GASTBEITRAG

Strategisch keine Neuausrichtung notwendig

Börsen-Zeitung, 29.10.2020 Nahezu täglich sind neue Rekordinfektionszahlen in Europa zu verzeichnen. Die Politik verhängt erneut Einschränkungen und fordert zur freiwilligen Kontaktreduktion auf. Stimmungsindikatoren aus dem Dienstleistungssektor...

Strategisch keine Neuausrichtung notwendig

Nahezu täglich sind neue Rekordinfektionszahlen in Europa zu verzeichnen. Die Politik verhängt erneut Einschränkungen und fordert zur freiwilligen Kontaktreduktion auf. Stimmungsindikatoren aus dem Dienstleistungssektor oder für den privaten Konsum zeigen bereits erste Schwächen und die für das vierte Quartal erwartete fortgesetzte wirtschaftliche Erholung droht einer zweiten Rezession weichen zu müssen.Im Bewusstsein der Marktteilnehmer scheint sich aber bislang noch das Vertrauen auf die Allmacht der Notenbanken und die Hoffnung auf weitere Konjunkturpakete zu halten. Die aktuelle Marktentwicklung deutet zumindest noch nicht darauf hin, dass größere wirtschaftliche Schäden aus der herbstlichen Corona-Welle in Europa eingepreist wären – immerhin haben sich die Spreads im Unternehmensanleihemarkt seit September per saldo kaum ausgeweitet und am Aktienmarkt gehen die Analysten weiterhin davon aus, dass die Gewinne der europäischen Unternehmen bereits 2022 wieder das Niveau von 2019 erreichen. Die zuletzt etwas leichteren Aktienmärkte zeigten bislang keine panikartigen Reaktionen, was auch an der weiterhin relativ geringen impliziten Volatilität abzulesen ist. Dennoch gilt: Die Lockdown-Sorgen kehren zurück.Mit den gestiegenen Infektionszahlen und der zunehmend restriktiver ausgerichteten Politik dürfte das Marktsentiment Zug um Zug unter Druck geraten. Eine über das Winterhalbjahr stagnierende Wirtschaft wird, ohne eine sich bald einstellende Verbesserung des medizinischen Nachrichtenflusses, wohl zum Konsens werden (müssen). Damit stellt sich auch die Frage, ob die Notenbanken bereits proaktiv auf den sich eintrübenden Ausblick reagieren oder ob die Kapitalmärkte vergeblich auf schnelle Signale aus dieser Richtung hoffen.Ohnehin rechnet die breite Mehrheit der Volkswirte damit, dass das Volumen der Anleihekäufe in der Eurozone spätestens im Dezember erneut angehoben und auch die Laufzeit des PEPP-Programms über die Jahresmitte 2021 hinaus verlängert wird. Zudem stehen mit dem großvolumigen Angebot der EU neue supranationale Anleihen im Angebot, die für die EZB erwerbbar sind. An Argumenten und fehlendem Handlungsspielraum wird es gewiss nicht scheitern. Für die Fed ist die Situation zwar weniger akut als auf unserer Seite des Atlantiks, aber auch in den USA könnte mit ausbleibender Einigung auf das nächste Konjunkturprogramm im Kongress der Handlungsbedarf ebenfalls steigen.Neben den Corona-Daten und dem Blick auf die Notenbanken sind aus Anlegersicht aber auch noch weitere marktbewegende Ereignisse in die Gleichung einzubeziehen, ob bereits kurzfristig Kaufkurse erreicht sind. Allen voran natürlich der Ausgang der US-Wahl und das leidige Brexit-Thema. In beiden Fällen hat der Kapitalmarkt zuletzt auf einen glimpflichen Ausgang gesetzt. Dass US-Demokraten die Mehrheit sowohl im Weißen Haus als auch im Senat erlangen könnten, wurde trotz der Steueranhebungspläne von Präsidentschaftskandidat Biden mit einer positiven Marktentwicklung goutiert. Der erwarteten expansiven Fiskalpolitik sei Dank. Beim Brexit gehen die Wettquoten zu 70 % davon aus, dass EU und Großbritannien in den nächsten Wochen ein Handelsabkommen vereinbaren werden. Wenig Raum für adverse Entwicklungen in toto. Absicherung sinnvollZwar war das Marktsentiment zuletzt alles andere als einseitig optimistisch, dennoch erscheint eine abwartende Haltung vorerst angebracht. Vor dem Hintergrund des nahenden Jahresendes dürften insbesondere bilanzorientierte Anleger vorsichtig agieren. Nach der Wertaufholung vieler Mandate seit April wäre eine neuerliche Marktschwäche sicherlich schwer zu verzeihen. Absicherungsmaßnahmen, gerade in illiquideren oder schwerer zu steuernden Marktsegmenten erscheinen vor diesem Hintergrund temporär sinnvoll.Optionen, die gegen extreme Marktbewegungen schützen sollen, scheinen im aktuellen Umfeld die naheliegende Wahl zur Absicherung der Portfolien zu sein. Dies gilt für Aktien, aber auch für Credits. Neben CDS-Indizes und darauf basierenden Derivaten ist mit börsengehandelten Optionen auf ETFs in dieser Hinsicht inzwischen eine zusätzliche Option für Portfoliomanager vorhanden. Der Trend zum passiven Investieren gereicht hier auch für aktive Anleger zum Vorteil.Die Illiquidität der Instrumente dürfte bislang zwar noch den großflächigen Einsatz verhindern, ab einer erwarteten Ausweitung der Risikoaufschläge von rund 50 BP im High-Yield-Segment könnten diese Instrumente aber dennoch ein gutes Mittel der Wahl darstellen, um Credit-Portfolien abzusichern. Die Risk-off-Phase ab Mitte September hat bereits gezeigt, dass derartige Spreadausweitungen alles andere als unvorstellbar sind.Insbesondere für folgende Fälle gilt es vorbereitet zu sein: dass seitens der Notenbanken zeitnah keine Impulse gesetzt werden, die Corona-Entwicklungen sich nicht durch die gewählten Maßnahmen der Politik eindämmen lassen und somit ein erheblich düsteres Konjunkturbild eingepreist werden muss oder bei den anstehenden politischen Entscheidungen kein marktseitig als günstig zu bewertendes Ergebnis zu verzeichnen ist. Notenbanken stehen bereitDass die Notenbanken – von temporär durchaus ausgeprägten Rücksetzern abgesehen – dafür sorgen werden, dass die Marktentwicklung von Aktien und Unternehmensanleihen letztlich aufwärtsgerichtet bleibt und die Suche nach Rendite die Anleger weiterhin dazu animiert, diese Segmente stärker zu allokieren, bleibt außer Frage. Gleiches gilt für die expansive Rolle der Fiskalpolitik. Die Schutzschirmmentalität der Politik bleibt den Marktteilnehmern erhalten, auch wenn Ausgaben und Subventionspolitik zukünftig wohl zielgerichteter ausfallen werden. Dies gilt insbesondere für die USA. Unter einem Präsidenten Biden werden wohl insbesondere jene Sektoren begünstigt, die auf die Klimapläne des neuen Präsidenten – so er denn tatsächlich den Wahlsieg erreicht – einzahlen. Mittelfristig sollte sich also das Vertrauen auf die Notenbanken und die Haushaltspolitik auszahlen, nicht jeder Wunsch geht allerdings schon acht Wochen vor Weihnachten in Erfüllung. Bernhard Grünäugl, Leiter Investment Strategy und ESG Research der BayernInvest