Streit um Compliance-Richtlinien

Chaostage bei der Baywa

Nach dem Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Baywa sucht der Agrarhandel- und Energiemischkonzern einen neuen Chefaufseher. Der Streit um die Auslegung von Compliance-Regeln wirft ein Schlaglicht auf die Corporate Governance des Münchner SDax-Mitglieds.

Chaostage bei der Baywa

Chaostage bei der Baywa

Rücktritt des Chefaufsehers nach Streit um Compliance-Regeln wirft ein Schlaglicht auf die Corporate Governance des Agrarhandelskonzerns

Von Stefan Kroneck, München

Wenn in einem börsennotierten Großkonzern der Aufsichtsratsvorsitzende und der Vorstandschef derart aneinandergeraten, dass nach einem Showdown der Chefaufseher das Handtuch wirft, liegt in der gelebten Corporate Governance des betroffenen Unternehmens einiges im Argen. So geschah es dieser Tage beim Münchner Agrarhandels- und Energiemischkonzern Baywa, dass der Vorsitzende des Kontrollgremiums, Klaus Josef Lutz, nur acht Monate nach der Amtsübernahme plötzlich seinen Rücktritt erklärte, nachdem er sich in einer von ihm selbst einberufenen Sondersitzung des Organs nicht mit seinem Plan durchsetzen konnte, den CEO Marcus Pöllinger wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen Compliance-Regeln fristlos zu entlassen. Stattdessen konnte der 65-jährige Jurist, der das Münchner SDax-Mitglied zuvor fast 15 Jahre selbst geführt hatte, in dem 16-köpfigen Gremium offensichtlich keine Mehrheit finden, um andere Mitglieder von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen.

Selbst Ankeraktionäre verweigern sich

Statt Pöllinger, der erst im April 2023 auf Lutz an der Firmenspitze folgte, verließ nun Lutz das traditionsreiche Unternehmen Knall auf Fall. Die Baywa ließ nach der Sitzung verlautbaren, dass der Aufsichtsrat dem 45-jährigen CEO das „uneingeschränkte Vertrauen“ ausgesprochen habe. Das saß. Nach dieser Niederlage in dem Machtkampf sah Lutz wohl keine Möglichkeit mehr, den Aufsichtsrat weiter zu führen. Er selbst sprach gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ von „unterschiedlichen Auffassungen zu Geschäftsvorfällen“. Für ihn seien „Grundsätze der Corporate Governance nicht verhandelbar“. Sein Mandat wäre noch bis 2028 gelaufen. Die Mehrheit der Organmitglieder sah in Pöllingers Verhalten keinen Verstoß gegen Richtlinien guter Unternehmensführung. Dazu gehörten vermutlich auch die Vertreter der beiden Ankeraktionäre aus dem Genossenschaftssektor. Dabei handelt es sich um die Bayerische Raiffeisen-Beteiligungs AG (38,1% des Grundkapitals) und die Raiffeisen Agrar Invest (28,1%) mit Sitz in Korneuburg in Österreich.

Die Vorgänge zeigen, dass Lutz die Sondersitzung wohl schlecht vorbereitete und die Machtverhältnisse völlig fehleinschätzte. In besonders heiklen Fällen wie diesem wäre zu erwarten gewesen, dass der Chefaufseher vor dem Treffen Meinungen auslotet und Mehrheiten sichert, um Fakten zu schaffen. Mancher Teilnehmer könnte Lutz` Vorgehen möglicherweise als persönliche Fehde gegen Pöllinger interpretiert haben.

Transparenzmangel schreckt ab

Auf Nachfrage wollte eine Unternehmenssprecherin keine Details über das Thema der Auseinandersetzung nennen. Der Aufsichtsrat hüllt sich bei dieser Angelegenheit also in Schweigen.

Dabei fordern vor allem institutionelle Investoren auf dem hochsensiblen Feld Compliance immer mehr Transparenz von Emittenten ein. Ansonsten sehen diese von Investments in jene Unternehmen ab, die diesen Erwartungen nicht nachkommen. Die Baywa schadet sich mit dieser verhaltenen Kommunikationspolitik daher nur selbst. Am Dienstag, drei Tage nach dem Paukenschlag im Konzern, gewann die Baywa-Aktie zeitweise 0,4% auf 28,60 Euro an Wert. Pöllingers Zwischenbilanz auf diesem Gebiet fällt aber schwach aus: Seit seinem Amtsantritt büßte das Papier ein Viertel ein. Nach dem „Ausnahmejahr“ 2022 musste die Baywa 2023 kleinere Brötchen backen. In den ersten neun Monaten schrumpfte der Umsatz um 10% oder fast 2 Mrd. auf 18,2 Mrd. Euro. Das Betriebsergebnis brach um 47% auf 218 Mill. Euro ein. Der Konzern legt seine Jahresbilanz am 28. März vor.

Zu erwarten ist, dass die Führungskrise ein großes Thema auf der kommenden ordentlichen Hauptversammlung der Firma am 11. Juni dieses Jahres sein wird. Schließlich stellt der Zwist eine Zäsur in der 100-jährigen Unternehmensgeschichte dar. Lutz baute zuvor Pöllinger als Nachfolger auf. Der Betriebswirt ist ein Eigengewächs des Unternehmens. Der Manager stieg 2018 in den Vorstand auf. Unter Lutz` Regie verantwortete Pöllinger die Bereiche Agrar, Technik, Bau, Energie und später noch IT. Als CEO fallen unter seinen Zuständigkeitsbereich u.a. die Gebiete Compliance und Governance.  

Suche nach neuem Gremiumsvorsitzenden

Unterdessen ist der Aufsichtsrat auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger von Lutz. Für eine Übergangszeit übernahm Bernhard Loy (Jahrgang 1966) von der Arbeitnehmerseite den Vorsitz des Gremiums automatisch. Der stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzende war zuvor Lutz` erster Stellvertreter in dem Kontrollorgan. Die nun vakante Position wird die Baywa per Gerichtsbeschluss nachbesetzen, wie es in solchen Fällen üblich ist. Aus den Reihen des dann wieder vollständig besetzten Kontrollgremiums wird ein Vertreter der Kapitalseite den künftig neuen Aufsichtsratsvorsitzenden stellen. Wie aus dem Unternehmen zu hören ist, dürfte das in wenigen Wochen geschehen. Dieser Zeitplan lässt schlussfolgern, dass die Baywa sich darum bemüht, nach dem dubiosen Konflikt in der obersten Etage so schnell wie möglich wieder zur Normalität zurückzukehren.

Nach dem plötzlichen Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Baywa sucht der Agrarhandel- und Energiemischkonzern einen neuen Chefaufseher. Der Streit um die Auslegung von Compliance-Regeln deckt Problemfelder auf in der Corporate Governance des traditionsreichen Münchner SDax-Mitglieds.