„Bei ISS und Glass Lewis ist schon sehr viel Macht gebündelt“
„Bei ISS und Glass Lewis ist schon sehr viel Macht gebündelt“
Im Gespräch: Paula Paprocki und Dirk Besse
„Bei ISS und Glass Lewis ist sehr viel Macht gebündelt“
Stimmrechtsberater rücken von einheitlichen Empfehlungen ab – für die Anwälte der Kanzlei Morrison Foerster ist das eine positive Entwicklung
ISS und Glass Lewis gehören zu den heimlichen Entscheidern auf Hauptversammlungen. Doch ihre allgemeingültigen Abstimmungsempfehlungen sind ein Auslaufmodell. Vorausgegangen war Druck aus den USA. Die Anwälte der Kanzlei Morrison Foerster sehen das als positive Entwicklung für börsennotierte Unternehmen.
Von Daniel Schnettler, Frankfurt
Momentan, so sagen Wirtschaftsrechtler, ist eine besonders spannende Zeit für Hauptversammlungen. Denn die einflussreichen Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis rücken sukzessive von ihren einheitlichen Empfehlungen ab, die über Jahrzehnte das Abstimmungsverhalten der Investoren weltweit geprägt haben.
„Die neuen Abstimmungsrichtlinien sind ein Riesenthema“, berichtet Paula Paprocki, Senior Associate bei Morrison Foerster, aus den Gesprächen mit ihren Mandanten. Die Anwälte der Kanzlei betreuen hierzulande bis zu zwanzig Hauptversammlungen im Jahr. Zu ihren Klienten gehören der Essenslieferant Delivery Hero oder das Pharmaunternehmen Medios. „Glass Lewis will ab 2027 keine Hausmeinung mehr veröffentlichen; ISS bietet schon heute Tools an, mit denen sich Investoren eine eigene Meinung in Governance-Fragen bilden können.“
Kritiker sehen in den neuen, individuell zusammenstellbaren Abstimmungsrichtlinien ein Einknicken vor den konservativen politischen Kräften in den USA. Diese lehnen die Einbeziehung sozialer oder nachhaltigkeitsbezogener Kriterien in Unternehmensentscheidungen strikt ab und setzen voll auf Shareholder Value. So liefern sich Glass Lewis und ISS derzeit einen juristischen Schlagabtausch mit dem republikanisch geführten Bundesstaat Texas, der die Stimmrechtsexperten per Gesetz dazu zwingen will, ihre Beratung in Sachen ESG einzuschränken.
„Nicht politisch getrieben“
„Ich denke nicht, dass die Veränderungen in erster Linie politisch getrieben sind“, sagt Dirk Besse, Managing Partner von Morrison Foerster. Er sieht vielmehr die künstliche Intelligenz als treibende Kraft hinter den neuen Abstimmungsrichtlinien. „Investmenthäuser haben bereits eigene Tools gebaut für ihr Abstimmungsverhalten. Das bringt die Geschäftsmodelle von Glass Lewis und ISS unter Druck.“ Zudem geht er davon aus, dass die Einnahmenbasis im selben Atemzug verbreitert werden soll: „Die neuen Angebote der Stimmrechtsberater werden sicherlich nicht günstiger sein als die bisherige einheitliche Guidance.“
Ungeachtet dessen begrüßen Besse und seine Kollegin Paprocki im Gespräch mit der Börsen-Zeitung die Neuerungen. „Endlich gibt es keine ‚One size fits all‘-Lösung mehr“, führt Paprocki aus. „Vor allem bei Vorratsbeschlüssen zu Kapitalmaßnahmen ist das bisherige Verfahren problematisch, weil es die individuellen Bedürfnisse und Begebenheiten in den Unternehmen nicht berücksichtigt.“
Die Wirtschaftsrechtlerin sagt: „Bei ISS und Glass Lewis ist schon sehr viel Macht gebündelt.“ Nötig sei eine umgekehrte Denkweise: „Wichtig ist, was die Unternehmen brauchen – und nicht, was die Stimmrechtsberater vorgeben.“ Besse formuliert diesen Gedanken noch einen Tacken schärfer: „Wir brauchen mehr Differenzierung im Abstimmungsverhalten auf Hauptversammlungen. Investoren sollten sich nicht von den Stimmrechtsberatern gängeln lassen.“
Das Thema ESG kommt dabei meist im Kontext der Vorstandsvergütung zur Sprache. Das seien aber „nicht die Tagesordnungspunkte, die uns Kopfschmerzen bereiten“, meint Besse. „Entscheidend sind Beschlüsse zu Kapitalmaßnahmen oder zur Strategie.“
Mehr Vertrauen ins Management
Der Jurist betont: „Es ist ja nicht das Schlechteste, der Empfehlung des Managements zu folgen. Das Management weiß schließlich am besten, was das Unternehmen braucht.“ Seit Jahren hätten Unternehmen deshalb nach mehr Einflussmöglichkeiten gerufen. „Auch wenn dies im Vorfeld mehr Aufwand bedeutet durch die Gespräche mit den Investoren. Das ist sehr gut investierte Zeit.“ Er kenne einige Fälle, wo es bis zur letzten Minute unklar gewesen sei, ob es eine Mehrheit für ein Vorhaben auf der Hauptversammlung gibt. „Da musste der Vorstand bei den Entscheidungsträgern anrufen. Für uns als Anwälte ist es ein Albtraumszenario, dass die Zustimmung daran hängt, dass man zufälligerweise die richtige Nummer unter der Kurzwahltaste liegen hat.“
