„Brüssel sollte mutiger kürzen“
„Brüssel sollte mutiger kürzen“
Im Gespräch: Thomas Siwik
„Brüssel sollte mutiger kürzen“
Der ESG-Scoring-Experte über Berichtsstandards für kleine und mittlere Unternehmen und die Konsistenz der Vorgaben für Banken und Firmen
Von Detlef Fechtner, Brüssel
Mit dem VSME, einem Berichtsstandard mit reduzierten Anforderungen, soll Mittelständlern das Finanz- und Nachhaltigkeits-Reporting erleichtert werden. Thomas Siwik, Geschäftsführer bei Credarate Solutions, begrüßt die Initiative, ist aber überzeugt, dass die Pflichten noch deutlich weiter verringert werden sollten.
Der freiwillige Nachhaltigkeits-Berichtsstandard für kleine und mittlere Unternehmen – der VSME – stellt zwar, verglichen mit den Anforderungen an berichtspflichtige Unternehmen, eine deutlich abgespeckte Vorgabe dar. „Der VSME hat aber nach meiner Einschätzung immer noch einen zu großen Umfang“, sagt Thomas Siwik, Geschäftsführer von Credarate, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Credarate ist ein Dienstleister, der Banken Ratingverfahren als Software-as-a-Service zur Verfügung stellt, mit denen sie die Bonität ihrer Schuldner beurteilen. Seit 2020 fließen dabei auch ESG-Risiken ein, die mit dem ESG-Scoring von Credarate bewertet werden.
Die EFRAG, das Gremium, das die EU-Kommission in Fragen der Standards für die Finanz- und Nachhaltigkeits-Berichterstattung berät, hat den VSME entwickelt. „Der VSME ist eine begrüßenswerte Initiative“, unterstreicht Siwik. Die Datenpunkte würden deutlich reduziert, die Richtung stimme und eine Entlastung sei dringend notwendig. Aber man könnte die Anforderungen noch deutlich weiter verringern. „Brüssel sollte mutiger kürzen“, lautet Siwiks Plädoyer.
Der Credarate-Manager gibt ein Beispiel: Bestimmte Abfragen etwa zur Beschäftigungssituation könnten aus seiner Sicht reduziert werden. Es gebe immer noch viel Potenzial, wie die EU – über die Omnibus-Pläne hinaus – die Reportingpflichten für kleine und mittlere Unternehmen praxisnäher gestalten könnte. Gleichzeitig ließe sich so sicherstellen, dass Banken dennoch ein aussagekräftiges Bild der nicht-finanziellen Kennzahlen ihrer Kunden erhalten.
Einige Inkonsistenzen mit Bankenaufsichtsrecht
Siwik weist zugleich auf ein Problem hin: Die Anforderungen seien nicht in allen Fällen konsistent zum Bankenaufsichtsrecht. „Es wäre sehr hilfreich, wenn die EU-Kommission die Anforderungen vollständig mit den Entsprechungen im Bankenaufsichtsrecht, also insbesondere mit den Richtlinien zum ESG-Risikomanagement der EU-Bankenaufsichtsbehörde EBA, abstimmen würde.“ Ausweislich der Konkordanztabelle in der Empfehlung der EU-Kommission sei ein solcher Abgleich mit der „EBA Säule II“ nicht vorgenommen worden. Es wäre wünschenswert gewesen, die Anforderungen kohärent zu gestalten, so Siwik.
Ein Beispiel sei etwa die Emissions- und Energieeffizienz bei Immobilien. Die Bankaufsicht verlange von den Instituten einen genauen Blick auf die Energieeffizienz der Assets ihrer Kreditkunden. Der VSME fordere indes keine Darstellung der Emissions- und Energieeffizienz des Gebäudebestands eines Unternehmens.
Die Banken müssten selbstverständlich die Anforderungen der EBA erfüllen – und stehen daher in engem Austausch mit ihren Kreditkunden. Dabei entsteht ein hoher bürokratischer Aufwand, wenn Mittelständler die VSME-Vorgaben erfüllen wollten, während die Banken gleichzeitig den EBA-Richtlinien nachkommen müssten. Gerade an dieser Schnittstelle wäre mehr Konsistenz zwischen den Anforderungen von Vorteil.
Drei Risiken: Klima/Umwelt, Treibhausgas und Energieeffizienz
Schließlich sagt Siwik worüber Unternehmen im Zuge ihres ESG-Reportings berichten sollten. „Grob gesagt sind das drei Aspekte: physische, einschließlich klimatische Umweltrisiken, Treibhausgasemissionen sowie Energieeffizienz.“ Für bestimmte Branchen komme Biodiversität hinzu. Unternehmen mit internationaler Lieferkette seien zudem geopolitischen Risiken und Risiken aus der Verletzung von Menschenrechten ausgesetzt. Dies seien fundamentale ESG-Faktoren, die in Abstufungen auch für kleine Unternehmen relevant sein könnten.
In der Praxis würden jedoch viele Datenpunkte zusätzlich abgefragt – obwohl sie für das unternehmerische Risiko der meisten SME kaum entscheidend seien. Hier bestehe die Gefahr einer Überregulierung.
