Chemieindustrie läuft Sturm gegen Gasumlage
cru Frankfurt
Nach der Verstaatlichung des größten deutschen Gasimporteurs Uniper, der für 40% der deutschen Gasversorgung steht, spitzt sich die Kritik der Wirtschaft an der geplanten Gasumlage zu. Deutlichere Worte hätte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) kaum finden können, um die Bundesregierung aufzufordern, von der Einführung des Gasumlage abzusehen. „Wir brauchen jetzt einen klaren Schnitt, die Gasumlage muss vom Tisch“, sagte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des VCI, dessen Mitgliedsfirmen 220 Mrd. Euro umsetzen und 530 000 Mitarbeiter beschäftigen. „Unsere Unternehmen können auch kurzfristig keinerlei weitere Belastungen mehr verkraften“, warnt der Lobbyist. Allein die geplante Gasumlage wäre so hoch wie der komplette US-Gaspreis. Die Energiekosten müssten besser heute als morgen sinken, „die Lage wird immer dramatischer“.
In dasselbe Horn stößt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie im Wirtschaftsforschungsinstitut DIW in Berlin: „Die Notwendigkeit der Gasumlage ist so nicht mehr gegeben, sie sollte abgeschafft werden, da sonst praktisch doppelt bezahlt werden würde“, fordert Kemfert. „Man sollte die Schuldenbremse aufweichen, damit wir die dringend notwendige Transformation bezahlen können.“ Zudem sollten die Einnahmen der Übergewinnsteuer dafür genutzt werden und fossile Subventionen abgeschafft werden.
„Durch die Verstaatlichung von Uniper entfällt einer der wichtigsten Gründe dieser Extra-Belastung“, sagte die Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Ramona Pop. Angesichts der weiter steigenden Energiepreise sollte die Bundesregierung Verbrauchern keine zusätzlichen Kosten aufbürden. „Die höheren Beschaffungskosten für Energieversorger sollten stattdessen aus Steuermitteln getragen werden.“
Mit der Gasumlage sollen laut Trading Hub Europe – dem „Marktgebietsverantwortlichen“ für die Koordinierung der deutschen Gasnetzbetreiber – bis zu 34 Mrd. Euro bei den Gasverbrauchern eingetrieben werden. Mit dem Geld würden diejenigen Gasimporteure entlastet, die wegen der seit Beginn des Ukraine-Kriegs ausbleibenden russischen Lieferungen nun teureres Gas am Spotmarkt einkaufen müssen, um ihre Lieferverträge bei Stadtwerken und großen Unternehmen zu erfüllen. Im Kern käme die nach anfänglicher Kritik bereits einmal überarbeitete Gasumlage nun nur noch den Gasimporteuren Uniper, VNG sowie Sefe zugute – alle drei sind bereits sehr staatsnah. Uniper wird in drei Monaten zu 99% dem Bund gehören. Bei VNG, die 2021 rund 18,5 Mrd. Euro Umsatz machte und 20% zur deutschen Gasversorgung beiträgt, sind die Gespräche über ein Rettungspaket, das neben Krediten auch eine Verstaatlichung umfassen könnte, bereits weit gediehen. Wann sie zu einem Abschluss kommen, wollte eine Sprecherin des Leipziger Gashändlers nicht kommentieren, der bisher dem baden-württembergischen Energiekonzern EnBW gehört, dessen Mehrheitseigentümer wiederum Land und Kommunen sind. Auch Sefe mit Sitz in Berlin ist schon fast verstaatlicht: Die ehemalige Gazprom Germania wurde auf Basis des Energiesicherheitsgesetzes bereits vor einigen Monaten unter die unbefristete Treuhandschaft der Bundesnetzagentur gestellt.
Laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck soll die Gasumlage trotz aller Kritik ab Oktober gelten und auch Uniper zugutekommen. Der Staat werde zudem alles Nötige tun, um Firmen zu stützen. Das gelte auch für den ebenfalls in Schieflage geratenen Gaskonzern VNG. Mit der Verstaatlichung Unipers wird die Insolvenz des größten deutschen Gasimporteurs verhindert – und damit gleichzeitig eine Kettenreaktion, die Fabriken zum Stillstand bringen würde und Haushalte ohne Heizung ließe. Dieselben Befürchtungen sind der Grund für die Diskussionen über die Verstaatlichung von VNG und der früheren Gazprom-Einheit. Die Bundesregierung hat auch die Kontrolle über die lokale Einheit des russischen Ölkonzerns Rosneft übernommen, um die wichtige Raffinerie in Schwedt zu sichern, die Berlin mit Kraftstoff versorgt. Die Gefahr von Energieengpässen hat sich auf ganz Europa ausgeweitet. Laut der Denkfabrik Bruegel sind die öffentlichen Ausgaben zur Eindämmung der Krise in der Europäischen Union, Großbritannien und Norwegen auf eine halbe Billion Euro angestiegen.
Die Verluste von Uniper, die durch die Suche nach alternativen Lieferanten für Russland entstehen, werden laut Bloomberg Intelligence in diesem Jahr wahrscheinlich mehr als 18 Mrd. Euro betragen. Das Unternehmen hat bereits für das erste Halbjahr einen Verlust von mehr als 12 Mrd. Euro ausgewiesen – einer der größten Fehlbeträge in der deutschen Unternehmensgeschichte.
In der gesamten Europäischen Union lag der Gasverbrauch 2021 bei 412 Mrd. Kubikmetern. Das sind 22% des gesamten Primärenergieverbrauchs. Rund 94 Mrd. Kubikmeter entfielen auf Deutschland – den mit Abstand größten Gasverbraucher in Europa.