grundsätzlich keine solchen Rechte einräumt, wird das in der Praxis kaum jemals vorkommen. Die Änderung des Gesetzes stellt eine Reaktion auf die zahlreichen Eilverfahren von angeblich Drittbetroffenen im Verfahren Eon/Ruhrgas dar. Sie führten vor dem OLG Düsseldorf zur Aufhebung der Ministererlaubnis allein aufgrund formeller Mängel und zu einem politisch umstrittenen Neuerlass der Ministererlaubnis, gegen den erneut das OLG Düsseldorf angerufen wurde. Künftig sollen Beteiligte eines freigegebenen Zusammenschlussverfahrens vor Angriffen Dritter im Eilverfahren, die den Vollzug des Zusammenschlusses verzögern, geschützt werden. Ausgenommen von dem Schutz wird allerdings – anders als im Regierungsentwurf vorgesehen – ausgerechnet die im Eon/Ruhrgas-Verfahren heftig attackierte Ministererlaubnis. Unabhängig von diesen Neuerungen beim Eilverfahren bleibt der Rechtsschutz Dritter im Hauptsacheverfahren bestehen. Die Macht des Faktischen wird jedoch eine große Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung werden die Zusammenschlussbeteiligten die Transaktion in aller Regel vollzogen und die geplanten Investitionen getätigt haben.In Anlehnung an das europäische Kartellrecht werden schließlich verschiedene Verfahrensrechte der Kartellbehörden eingeführt. Neu ist unter anderem das “Enquêterecht”: Bundeskartellamt und oberste Landesbehörden dürfen von nun an Ermittlungen branchen- und sektorenübergreifend für eine bestimmte Art von Vereinbarungen auch dann durchführen, wenn kein konkreter Anfangsverdacht eines Kartellverstoßes besteht, sondern lediglich bestimmte Rahmenumstände darauf hindeuten, dass kartellrechtlich “etwas nicht in Ordnung” ist. Kartellbehörden können künftig nicht nur Verhalten untersagen, sondern auch positive Maßnahmen aufgeben, die für eine Abstellung eines Verstoßes erforderlich sind, und verbindlich feststellen, dass in der Vergangenheit liegendes Verhalten gegen Kartellrecht verstieß. In dringenden Fällen können die Kartellbehörden Verpflichtungszusagen für verbindlich erklären und dürfen in diesem Fall nicht mehr von ihrer Befugnis Gebrauch machen, die Abstellung von Verhaltensweisen anzuordnen. Die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung der europafreundlichen Anwendung des Kartellrechts wurde dagegen vom Vermittlungsausschuss gestrichen. Das bedeutet z.B., dass Verwaltungsgrundsätze der EU-Kommission gegenüber den deutschen Wettbewerbsbehörden keine Verbindlichkeit beanspruchen können. Gerade bei der Selbsteinschätzung der Unternehmen im Hinblick auf die Kartellrechtmäßigkeit kann dies problematisch sein, weil wichtige Maßstäbe des europäischen Rechts nur mit Vorsicht heranzuziehen sein werden. Eher restriktivIm Ergebnis bleibt festzustellen, dass der Inhalt der 7. GWB-Novelle den langen zeitlichen Vorlauf nicht rechtfertigt. Zur Angleichung an das europäische Recht gab es keine wirkliche Alternative, wobei zu bemerken ist, dass eher restriktiv angepasst wurde. Kartelle werden künftig noch wirkungsvoller verfolgt werden können, doch sollte in diesem Zusammenhang die Wirkung von Privatklagen nicht überschätzt werden.In der Fusionskontrolle hat man bloß Auswüchse beseitigt, die mit der 6. GWB-Novelle erst ermöglicht wurden. Die wichtigsten Neuerungen sind nicht aus den allein auf Deutschland zielenden Regelungen abzuleiten. Vielmehr kommen sie aus den von der EG-Kartellverfahrensverordnung vorgegebenen Bestimmungen, die die internationale Zusammenarbeit der deutschen mit ausländischen Wettbewerbsbehörden regeln. Die verstärkte internationale Zusammenarbeit ist künftig bei Kartell- und Fusionskontrollverfahren besonders zu beachten.*) Dr. Hans Jürgen Meyer-Lindemann ist Rechtsanwalt und Managing Partner der Büros Düsseldorf und Brüssel der internationalen Anwaltssozietät Shearman & Sterling.