Führungswechsel

Alles bleibt anders bei Volkswagen

Mit dem Wechsel an der Konzernspitze von Herbert Diess auf Oliver Blume sollen einige Baustellen bei VW adressiert werden. Eine Umsteuerung in der Softwaretochter tut not. Andere Themen wird auch Blume kaum lösen können.

Alles bleibt anders bei Volkswagen

Aus Sicht von Herbert Diess endet seine Zeit an der VW-Spitze abrupt. Aus Sicht des Aufsichtsrats war es eine Trennung mit langem Anlauf. Immer wieder war Diess angeeckt. Nun haben die Familien Porsche und Piëch ihre Daumen gesenkt. Ihre Hoffnungen ruhen künftig auf Oliver Blume, der die Sportwagentochter und Ertragsperle Porsche führt.

Blume kommt mit reichlich Vorschusslorbeeren. Der 54-Jährige gilt als Teamplayer, der in der Vergangenheit mit der schnellen Umsetzung ambitionierter Projekte überzeugen konnte. So ist Porsches elektrischer Erstling Taycan so gut gelungen, dass er aktuell als Basis für zwei weitere Modelle des Konzerns dient. Audis Erstling E-Tron kommt mit hohen Verbrauchswerten und geringer Reichweite dagegen wie ein Relikt der ersten Elektrifizierungstage daher. Der Taycan-Erfolg und die dafür nötige Fähigkeit Blumes, Menschen zu begeistern und Teams zusammenzuschweißen, sind es, die den Aufsichtsrat zuversichtlich machen, dass der gebürtige Braunschweiger die Baustellen im Gesamtkonzern in den Griff bekommen wird.

Doch wo liegen die Hauptprobleme Volkswagens? Und wie realistisch erscheint deren Lösung? Die mit Abstand größte Baustelle und am Ende wohl der Tropfen, der das Fass im Aufsichtsrat zum Überlaufen gebracht hat, ist die Softwaretochter Cariad. Seit ihrer Gründung als Car.Software-Org vor gut zwei Jahren steht sie unter einem schlechten Stern. Vom Ziel, bis 2025 den Anteil der eigenen Software von unter 10% auf 60% zu steigern, hat sich VW verabschieden müssen. Bereits nach wenigen Monaten hatte der erste Chef der Einheit, Christian Senger, seinen Hut genommen. Mittlerweile steht Nachfolger Dirk Hilgenberg in der Kritik.

Bei wesentlichen Entwicklungszielen hängt Cariad hinterher. Schon die Software 1.2, die Audi und Porsche in ihren nächsten, bereits produktionsfertigen Modellen einsetzen wollen, ist in Verzug. Die Software 2.0, die für Autos aller Konzernmarken gleichermaßen funktionieren soll, kommt frühestens 2027 zum Einsatz – eine Ewigkeit in der Softwarewelt. Heute lässt sich zwar noch nicht absehen, was die großen US-Tech-Konzerne Apple, Google oder Nvidia in fünf Jahren aufbieten werden. Sicher ist aber, dass sie allesamt kräftig in Automobilsoftware investieren und bis dahin einige Release-Zyklen Zeit haben, um ihr Angebot zu verfeinern.

Fahrlässige Wette

Die Wette von Diess, über ein halbes Jahrzehnt für einen zweistelligen Milliardenbetrag eine zentrale Software zu entwickeln, die alle Konzernmarken – von Seat bis Porsche – gleichermaßen weiterbringen soll, erscheint nachgerade fahrlässig. Das zeigen nicht nur die Verspätungen zu diesem frühen Zeitpunkt. Das zeigt vor allem die Antwort auf die Frage, was im Falle eines Entwicklungsfehlschlags drohen würde: Für VW wäre es ein GAU, der alle Marken zugleich treffen würde.

Blume dürfte sich als CEO einer nach Autonomie strebenden Tochter leichter tun, Marken und Regionen mehr Freiheit in Softwareentwicklung und Partnerschaften zu geben. So hat Porsche selbst bereits mit Apple über den Einsatz der nächsten Carplay-Software ge­sprochen, die Ende 2023 fertig sein soll. Diess hatte für VW hingegen Kooperationen mit den großen Tech-Firmen stets abgelehnt. Eine Abkehr vom „One size fits all“-Ansatz würde zudem eine alte Stärke des VW-Konzerns ins Spiel bringen, die Diess ausgerechnet in der Software außer Kraft setzen wollte: den Wettbewerb der Marken untereinander. Was das für Cariad bedeutet, ist offen. Nur dürften die Ziele unter Blume eher zurückskaliert werden.

Eng gesteckte Leitplanken

Ein grundlegendes Problem wird Blume indes kaum lösen: Transformation ist in Wolfsburg nur zwischen sehr eng gesteckten Leitplanken machbar. Denn mit dem mächtigen Betriebsrat auf der einen und dem Land Niedersachsen auf der anderen Seite muss er zwei Stakeholder bedienen, die Standortthemen oft höher ge­wichten, als es aus Sicht des Unternehmens ratsam wäre. Dem Vernehmen nach ist dies der wesentliche Grund, warum Cariad in Wolfsburg angesiedelt wurde.

In anderen Bereichen ist derweil nicht zu erwarten, dass Blume grundlegend um­schwenkt. So mag er sich als Porsche-CEO für E-Fuels eingesetzt haben. Für das Volumensegment spielen diese entgegen dem Wunschdenken mancher Verbrennerfreunde aber absehbar keine Rolle. Die Elektrifizierung der VW-Marken wird weitergehen.

In China dürfte der Neue an der Konzernspitze derweil wenig eingreifen. Hier steht der Ex-VW-Markenchef Ralf Brandstätter im Feuer. Auch beim Porsche-IPO geht die Sorge, ob Blumes Doppelbelastung zum Problem wird, am Thema vorbei. Sorgen machen sollte eher der Interessenkonflikt eines Konzernchefs, der zugleich eine nach Unabhängigkeit strebende Marke an die Börse und deren auf Synergien bedachte Konzernmutter führen soll. Eine derart seltsame Konstruktion erscheint dann doch typisch für Volkswagen. Ob mit Diess oder Blume: In Wolfsburg bleibt wie immer alles anders.

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