Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Daniel H. Sharma

Vertrauen in Entscheidungen der EU-Kommission sinkt

Fall Sony BMG: Rückabwicklung des Musik-Joint-Venture unwahrscheinlich

Vertrauen in Entscheidungen der EU-Kommission sinkt

Sony BMG, dem zweitgrößten Musikkonzern der Welt, drohen kartellrechtliche Auflagen und schlimmstenfalls die Rückabwicklung. Das Europäische Gericht Erster Instanz hatte am Donnerstag voriger Woche die Entscheidung der Europäischen Kommission von 2004 kassiert, die Musiksparten von Bertelsmann und Sony ohne Einwände zusammenlegen zu dürfen. Das Joint Venture muss in Brüssel komplett neu zur Genehmigung angemeldet werden. Die Börsen-Zeitung fragte den Kartellrechtsexperten Daniel H. Sharma zu dem Fall. – Herr Dr. Sharma, weshalb hat das Gericht die Entscheidung der Europäischen Kommission zur BMG-Sony-Fusion aufgehoben?Nach Auffassung des Gerichts hat es die Kommission versäumt, in ausreichender Weise zu zeigen, dass der Zusammenschluss der beiden Musiksparten nicht zu Wettbewerbsbeschränkungen führt. Das Gericht hält es für möglich, dass der Zusammenschluss zu wettbewerbswidriger kollektiver Marktbeherrschung der größten Marktteilnehmer führen werde bzw. dass eine solche kollektive Marktbeherrschung bereits vor dem Zusammenschluss bestand und möglicherweise durch die Fusion verstärkt würde. Besonders wichtig ist dabei die – von der Kommission verneinte – Frage, ob die fünf größten Marktteilnehmer ihre Preise bereits aufgrund der Markttransparenz koordinieren konnten. – Droht eine Rückabwicklung der gesamten Transaktion?Ich denke nicht. Das Gericht hat nicht die Transaktion insgesamt untersagt, sondern festgestellt, dass die rechtlichen Schlussfolgerungen der Kommission in der ursprünglichen Freigabeentscheidung nicht ausreichend begründet waren. Daher können die Parteien eine Freigabe, wenn auch unter Bedingungen, noch erreichen. Zwar wäre die Entflechtung des vollzogenen Zusammenschlusses theoretisch möglich. Eine solche Anordnung kam in der Geschichte der europäischen Fusionskontrolle aber erst in vier Fällen vor. Die Kommission müsste dabei immer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Daher dürfte es, wenn die beteiligten Unternehmen es denn wirklich noch wollen, am Ende eher zu einer bedingten Freigabe kommen. – Welche Auswirkungen wird die Entscheidung auf die künftige Fusionskontrollpraxis EU haben?Auf dem Musiksektor werden Transaktionen unter den großen Wettbewerbern sicherlich schwieriger. Und auch die Reaktionen der Aktienmärkte auf das Urteil haben schon angedeutet, dass etwa die Chancen einer kartellrechtlichen Genehmigung eines Zusammenschlusses zwischen EMI und Warner nicht positiv beurteilt werden. Generell wird die europäische Fusionskontrolle durch diese Entscheidung unübersichtlicher. Zwar bleibt es dabei, dass weniger als 1 % der angemeldeten Zusammenschlüsse untersagt werden. Das hilft einem Unternehmen natürlich wenig, wenn gerade sein Vorhaben betroffen ist. Besonders problematisch ist im BMG/Sony-Fall, dass die Kommission zunächst den Zusammenschluss untersagen wollte, sich dann von den Parteien davon überzeugen ließ, die Fusion freizugeben, und das Gericht schließlich die Freigabe wieder aufhob. Also: Das Vertrauen in den Bestand von Kommissionsentscheidungen sinkt, und die Hoffnung und damit Bereitschaft, gegen Kommissionsentscheidungen gerichtlich vorzugehen, steigt. – Wie ist die Entscheidung vor dem Hintergrund früherer Fusionskontrollverfahren einzuordnen?Zwar ist die Kommission wie in früheren Verfahren, etwa Tetra Laval, Schneider oder Airtours, vor Gericht unterlegen, und dies ist ein weiterer schwerer Schlag für die Behörde. Beim vorliegenden Verfahren gibt es allerdings die Besonderheit, dass eine Genehmigung der Kommission – und nicht eine Untersagung – für nichtig erklärt wurde. Insofern sind die Fälle nur bedingt vergleichbar. – Was bedeutet die Entscheidung für die Arbeit der Kommission?Kritiker meinen, dass die Kommission aus den in der Vergangenheit erlittenen Niederlagen nicht gelernt habe. Diese Kritik halte ich für allerdings übertrieben, denn die Kommission hat tatsächlich Konsequenzen gezogen und interne Umstrukturierungen vorgenommen. Was allerdings die substanzielle Kritik des Gerichts an der Kommissionsentscheidung angeht, ist festzustellen, dass sich diese wiederholt. Die Kommission wird aufgefordert, in ihrer Beweisführung und -würdigung sorgfältiger vorzugehen. Für die Zukunft bedeutet dies, dass der erhöhte Begründungsaufwand der Kommission sicherlich in Teilen an die anmeldenden Unternehmen weitergegeben wird. Unternehmen werden also mehr Ressourcen, zum Beispiel zur Beibringung von Statistiken und Dokumenten, aufbringen müssen, um Fusionen möglichst unangreifbar zu machen.Dr. Daniel H. Sharma, LL.M. (Durham) ist Rechtsanwalt bei Beiten Burkhardt in Brüssel.Die Fragen stellte Walther Becker.