Wendepunkt in der Praxis des Bundeskartellamtes
Von Alf-Henrik Bischke *) Der 15. Dezember 2011 war ein bedeutsamer Tag für die deutsche Telekommunikations- und Medienindustrie. An diesem Tag hat das Bundeskartellamt den Erwerb von Kabel Baden-Württemberg durch Liberty Global genehmigt. Die Entscheidung stellt einen Wendepunkt in der Praxis des Bundeskartellamtes dar, nachdem vergleichbare Vorhaben in den vergangenen Jahren mehrfach gescheitert sind.Die Zahl der regionalen Kabelgesellschaften, die aus dem Fernmeldemonopol der Deutschen Bundespost hervorgegangen sind, hat sich nun von drei auf zwei reduziert. Beide decken etwa die Hälfte der Bevölkerung des Bundesgebiets – soweit überhaupt mit Breitbandkabel erschlossen – mit eigener Netzinfrastruktur ab. Die Wettbewerbsverhältnisse auf den Breitbandanschlussmärkten sind damit nunmehr von drei starken Unternehmen geprägt: der Deutschen Telekom mit ihrer DSL-Infrastruktur, Kabel Deutschland und Liberty Global.Das Verfahren dürfte das wohl bedeutsamste Fusionskontrollverfahren in Deutschland in diesem Jahr gewesen sein. Das Bundeskartellamt war nur aufgrund von weitreichenden Zusagen bereit, den Zusammenschluss freizugeben. Diese Zusagen könnten die Marktverhältnisse deutlich verändern. Der GestattungsmarktIn den früheren Fällen, insbesondere beim Versuch von Liberty Global, Kabel Deutschland und Telecolumbus zu erwerben (2001) sowie beim Vorhaben von Kabel Deutschland, Kabel BW und die heutige Unitymedia zu erwerben (2004) standen jeweils die Einspeisemärkte im Vordergrund. Dabei wird den Fernsehsendern als Leistung die Verbreitung über Kabel- und andere Infrastrukturen angeboten. Auf diesen Märkten stehen sich die öffentlich-rechtlichen und privaten Programmanbieter einerseits und die Netzbetreiber andererseits gegenüber.Im Verfahren Liberty Global/Kabel BW ging es hingegen um die Auswirkungen des Vorhabens auf den sogenannten “Gestattungsmarkt”. Dieser Markt betrifft die Verträge, welche die Kabelnetzbetreiber mit Unternehmen der Wohnungswirtschaft über die Versorgung mit TV-Signalen schließen.Eine weitere grundlegende Änderung betraf die räumliche Abgrenzung dieses Marktes. Anders als in seiner bisherigen Entscheidungspraxis sieht das Bundeskartellamt den Gestattungsmarkt nunmehr als einen bundesweiten Markt an. Zuvor wurde der relevante Gestattungsmarkt – auch von der Bundesnetzagentur – als auf das Netzgebiet des Kabelbetreibers begrenzt angesehen. Diese zunächst unscheinbare Neuausrichtung bedingt eine grundlegend andere Marktsicht.Während bei einer unternehmensbezogenen Abgrenzung der Marktanteil der jeweiligen regionalen Kabelnetzbetreiber sehr hoch ist, er sich aber durch einen Zusammenschluss mit einem anderen regionalen Kabelnetzbetreiber nicht erhöht, ist der Marktanteil der einzelnen Unternehmen nunmehr weit niedriger, aber immer noch bedeutsam. Die großen dreiAuf dem bundesweit abgegrenzten Gestattungsmarkt sind, so das Bundeskartellamt, die drei großen Gesellschaften Kabel Deutschland, Unitymedia und Kabel BW sowie auch Telecolumbus und Primacom tätig. Schon in seinem Verweisungsantrag an die Europäische Kommission (wo der Fall zunächst zuständigkeitshalber angemeldet wurde) vertrat die Bonner Behörde die Ansicht, dass zwischen den drei großen Spielern Kabel Deutschland, Unitymedia und Kabel BW ein wettbewerbsarmes Oligopol bestehe.Grund hierfür war, dass die Unternehmen jeweils nur in ihren eigenen Netzgebieten tätig sind. Die Unternehmen versuchten, insbesondere mit Hilfe ökonomischer Gutachter, das Amt davon zu überzeugen, dass ihr jeweiliges Verhalten marktrational ist und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten entspricht. Das Bundeskartellamt ist – unter Einschaltung seiner ökonomischen Grundsatzabteilung – dem nicht gefolgt. Vielmehr wertete es den Markt als wettbewerbsarmes Oligopol, das durch den Zusammenschluss von drei auf zwei Spieler verengt werde.Dadurch ergebe sich, dass die marktbeherrschende Stellung des angenommenen Oligopols verstärkt würde. Hilfsweise, so das Amt, würde der Vorgang zur Verstärkung jeweils bestehender marktbeherrschender Stellung von Unitymedia und Kabel BW in ihren jeweiligen Netzgebieten führen. Denn die Unternehmen seien jeweils potenzielle Wettbewerber des anderen. Zusagen erforderlichDie “Abwägungsklausel” hat – anders als in früheren Freigaben (etwa zu Gunsten von Kabel Deutschland) – keine Rolle gespielt. Liberty Global konnte das Amt nicht davon überzeugen, dass das Vorhaben zu Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen auf Telekommunikationsmärkten führe, welche die aus der Sicht des Amtes eintretenden Verschlechterungen auf den Einspeise- und Gestattungsmärkten überwiegen.Damit waren Zusagen erforderlich. Die ursprünglichen Angebote von Liberty Global mussten nach Reaktionen aus dem Markt erheblich erweitert werden. Die schließlich akzeptierten Zusagen betreffen zum einen die Beendigung der Verschlüsselung digitaler, frei empfangbarer Fernsehprogramme (Free TV) seitens Unitymedia.Dies soll zum einen den Wettbewerb auf dem Gestattungsmarkt vereinfachen und zum anderen Bedenken des Bundeskartellamts auf den Einspeisemärkten ausräumen. Mit der Aufgabe der Grundverschlüsselung werde ein mit der Transaktion verbundener Zuwachs von Verhandlungsmacht gegenüber den Free-TV-Programmanbietern beschränkt.Des Weiteren räumten Unitymedia und Kabel BW großen Kunden in der Wohnungswirtschaft Sonderkündigungsrechte ein. Dies führt dazu, dass bestehende Markteintrittsschranken gesenkt und der Markteintritt für kleinere Kabelnetzbetreiber sowie andere Telekommunikationsanbieter (insbesondere die Deutsche Telekom) erleichtert wird. Am Markt getestetDie angebotenen Zusagen wurden im Markt “getestet”. Sie trafen auf die Zustimmung vieler Marktteilnehmer, die sich bei früheren Zusammenschlussvorhaben großer Kabelbetreiber ausgesprochen kritisch geäußert hatten. Hierzu gehören die öffentlich-rechtlichen Sender als auch die Verbände der Wohnungswirtschaft. Auch die Landesmedienanstalten äußerten sich diesmal positiv. Andere Unternehmen gehörten jedoch bis zum Verfahrensende zu den wesentlichen Kritikern des Vorhabens. Im Ergebnis überwog jedoch die Erkenntnis, dass die Freigabe unter Zusagen gegenüber der Untersagung und der damit verbundenen Beibehaltung des Status quo wettbewerblich vorzugswürdig ist.Die Entscheidung ist über den Einzelfall hinaus für die Kabel-, Telekommunikations- und Medienmärkte von Bedeutung. Dies gilt zumindest für die Beurteilung der Marktstruktur. Denn aus der Sicht des Amtes besteht ein Duopol von Kabel Deutschland und Unitymedia auf einem bundesweiten Gestattungsmarkt. Ob die diesem Standpunkt zugrunde liegenden Thesen rechtlich und ökonomisch zutreffend sind, erscheint indes zweifelhaft. Hierüber wird künftig mit Sicherheit intensiv diskutiert werden.Auch Wettbewerbsökonomen werden – und sollten – hieran beteiligt sein. In diesem Zusammenhang dürfte auch die Frage gestellt werden, ob die ursprünglich zuständige Europäische Kommission die Frage nach dem Vorliegen eines wettbewerbsarmen Oligopols ähnlich beurteilt hätte wie das Bundeskartellamt. Dies erscheint zumindest fraglich.Auch das Thema Grundverschlüsselung wird weiter von Bedeutung sein. Denn manche Sender verlangen weiterhin die Grundverschlüsselung des digitalen Fernsehens, und bei anderen Kabelnetzbetreibern in Deutschland ebenso wie international ist sie auch weitgehend üblich, während Unitymedia diese Praxis nun anlässlich des Fusionskontrollverfahrens geändert hat. Diese Unterschiede könnten bei künftigen Transaktionen in der Branche eine Rolle spielen. Plan B in der SchubladeEbenfalls von Bedeutung wird sein, wie rasch und in welchem Umfang kleinere Kabelnetzbetreiber sowie Telekommunikationsunternehmen (insbesondere die Deutsche Telekom), die nunmehr erhöhten Chancen für mehr Wettbewerb um Verträge mit der Wohnungswirtschaft nutzen. Während des Verfahrens hat die Deutsche Telekom stets darauf hingewiesen, dass erhebliche Markteintrittsschwellen bestünden.Aufgrund der Freigabeentscheidung des Kartellamtes kam es nicht mehr auf den sogenannten “Backstop” an. Hierbei handelte es sich um Folgendes: Aufgrund der absehbaren kartellrechtlichen Risiken hatten die Parteien für den Fall des Nichtvorliegens der kartellrechtlichen Bedingungen bis zum Jahresende einen Plan B vereinbart. Dieser sah vor, dass anstelle von Liberty Global eine Investmentbank zu den zwischen Liberty Global und dem Verkäufer vereinbarten Konditionen Kabel BW erwerben sollte. Die Investmentbank sollte sodann Ka-bel BW weiterveräußern. Eine etwaige Differenz zum ursprünglichen Kaufpreis wäre von Liberty Global zu tragen gewesen. Bei dieser Vorgehensweise hätte es sich nicht um einen Zwischenerwerb (Warehousing) gehandelt. Vielmehr wäre um eine Übernahme der Kosten des Kartellrechtsrisikos durch den ursprünglichen, aus kartellrechtlichen Gründen nicht zum Zuge gekommenen Erwerber erfolgt. Diese innovative Gestaltungsvariante könnte in künftigen Fällen von Bedeutung sein.—-*) Dr. Alf-Henrik Bischke ist Partner bei Hengeler Mueller in Brüssel. Er hat die Verkäufer (EQT-Fonds) bei der Kabel BW-Transaktion kartellrechtlich beraten.