Neuer Vorstand von Cherry muss viel nachbessern
Im Gespräch: Oliver Kaltner
Der neue Vorstand muss viel nachbessern
Der CEO von Cherry ist mit Versäumnissen der Vergangenheit beschäftigt, will aber bald zu kräftigem Wachstum und höherer Profitabilität zurückkehren
Von Joachim Herr, München
Gut zwei Jahre nach dem Börsengang liegt der Aktienkurs des Computertastaturen-Herstellers Cherry unter 15% des Emissionspreises. Das liegt auch an Fehlern in der Planung und Steuerung des Unternehmens. Oliver Kaltner, der seit Beginn dieses Jahres Vorstandschef ist, setzt hier für Verbesserungen an.
Der neue Vorstand von Cherry hat sich viel vorgenommen. 2023 ist das Jahr des Übergangs und der Konsolidierung. Danach will das Unternehmen mit Sitz in München, das Computermäuse, Tastaturen, Schalter und Eingabegeräte für Gaming, Büro, Industrie und das Gesundheitswesen herstellt, zu kräftigem Wachstum zurückkehren.
Gelingen soll dies unter anderem mit einem verbesserten Vertrieb, mehr internationalem Geschäft und Zukäufen, wie Oliver Kaltner im Gespräch mit der Börsen-Zeitung berichtet. Er ist seit Beginn dieses Jahres Vorstandsvorsitzender von Cherry. Auch Finanzvorstand Mathias Dähn und der fürs operative Geschäft verantwortliche Udo Streller sind noch nicht lange in dem Unternehmen: Dähn seit April dieses Jahres, Streller ein Jahr länger.
Falsch kalkuliert
Im Jahr des Übergangs arbeitet Kaltner daran, Planung und Steuerung des Unternehmens zu verbessern. „Die Steuerung von Vertrieb, Finanzen und Produktion war nicht optimal aufeinander abgestimmt“, sagt der Vorstandschef. „Die Folge war ein zu hoher Warenbestand.“ Das Arbeiten von zuhause während der Corona-Pandemie gab der Nachfrage nach Tastaturen und Computermäusen 2020 und 2021 einen Schub. Der damalige Vorstand kalkulierte damit, dass sich das länger fortsetzt, und erkannte Marktentwicklungen erst spät.
Auch für andere Aufgaben spricht Kaltner von Nachholbedarf. „Das war mir alles bewusst, als ich hier angefangen habe“, betont er. Seine Kritik am früheren Management fällt verhalten aus. Die Übergabe seines Vorgängers Rolf Unterberger an ihn sei professionell gewesen. Unterberger habe die Basis für die Digitalisierung geschaffen, sagt Kaltner. Der Kern der Story für den Börsengang vor zwei Jahren sei das Schaltergeschäft gewesen. Schalter blieben wichtig, seien aber nicht mehr das zentrale Element. „Der Nukleus meiner Mission liegt auf dem Geschäftsmodell basierend auf Hardware, Software und Cloud-Angeboten.“ Das reine Hardwaregeschäft allein wäre zu wenig.
„Schneller und akkurater“
Ein anderes Beispiel für Verbesserungsbedarf ist die Finanzberichterstattung, in der seit dem Börsengang Fehler gemacht worden seien. „Jetzt sind wir in der Lage, schneller und akkurater Monatsergebnisse zu bilanzieren und Quartalsberichte vorzulegen.“ Auch im Kostenmanagement sieht Kaltner viel Potenzial für eine höhere Profitabilität: etwa mit Blick auf die Produktkosten sowie die Ausgaben für Entwicklung, Vertrieb und Marketing. „Da liegt noch eine Menge Arbeit auf dem Tisch.“ Es gehe ihm insgesamt mehr darum, das Geschäft zu steuern, und weniger um das Kontrollieren. Abläufe würden nun besser organisiert. „Ich möchte zum Beispiel zu jedem Zeitpunkt wissen, wo liegt unsere Ware, und ich möchte jede Woche unsere Durchverkaufsquoten haben, um weitere Reinverkaufsmengen danach auszurichten.“
Dass es viel zu tun gibt, zeigt allein der Blick auf den Aktienkurs. Ende Juni 2021 ging das Unternehmen an die Frankfurter Börse. Die im Prime Standard notierten Anteile wurden zum Stückpreis von 32 Euro ausgegeben und erreichten bald darauf den Höchststand von 39 Euro. Doch dann ging es steil bergab. Der Kurs stürzte bis auf das im Juni dieses Jahres erreichte Tief von 3,49 Euro. Aktuell liegt er zwischen 4,00 und 4,50 Euro. Das ergibt eine Marktkapitalisierung von gut 100 Mill. Euro. Auf dem Höhepunkt waren es rund 950 Mill. Euro.
Negatives Ergebnis
Im vergangenen Jahr sank der Umsatz von Cherry um mehr als ein Fünftel auf 133 Mill. Euro, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) war negativ und unter dem Strich stand ein Verlust von fast 36 Mill. Euro. Zu schaffen macht dem Unternehmen das schlechte Konsumklima, nachdem während der Corona-Pandemie die Lieferketten gestört gewesen sind, was vor allem das chinesische Cherry-Werk in Zhuhai getroffen hat.
In der Entwicklung in der ersten Hälfte dieses Jahres und aktuell erkennt der Vorstand erhebliche Fortschritte. Im zweiten Quartal gab der Umsatz nur noch leicht auf 32,6 Mill. Euro nach und stieg verglichen mit dem ersten Abschnitt um rund 14%. Das Ebit war von April bis Juni mit 0,85 Mill. Euro positiv, für die ersten sechs Monate ergeben sich jedoch −5,7 Mill. Euro. Das dritte Quartal sei solide gewesen, berichtet Kaltner. Er sei zuversichtlich, die für dieses Jahr gesteckten Ziele zu erreichen.
Entscheidende Messgröße der Profitabilität ist für den Vorstand die um Sondereffekte bereinigte Ebitda-Marge, die im zweiten Quartal auf 13,8% zulegte. 10 bis 14% sollen es im gesamten Jahr sein. Mittelfristiges Ziel ist eine Rückkehr zu einer Marge von mehr als 20%. 2021, dem Jahr des Börsengangs, waren es 29%, im Jahr darauf nur noch 11,5%.
E-Rezept soll Schub bringen
Einen Schub für das Geschäft verspricht sich Kaltner in der Gesundheitssparte vom E-Rezept. Vom 1. Januar 2024 an ist es Pflicht für die Versorgung mit Arzneimitteln. Cherry bietet für die Digitalisierung in Krankenhäusern und Arztpraxen Hardware wie Kartenlesegeräte und Software an und will das Geschäft mit dem Zukauf von Unternehmen auf dem Gebiet „Software as a Service“ ausbauen. Eine Erweiterung um das Cloud-Geschäft sei auch für die anderen Segmente vorgesehen, berichtet Kaltner.
Die Sparte Digital Health werde hier den Anfang machen. Da das E-Rezept und die elektronische Patientenakte bisher nur langsam vorankamen, sank der Umsatz dieser Sparte in der ersten Hälfte dieses Jahres von 13,7 Mill. auf 8,1 Mill. Euro. Das entsprach gut 13% des Konzernerlöses.