Siemens

Abschied von Russland

Siemens zieht sich mit seinen industriellen Geschäften vollständig aus Russland zurück. Dies kostet im zweiten Quartal knapp 600 Mill. Euro. Der Siemens-Aktienkurs sank in der Spitze um 7%.

Abschied von Russland

mic München

Die internationalen Sanktionen sowie aktuelle und mögliche weitere Gegenmaßnahmen beeinträchtigten die Siemens-Aktivitäten in Russland signifikant, sagte Vorstandsvorsitzender Roland Busch bei der Präsentation der Halbjahreszahlen: „Nach gründlicher Bewertung der Lage hat Siemens daher entschieden, den russischen Markt mit seinem industriellen Geschäft vollständig zu verlassen.“

Siemens stelle auch den Service in Russland ein, die Kunden hätten schon vor Wochen eine entsprechende Vorwarnung erhalten, sagte Busch. Der Konzern hatte bereits unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine alles Neugeschäft in Russland sowie Lieferungen in das Land ausgesetzt. Busch machte klar, dass die Sanktionen der entscheidende Faktor für den Rückzug aus Russland sind.

Finanzvorstand Ralf Thomas bezifferte die Kosten, die im zweiten Quartal des Geschäftsjahres (30. September) verbucht wurden, auf 572 Mill. Euro nach Steuern. Diese seien großteils nicht cashwirksam. Umlaufvermögen, Forderungen und Bestände seien neu bewertet worden. Enthalten sei auch die Rücknahme von Umsatzerlösen in Höhe von 0,2 Mrd. Euro.

Die stärkste Präsenz im Land habe die Bahntechnik-Sparte Mobility mit verschiedenen langfristigen Projekten und zugehörigem Wartungsgeschäft, sagte Busch. Die Quartalssonderkosten drücken das operative Ergebnis des Segments (angepasstes Ebita) um 567 Mill. Euro. Die Segmente Digital Industries und Smart Infrastructure seien dagegen auf den Vertrieb und lokalen Service fokussiert, erläuterte Busch. Ihre Ebita-Belastung fällt also geringer aus. Digital Industries kommt auf rund 40 Mill. Euro, wie sich errechnen lässt (0,8% des Quartalsumsatzes). Smart Infrastructure wird mit knapp der Hälfte getroffen (0,4% des Umsatzes).

Leasing wird abgewickelt

Hinzu kommen allerdings Sonderkosten der Finanzierungstochter Siemens Financial Services (SFS): 57 Mill. Euro vor Steuern fielen an, weil die Kreditrisikovorsorgen als Folge von Herabstufungen beim Kreditrating stark gestiegen seien, heißt es im Quartalsbericht. Die Immobilieneinheit SRE muss 52 Mill. Euro Belastungen verdauen, in erster Linie wegen Wertminderungen von Immobilien.

Da diese Belastungen teilweise steuerlich nicht abzugsfähig sind, hätte der Nettoverlust rechnerisch eigentlich höher ausfallen müssen als die von Siemens genannten 572 Mill. Euro. Dies verhinderte aber ein positiver Nettoeffekt von 177 Mill. Euro, der aus Sicherungsgeschäften in Zusammenhang mit dem russischen Rubel resultiert. Dieser Ertrag sei aber leider nur temporär, sagte Thomas.

Die weiteren Risiken für den Nettogewinn liegen Busch zufolge in Höhe eines niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrags. Beispielsweise soll das Leasinggeschäft von der Finanzierungsgesellschaft SFS in Russland, das etwa 3% ihres Portfolios ausmacht, ebenfalls abgewickelt werden. Dabei könnten negative Effekte nicht ausgeschlossen werden, sagte Thomas. SFS hatte Ende Februar alles Neugeschäft ausgesetzt und erfüllt gegenwärtig nur laufende Verträge. Die Einmaleffekte des Rückzugs könnten durch positive Portfolioeffekte ausgeglichen werden, sagte Busch (siehe Bericht auf dieser Seite). Darüber hinaus dämpft das starke operative Geschäft die Auswirkungen. Der Auftragsbestand stieg Ende März auf das Rekordniveau von 94 Mrd. Euro (siehe Grafik).

Im Gegensatz zu Siemens zieht sich die Medizintechniktochter Siemens Healthineers nicht aus Russland zurück. Die aktuellen Sanktionen zielten nicht auf die Gesundheitsversorgung, erklärte das Unternehmen. Siemens Energy hatte zuletzt erklärt, ein Verlassen des Landes zu prüfen.

Der Umsatz der Siemens AG in Russland habe zuletzt 1 Mrd. Euro jährlich betragen, sagte Busch – entsprechend 1% des Umsatzes. Es würden 3000 Menschen beschäftigt, die Siemens nach besten Kräften unterstützen werde. Busch würdigte am Beginn seiner Rede das Schicksal der Ukraine und der dortigen 180 Siemens-Mitarbeiter. Siemens helfe den Flüchtenden, die Ankunft im Westen zu erleichtern. So sei in Warschau ein Siemens-Gebäude zu einer Unterkunft für 150 Menschen umgebaut worden. Insgesamt habe Siemens bislang 14 Mill. Euro für die Unterstützung bereitgestellt.

Busch wandte sich dagegen, die Voraussetzungen in Russland direkt mit dem China-Geschäft zu vergleichen. Die meisten Dax-Konzerne erwirtschafteten gut 1% ihres Um­satzes in Russland, manche dagegen bis zu 40% in China: „Da spricht man schlichtweg von einer anderen Größenordnung.“ Das Bruttoinlandsprodukt von China betrage ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung, Deutschland liege bei 3%: „Der Markt ist einfach so groß, an dem kommt keiner vorbei.“ Der Markt sei entscheidend, man sehe keinen Grund, dass sich dies ändere.

Aktienrückkauf beschleunigt

Der Vorstandsvorsitzende erklärte zugleich: „Anders ist es bei Zulieferketten.“ Dort gebe es gewisse Abhängigkeiten, die vielleicht nicht gesund seien. Man müsse sehen, ob man bei den Zulieferern diversifizieren könne. Siemens sei nicht das einzige Unternehmen, das daran arbeite. Daher biete die Entwicklung auch ein Potenzial für Siemens. Wenn man Lieferketten neu aufstelle, dann ziehe dies auch Investitionen in Software und Fertigung nach sich.

Das Management kündigte an, der Aktienrückkauf solle von Freitag an im Rahmen des bestehenden Programms, das im vergangenen No­vem­ber startete, beschleunigt werden. Von dem angepeilten Volumen von 3 Mrd. Euro sind bisher nur 0,4 Mrd. zurückgekauft. Der Siemens-Aktienkurs ging am Donnerstag in der Spitze um 7% zurück. Das Papier beendet schließlich den Xetra-Handel mit einem Minus von 2,5% auf 113,90 Euro.

Siemens
Konzernzahlen nach IFRS 1
2. Quartal
in Mill. Euro2021/20222020/2021
Auftragseingang20 97815 879
Umsatz17 04014 665
Forschung/Entwicklung1 3591 128
Vertrieb/Verwaltung3 0812 562
Angepasstes Ebita industrielle Geschäfte   1 777   2 039
Steuern541468
Nettoergebnis1 2091 516
Ergebnis nicht fort­geführte Aktivitäten4874
Gesamt-Nettoergebnis1 2132 390
Ergebnis je Aktie (Euro) 2, 31,292,82
Kapitalrendite (%) 311,121,2
Freier Cashflow 31 3241 215
Nettoschulden 315 48313 861 4
Mitarbeiter (Tsd.) 3309303 4
1) Fortgeführte Aktivitäten, Geschäftsjahr endet am 30. September; 2) unverwässert; 3) inklusive nicht fortgeführter Aktivitäten;4) zum 30. SeptemberBörsen-Zeitung
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