„60 Minuten sind nicht akzeptabel“
Im Gespräch: Thorsten Müller und Bodo Kesselmeyer
„60 Minuten sind nicht akzeptabel“
Die DVFA-Kapitalmarktexperten über Defizite und Verzögerungen beim geplanten European Single Access Point
Ab Mitte 2027 soll der European Single Access Point (ESAP), also ein von der EU geplantes Portal, einen zentralisierten Zugang zu Unternehmensdaten bieten. Die DVFA-Experten Thorsten Müller und Bodo Kesselmeyer fordern die EU-Aufsichtsbehörde ESMA auf, das ESAP-System noch einmal technisch zu überarbeiten.
fed Frankfurt
Beim in Vorbereitung befindlichen, zentralen europäischen Zugangsportal für Unternehmensdaten, beim so genannten European Single Access Point (ESAP), drohen nach Einschätzung der DVFA-Kapitalmarktexperten Thorsten Müller und Bodo Kesselmeyer erhebliche Defizite und Verzögerungen. „Wir schwächen das System, wenn wir solche handwerklichen Fehler zulassen“, erklärt der DVFA-Vorstandsvorsitzende Müller im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Die EU-Wertpapieraufsicht ESMA soll das ESAP-System noch einmal technisch überarbeiten.“
Der European Single Access Point, kurz: ESAP, ist das von der EU geplante Zugangsportal, das von der EU-Wertpapieraufsicht ESMA betrieben werden und ab Juli 2027 einen zentralisierten Zugang zu unterschiedlichen Daten und Kennziffern von Unternehmen und anderen Emittenten bieten soll. Die Informationen, die über ESAP zugänglich gemacht werden, sollen schrittweise über einen Zeitraum von vier Jahren aufgenommen werden. Ziel ist es, mehr Transparenz für Kapitalmarktteilnehmer über börsengehandelte Unternehmen zu schaffen.
Technische Validität schaffen
Kesselmeyer, stellvertretender Leiter und Digitalisierungsexperte der DVFA-Kommission Unternehmensanalyse, konkretisiert, was die DVFA, also die Standesorganisation der Investment Professionals, beanstandet: „Wir brauchen eine Software-Schnittstelle, die die Daten auf technische Validität prüft und die in den 27 EU-Ländern einheitlich angewendet werden muss“, fordert Kesselmeyer. Bei solchen formalen technischen Tests müsse diese Software beispielsweise prüfen, ob die Angaben vollständig und rechnerisch richtig sind, ob Aktiva mit Passiva korrespondieren, ob Dezimalwerte, Vorzeichen und Einheiten stimmen – und so weiter. Die Software „ersetzt natürlich nicht den Wirtschaftsprüfer“, stellt Kesselmeyer klar. Aber sie erzwinge die technische Validität der gelieferten Information.
In der EU gebe es sehr unterschiedliche Praktiken, wie die Qualität von Daten geprüft werde. Die EU habe darauf verzichtet, eine zentrale Sammelstelle für Daten einzurichten – so wie das die USA getan haben, erläutert Kesselmeyer. Stattdessen belasse die EU das bei den EU-Mitgliedstaaten. „Das ist soweit ja noch in Ordnung“, sagt der Digitalisierungsfachmann. Dann aber müsse die EU sicherstellen, dass eine Mindestdatenqualität technisch erzwungen wird und dazu die notwendigen gesetzlichen Grundlagen schaffen. Beides fehle leider.
Ruf nach beschleunigter Weiterleitung der Daten
Auch künftig werde es so sein, dass Unternehmen an ihre jeweilige nationale Stelle, den Officially Appointed Mechanism oder kurz: OAM, Daten einreichen. In Deutschland etwa hat der Bundesanzeiger diese Rolle als nationale Datenbasis inne. Und diese nationalen Stellen sollen anschließend die Daten an das zentrale Portal, an den European Single Access Point, weiterleiten, nachdem sie diese geprüft haben. Für diese Weiterleitung seien 60 Minuten vorgesehen, berichtet Kesselmeyer und betont: „60 Minuten sind für den Kapitalmarkt nicht akzeptabel.“ Auf dieser Basis werde es dem ESAP nicht möglich sein, eine Marktakzeptanz zu erzielen. „Da geplant ist, dass mittelfristig fast alle kapitalmarktrelevanten Daten beim ESAP landen sollen, muss die Weiterleitung beschleunigt und an internationale Standards der Kapitalmarktkommunikation angepasst werden.“
„Herz der Kapitalmarktunion“
DVFA-Vorstandschef Müller hebt noch einmal die Bedeutung des ESAP hervor. „Wir halten dieses zentrale europäische Zugangsportal für Unternehmensdaten, diesen European Single Access Point, für das Herz der Kapitalmarktunion.“ Effiziente Kapitalallokation sei nur möglich mit Transparenz und auf einer verlässlichen Datenbasis. „Eine hochwertige Datenqualität ist wichtig für KI-Anwendungen und damit auch im Interesse von kapitalmarktorientierten Unternehmen“, so Müller.
Viele forderten zurecht, dass Europa seine Resilienz stärken und unabhängiger von den Vereinigten Staaten werden müsse, erinnert Müller. Aber fast alle Kapitalmarktdaten werden von den großen US-Anbietern geliefert, von Adressen wie unter anderem Bloomberg, S&P, MSCI oder Morningstar. Die einzige Ausnahme sei Refinitiv als Tochter der London Stock Exchange.
Chance zur Verbreiterung der Coverage
Die US-Anbieter neigten dazu, das Angebot von Daten auf Blue Chips zu konzentrieren. Das europäische Datenportal müsse deshalb als Chance genutzt werden, um die Coverage zu verbreitern und vor allem auch mittelständische Unternehmen mit Kapitalmarktorientierung zu berücksichtigen.
Wenn börsennotierte Small- und Mid-Cap-Unternehmen derzeit überhaupt erfasst würden, dann meistens mit zeitlichem Verzug, nicht in der Detailtiefe und nicht „as reported“, erläutert Kesselmeyer. Dann fehlten oft wichtige Informationen für die Unternehmensanalyse. „Das erhöht die Informationskosten und senkt die Attraktivität dieser Unternehmen für professionelle Investoren“, sagt Kesselmeyer.
Und sein Kollege Müller fasst noch einmal in allgemeineren Worten zusammen, worum es der DVFA geht: „Es ist wichtig, nicht nur auf strategischer Ebene allgemein über die Vorzüge einer Spar- und Investitionsunion (SIU) zu sprechen, sondern man muss auch bereit sein, in den Maschinenraum zu gehen und operativ sorgfältig und qualitätssichernd die SIU umzusetzen.“