SERIE: AUTOKONZERNE AUF DEM PRÜFSTAND (2) - IAA

BMW tüftelt an neuer Wachstumsstrategie

Der seit Mitte Mai amtierende Konzernchef Harald Krüger soll den Autobauer mit der Digitalisierung in eine höhere Dimension führen

BMW tüftelt an neuer Wachstumsstrategie

Die Zeiten, in denen sich BMW als Marktführer im Premiumsegment bequem einrichten konnte, sind vorbei. Daimler macht mit einer Aufholjagd den Münchnern diese Position streitig. Zugleich gerät der chinesische Markt – zuvor ein verlässlicher Ergebnisbringer – ins Rutschen. Das nagt am Selbstbewusstsein des weiß-blauen Konzerns. Vor diesem Hintergrund steht der neue Vorstandschef Harald Krüger vor einem Berg von Arbeit, um BMW auf der Erfolgsspur zu halten. Mit einer neuen Wachstumsstrategie muss er die von seinem Amtsvorgänger Norbert Reithofer vorgegebene Fahrgeschwindigkeit beschleunigen und den Konzern in eine höhere Dimension führen.Von Stefan Kroneck, MünchenMit großer Spannung wartet der Markt auf die Strategieeckpunkte des neuen BMW-Chefs Harald Krüger, der seit Mitte Mai den Konzern lenkt. Dabei steht der frühere Produktionsvorstand unter hohem Zeit- und Erfolgsdruck, läuft es doch bei BMW nicht mehr ganz so rund wie in den vergangenen Jahren. Gut abzulesen ist dies an den wichtigsten Finanzkennziffern des Unternehmens. Die operative Rendite im Kerngeschäft Automobile schrumpft. Im ersten Halbjahr sackte diese um 1,8 Prozentpunkte auf 8,9 % ab. BMW befindet sich damit zwar immer noch bequem im Mittelfeld der eigenen langfristigen Zielbandbreite von 8 bis 10 %, die Rivalen Daimler (10 %) und Audi (9,8 %) übertrumpften den Ist-Wert der Münchner aber deutlich.Neben den üblichen Anlaufkosten für neue Modelle und Vorleistungen für modernere Antriebstechnologien drückten vor allem die Folgen der ins Stottern geratenen Weltkonjunkturlokomotive China auf die Marge. Im größten Einzelmarkt von BMW ist ein Preiskampf entbrannt. Daimler drückt ihre Fahrzeuge dem Vernehmen nach zu günstigen Konditionen in den Markt. Hinzu kommt eine verhaltener gewordene Nachfrage der chinesischen Verbraucher. Das trifft den Platzhirsch im Segment der Nobelkarossen, schließlich verkauft BMW mittlerweile jedes fünfte Auto im Reich der Mitte.Daran wird sich so schnell nichts ändern, schließlich bleibt China ein Wachstumsmarkt. Allerdings nicht mehr mit der Geschwindigkeit wie früher. Bei BMW spricht man von einer “Normalisierung”. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde gleicht sich im Automobilgeschäft zunehmend amerikanischen und europäischen Verhältnissen an. Entsprechend wird das Geschäft in China schwankungsanfälliger. Zugleich verliert das hochpreisige Auto in den gesättigten Märkten als Statussymbol an Bedeutung. Die Konsumenten achten verstärkt auf Umweltverträglichkeit. Im Bereich der Markenstrahlkraft rangiert Apple bei der jungen Generation vor BMW. Zugleich muss BMW – wie andere Hersteller auch – den strengeren Abgasnormen der EU-Politik Rechnung tragen.Auf all diese Herausforderungen müssen Krüger und sein Vorstandsteam nun rasch Antworten finden, die der Aufsichtsrat unter Reithofers Führung unterstützt. Dabei ebnete Reithofer seinem Nachfolger bereits den Weg. Mit einem grünen Anstrich verpasst er dem Konzern ein moderneres Image, was am Markt gut ankam. BMW investiert seitdem Milliarden in den Ausbau der Elektromobilität und Plug-in-Hybride als Ergänzung zum herkömmlichen Verbrennungsmotor. Der BMW i3 ist dabei nur ein Anfangsprodukt, schließlich ist die Reichweite dieses Fahrzeugs noch nicht so überzeugend. Vor diesem Hintergrund wird BMW unter Krüger die i-Baureihe ausweiten, allein schon deshalb, um den Wettbewerbern Paroli zu bieten. Es wird bereits spekuliert, dass BMW auf der diesen September stattfindenden Branchenmesse IAA in Frankfurt mit neuen Modellen die Werbetrommel rühren will. Ob dies so kommt, ist aber offen. Fakt ist jedoch, dass BMW mit einem Trend mitfährt, der aber noch nicht an Breite gewonnen hat.Gleichwohl ist auch für Krüger wie zuvor für Reithofer Apple ein Vorbild bei der Innovation. Das zeigt bereits die Namensgebung der i-Serie, die an iPhone erinnert. Vor diesem Hintergrund halten sich die Gerüchte, dass der US-Konzern und die Münchner gemeinsam an einem autonomen Fahrzeug tüfteln. Ungeachtet dessen, ob sich dies als wahr herausstellt oder nicht, die Stoßrichtung für den Neuen an der Spitze von BMW ist klar. Um sich im Wettbewerb weiterhin gut zu behaupten mit dem Anspruch der Technologieführerschaft, muss BMW auf die Karte Digitalisierung setzen, wo mancher schon eine Revolution für die Autobranche vorhersieht. Das signalisierte Krüger bei Vorlage der Halbjahreszahlen Anfang August, als er davon sprach, dass die gemeinsame Übernahme der Nokia-Kartendienstes Here mit Daimler und Audi ein Baustein in diese Richtung sei. Weitere Schritte von BMW bei diesem Thema würden folgen. MilliardenprogrammBMW zielt wie ihre schärfsten Wettbewerber mit der Digitalisierung auf noch mehr Nutzerservice für den Fahrzeughalter ab, was verkaufsfördernd sein soll. Somit ist das D-Wort ein Schlüssel zu Krügers Wachstumsstrategie, die seinen Worten zufolge bis 2025 und darüber hinaus Bestand haben soll. Ob dieses Konzept aber tatsächlich eine neue Dynamik im Vertrieb entfaltet, steht zunächst in den Sternen. Abzusehen ist aber bereits, dass dieser Weg neue Milliarden verschlingen wird, was auf die Rendite drückt. Fest steht auch, dass dieses Konzept vom herkömmlichen Geschäft subventioniert werden muss. Und bei Letzterem spielt aus Sicht von BMW nach wie vor die Musik. Neben China ist BMW auf ihre beiden anderen regionalen Säulen USA und Westeuropa angewiesen. Zieht die Krise in China die westlichen Volkswirtschaften ebenfalls in Mitleidenschaft, wird es für BMW schwieriger, den eigenen Ansprüchen bei den Finanzkennzahlen gerecht zu werden.Krüger wäre dann – wie zuvor Reithofer – gezwungen, mit Einschnitten gegenzusteuern. Sein Nachfolger reagierte damals vor Beginn der Finanzmarktkrise rechtzeitig und vorausschauend, was BMW einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz verschaffte. Seit dem überwundenen Branchenkrisenjahr 2009 kennt das Unternehmen nur noch eine Richtung: nach oben. Wachsende KomplexitätDamit dies so weitergeht, wird Krüger den Konzern auf den Prüfstand stellen, um eventuell Effizienzmängel auszuloten und zu beseitigen. Denn BMW ist viel komplexer geworden als noch zu Reithofers Amtsantritt im September 2006.Das Unternehmen baut seine Fertigungskapazitäten weltweit aus. Neue Standorte in Mexiko und Brasilien werden erschlossen. Vor diesem Hintergrund wird Krüger präzisieren müssen, wohin die Reise beim Volumen gehen soll. Vor zwei Jahren übertraf BMW bereits die Schwelle von 2 Millionen abgesetzten Fahrzeugen der Marken BMW, Mini und Rolls-Royce, was ursprünglich eigentlich erst im Jubiläumsjahr 2016 – wenn der Konzern sein 100-jähriges Bestehen feiert – erreicht werden sollte. In diesem Jahr steuert BMW 2,3 Millionen verkaufte Autos an. Wo soll das Unternehmen nach Krügers Vorstellung im Jahr 2025 stehen? Bei 3, 4 oder gar 5 Millionen? Hält das Absatzwachstum mit dem bisherigen Tempo an, steht BMW auf absehbare Zeit an der Schwelle zu einem Volumenhersteller, mit all den Problemen und Sorgen, die dieser hat. VollsortimenterUnstrittig ist, dass sich BMW zu einem Vollsortimenter entwickelt hat, der neben den renditestarken großen Fahrzeugen auch zunehmend Kompaktmodelle anbietet, die geringere Deckungsbeiträge erzielen. Somit hängt der Erfolg von BMW auch künftig weitgehend davon ab, wie geschickt die Konzernführung den Modellmix zwischen BMW und Mini beim Fahrzeugabsatz steuert.Die großen Renditebringer wie die BMW-5er-, -7er- und die Xer-Baureihen werden weiterhin über das Wohl und Wehe des Unternehmens bestimmen. Insofern wundert es nicht, dass BMW trotz des Hype um die Digitalisierung auf der IAA einen Werberummel macht um die neue 7er-Generation, die im Herbst auf den Markt kommen soll. Mit dieser neuen Variante erhoffen sich die Münchner wieder einen Schub in China. Wie wichtig dem Unternehmen dies ist, zeigte Krüger im Juni, als er anlässlich des Produktionsstarts der neuen BMW-7er-Baureihe von der “geballten Innovationskraft” des Unternehmens schwärmte.Auf diese Innovationskraft wird es ankommen, wenn der familiendominierte BMW-Konzern im Zeitalter der Digitalisierung auch künftig seine führende Position im Premiumsegment verteidigen will.—-Bisher erschienen:- Volkswagen, 28. August