Berentzen revidiert Strategie und kappt Mittelfristziele
Berentzen revidiert Strategie und kappt Mittelfristziele
Spirituosenhersteller suchen nach Wegen aus der Krise
Verändertes Konsumverhalten und steigende Kosten belasten – Berentzen revidiert Strategie und kappt Mittelfristziele – Neue Produkte und Vertriebskanäle
md Frankfurt
Der Spirituosenindustrie machen der sinkende Konsum und steigende Kosten zu schaffen. Das trifft die Großen der Branche – etwa die britische Diageo („Johnnie Walker“, „Smirnoff“), die französische Pernod Ricard („Absolut Vodka“) und den US-Konzern Brown-Forman („Jack Daniel‘s“) – hart, aber die kleinen Anbieter noch härter, weil sie meist von geringeren Margen her kommen und kaum über Marktmacht verfügen.
Stärkeres Gesundheitsbewusstsein
Zu den Gründen für den sinkenden Pro-Kopf-Konsum an Alkohol in Deutschland gehören ein gewachsenes Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung, steigende Lebenshaltungskosten, die zum teilweisen Verzicht auf Genussprodukte führen, und der insgesamt rückläufige Alkoholkonsum der jüngeren Generation. Zu den internen Belastungsfaktoren der Spirituosenhersteller gehören hohe Energie-, Rohstoff- und Transportkosten.
In diesem Umfeld hat sich der Wettbewerb weiter verschärft. Viele Schnapsproduzenten, insbesondere kleine bis mittelgroße, kämpfen um den Verbleib in den schwarzen Zahlen. Längst nicht allen gelingt es. Geschäftsaufgaben oder M&A-Transaktionen sind die Folge. Operativ konzentrieren sich viele Anbieter stärker auf Premiumprodukte. Der Gedanke dahinter: In diesem Segment sind die Margen überdurchschnittlich hoch und die Käufer nur wenig preissensibel.
Bisherige Ziele unrealistisch
Einen anderen Weg geht die größte börsennotierte deutsche Brennerei: die mittelständische Berentzen-Gruppe aus Haselünne im Emsland. Nur zweieinhalb Jahre nach der Veröffentlichung der Konzernstrategie „Building Berentzen 2028“ sah sich die Unternehmensführung nun zu einer Revision gezwungen. „Die Gesellschaft als Ganzes und damit auch die Märkte, auf denen wir uns als Unternehmensgruppe bewegen, haben sich in der jüngeren Vergangenheit tiefgreifend und nachhaltig verändert – ein Prozess, der auch in den kommenden Jahren weiter andauern wird“, erklärt Vorstandssprecher Oliver Schwegmann.

Foto: Berentzen
Kern der alten Strategie war die verstärkte Fokussierung auf die Anfang 2023 wesentlichen Wachstumstreiber des Getränkeunternehmens: Berentzen (Weizenkorn), Puschkin (Wodka) und Mio Mio (koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk). Die Rohertragskraft der drei Marken liege deutlich über dem Konzerndurchschnitt, sagte Schwegmann seinerzeit der Börsen-Zeitung. Nach der damals veröffentlichten Mittelfristprognose – der ersten überhaupt – hatte Berentzen für 2028 einen Konzernumsatz von 235 Mill. Euro (von dem rund 90 Mill. Euro auf die drei Topmarken entfallen sollten) und ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 18 Mill. Euro avisiert. Von diesen Zielen ist der Vorstand nun deutlich abgerückt.
Prognosen für 2025 mehrmals gesenkt
„Die Berentzen-Gruppe strebt an, bis zum Jahr 2030 ihren Umsatz auf über 200 Mill. Euro zu steigern und ihre Ebit-Marge auf über 8% zu erhöhen“, heißt es nun. Selbst dafür muss in den nächsten fünf Jahren angesichts des schwachen Marktumfeldes ein steiler Weg bewältigt werden. 2024 setzte der Konzern 182 Mill. Euro um und kam bei einem Ebit von 10,6 Mill. auf eine Marge von 5,8%. Für dieses Jahr wurde die Umsatzprognose mit Bekanntgabe der Neunmonatszahlen das zweite Mal gesenkt: von 172 bis 178 Mill. Euro auf 165 bis 169 Mill. Euro. In der ersten Schätzung war der Vorstand noch von bis zu 190 Mill. Euro Erlös ausgegangen. Bereits im Juli war die Ebit-Schätzung von 10 bis 12 Mill. Euro auf 8,0 bis 9,5 Mill. Euro gekürzt worden. Die Entwicklung im Jahresverlauf war also deutlich schwächer als der Vorstand es zu Turnusbeginn erwartet hatte.
Fünf Trends mit Auswirkungen auf das Geschäft
Für die neue Konzernstrategie hat Berentzen zunächst fünf wesentliche Trends „mit konkreten Auswirkungen und Ableitungen für unser Geschäftsmodell“ identifiziert. Dazu zählt Schwegmann u.a. Longevity – also das Streben nach einem längeren und gesünderen Leben. Das Social Network Footprinting verändere, wie Marken sichtbar und relevant werden. Die Generationen Z und Alpha – also alle Menschen, die seit Mitte der 1990er Jahre geboren wurden – prägen laut dem CEO mit ihren eigenen Präferenzen, Sehnsüchten und Erwartungen Produktangebote und Einkaufsverhalten.„Berentzen Evolve 2030“ baut nun auf vier Säulen auf. „Wir werden in allen drei Segmenten – Spirituosen, Alkoholfreie Getränke und Frischsaftsysteme – Produkte entwickeln, die den Trends der Zukunft gerecht werden“, verspricht Schwegmann zuvorderst. Darüber hinaus sollen neue Märkte und neue Vertriebskanäle erschlossen werden.
Blicke richten sich auf den Mittleren Osten und Südostasien
Die steigende Kaufkraft einer zunehmenden Mittelschicht in Emerging Markets treibe dort die Konsumgüternachfrage an; dazu trage auch die Urbanisierung bei. Zu diesen aufstrebenden Regionen zähle der Mittlere Osten, Südostasien sowie einige Länder in Nordafrika und der Subsaharazone. „Für unser Geschäft mit premiumisierten Handelsmarkenprodukten haben wir daher eine umfassende Marktstrategie erarbeitet, um mit lokalen Partnern genau in diesen Regionen zu expandieren, um das Geschäft mit sogenannten Exklusivmarken für große Retailer aufzubauen“, erläutert Schwegmann.
Verbraucher wählen laut Schwegmann vermehrt neue Verkaufsstätten und Vertriebskanäle. Neben dem klassischen Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) werden für den Absatz von Getränken z.B. Drogerieketten, Bahnhofsgeschäfte, Kioske, Automaten, Tankstellen sowie der Online-Handel immer wichtiger. „Heute liegt der Fokus der Berentzen-Gruppe weitgehend auf dem Vertrieb im deutschen LEH", räumt Schwegmann ein und kündigt an: „Wir stellen uns breiter auf.“ Er gibt sich überzeugt, „dass wir in all unseren Geschäftsbereichen sowohl mit bestehenden als auch mit neuen Marken und Produkten Relevanz in weiteren Absatzkanälen herstellen können“. Dieses Jahr habe man im Drogerie-, Tankstellen- und Automatengeschäft mit der Mio-Mio-Dose begonnen.
Außerdem werde Berentzen in den nächsten Jahren "Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern systematisch ausloten und realisieren. Zunächst stehen dabei Vertriebskooperationen im Vordergrund“, so Schwegmann. Neben etablierten Kooperationsmodellen entstünden durch neue Modelle zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten.
Nichtalkoholische Getränke
Auch das bisherige Kerngeschäft biete signifikante Potenziale für Wachstum und steigende Profitabilität. „Mit Blick auf das Jahr 2030 ist uns aber klar, dass sich die Umsatzverteilung der einzelnen Segmente der Berentzen-Gruppe durch die Vielzahl an neuen Themen signifikant verschieben wird“, sagt Schwegmann. „Der Umsatzanteil der nichtalkoholischen Produkte wird deutlich zunehmen.“

Foto: Berentzen
Einer der jüngsten Erfolge mit der Kernmarke Berentzen war der Ausbau des dynamisch gewachsenen Geschäfts mit Minis unter der Marke Berentzen, der vorangetrieben werden soll. Bevor stünden eine umfassende Modernisierung der Marke Puschkin – die laut Schwegmann im nächsten Jahr erfolgen soll – und die Ausweitung des Geschäfts mit Fruchtpressen der Marke Citrocasa durch neue Maschinengenerationen.
