Der nächste Börsenkandidat aus dem Thyssen-Portfolio
Der nächste Börsenkandidat aus dem Thyssen-Portfolio
Im Gespräch: Ilse Henne und Daniel Wodera
Der nächste Börsenkandidat aus dem Thyssen-Portfolio
Material Services kämpft um Sichtbarkeit am Kapitalmarkt – Transformation zum Lieferkettenmanager – CFO: Unser größtes Asset ist die Kundenbeziehung
Von Annette Becker, Essen
Nach dem Spin-off der Marinesparte läuft sich mit dem Werkstoffhandel der nächste Geschäftsbereich aus dem Portfolio von Thyssenkrupp für den Börsengang warm. Um kapitalmarktfähig zu sein, muss die Transformation vom Materialhändler zum Lieferkettenmanager zunächst noch weiter vorangetrieben werden, erläutern CEO Ilse Henne und Finanzchef Daniel Wodera im Gespräch. Sie lassen keine Zweifel aufkommen, dass sie dabei aufs Tempo drücken.
Mit dem Spin-off der Marinesparte ist bei Thyssenkrupp der Startschuss für den Umbau des Konzerns zu einer Finanzholding gefallen. Der erste Handelstag der TKMS-Aktie macht Lust auf mehr. Entsprechend läuft sich der Werkstoffhandel Material Services (MX) zum Gang aufs Börsenparkett langsam warm, auch wenn das von Analysten vergebene Etikett „Kronjuwel“ aus dem Portfolio von Thyssenkrupp wohl TKMS vorbehalten bleiben dürfte.
Damit der Börsengang in Angriff genommen werden kann, muss zunächst die Sichtbarkeit am Kapitalmarkt erhöht werden, wird Thyssenkrupp doch allzu oft mit der angeschlagenen Stahlsparte gleichgesetzt. Es sei die Aufgabe des Spartenvorstands, mehr Fokus auf das Asset zu lenken, räumt Finanzchef Daniel Wodera im Gespräch mit der Börsen-Zeitung ein. Zum Zeitplan für den mutmaßlichen Börsengang will er sich nicht äußern.
Das Geschäftsmodell sei spannend und arbeite profitabel. „Wir sind in jeder Marktphase in der Lage, einen positiven Cashflow auszuweisen“, zählt Wodera die Vorzüge auf. Dazu gehört auch, dass der Kapitalbedarf im Boom am größten ist und im Abschwung mehr Geld freigesetzt wird. Dadurch könne sich MX selbst finanzieren. Aber: „Um kapitalmarktfähig zu sein, müssen wir die Transformation des Geschäftsmodells weiter vorantreiben und die Organisation vorbereiten. Wir haben noch nicht alle erforderlichen Abteilungen aufgebaut“, sagt der Finanzchef.
Transformation vorantreiben
Dass MX die Kapitalkosten in den vergangenen beiden Jahren nicht verdiente, sieht Spartenchefin Ilse Henne dagegen nicht als Problem an: „Die Kapitalkosten betrachten wir immer über den Zyklus hinweg. So schauen auch Wettbewerber und Investoren auf diese Kennzahl. Und über die Zyklen hinweg haben wir unsere Kapitalkosten immer verdient.“
Die im vorigen Jahr in Deutschland eingeleitete Restrukturierung, in deren Folge 450 Stellen gekappt und sieben Standorte geschlossen wurden, ist abgeschlossen. Langfristig will sich MX als Lieferkettendienstleister positionieren. „Wir übertreffen unseren Wettbewerb, weil uns mit der Strategie ‚Material as a Service‘ der Wandel vom reinen Materialverkäufer über die Anarbeitung von Material bis hin zum vollwertigen Lieferkettenmanager gelingt“, sagt Henne. In den USA, auf die ein Umsatzanteil von knapp 37% entfällt, sei MX beim Umbau schon recht weit gekommen. „Jetzt müssen wir auch hier mit der Implementierung der Strategie weiter vorankommen“, erläutert Henne.

Thyssenkrupp Material Services
Noch ist ein weiter Weg zu gehen, entfielen im vorigen Geschäftsjahr vom Spartenumsatz von 12,5 Mrd. Euro doch 60% auf das niedrigmargige Segment Distribution & Trading, 24% auf Processing und nur 16% auf das Zukunftsgeschäft Solutions. Das lässt sich auch an der mageren operativen Marge ablesen. Sie lag im Geschäftsjahr 2023/24 (30. September) bei 1,7%. „Unser Renditeziel von 2 bis 3% Ebit-Marge, also das Ziel, das sich Thyssenkrupp für dieses Segment 2021 als mittelfristiges Ziel gesetzt hat, hat Bestand. Aber wir sehen auch, dass wir im Zuge der Transformation des Geschäftsmodells einen höheren Margenanspruch haben“, sagt Wodera.
Das Momentum, das wir gerade haben, ist gut, um an den Kapitalmarkt zu gehen.
Daniel Wodera
Konjunktureller Gegenwind
Dass die Transformation gelingt, daran besteht für das Management kein Zweifel. „Das Momentum, das wir gerade haben, ist gut, um an den Kapitalmarkt zu gehen“, ist der CFO überzeugt. Das verwundert insofern, als der konjunkturelle Gegenwind auch Material Services ins Gesicht weht. „In den USA sehen wir, dass Unternehmen Produktionsprozesse ins Inland zurückholen. Für Europa sind wir zuversichtlich, dass sich auch hier das Blatt wieder wendet – auch durch öffentliche Investitionen und Sondervermögen, etwa für Infrastruktur“, sagt Wodera. Hinzu komme der Wandel von einer globalen in eine multipolare Welt, ergänzt Henne. „Wachstum ergibt sich für uns auch daraus, dass Unternehmen, die unter Anpassungsdruck stehen, versuchen, ihre Kosten zu flexibilisieren. Dann kommen wir ins Spiel.“
Alle Kunden hätten in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, wie brüchig Lieferketten sind. Von daher ändere sich der Kundenbedarf. „Unser größtes Asset ist die Kundenbeziehung, die wir über den Materialhandel aufgebaut haben. Darauf aufbauend können wir dann neue und andere Bedarfe der Kunden bedienen“, erläutert Wodera. Wenn heute ein Kunde mit europäischem Netzwerk über die Verlagerung der Produktion in die USA nachdenke, stehe Material Services dank der breiten Aufstellung dies- und jenseits des Atlantiks bereit. Mit dem Ausbau des Servicegeschäfts vertiefe MX zugleich die Kundenbindung und werde weniger austauschbar.
Entfesselung
Die Verselbständigung der einzelnen Geschäfte aus dem Thyssenkrupp-Portfolio ist jedoch kein Selbstzweck, sondern soll die Geschäfte entfesseln. „Jedes Segment soll sein Potenzial heben, auch wenn das bedeutet, die Corporate Struktur neu zu denken und über die Zeit aus Thyssenkrupp eine Finanzholding zu machen“, sagt Henne, die seit 2024 auch im Konzernvorstand sitzt. Das ganze Set-up des Konzerns sei für die einzelnen Geschäfte nicht sehr vorteilhaft gewesen, resümiert sie rückblickend und verweist darauf, dass es „echte Synergien (zwischen den Konzerngesellschaften) nie gegeben hat“.
Echte Synergien (zwischen den Konzerngesellschaften) hat es nie gegeben.
Ilse Henne
MX bekam das leidvoll zu spüren, wurde der Cashflow doch Jahr für Jahr zum Stopfen der Liquiditätslöcher in anderen Geschäften genutzt. „Wir haben in den vergangenen Jahren eine gute Dividende an unseren Shareholder ausgeschüttet“, umschreibt Wodera diesen Tatbestand und folgert daraus: „Die Art, wie wir unser Geschäftsmodell managen, macht uns auch in der Zukunft dividendenfähig. Gleichzeitig bleibt genug übrig, um Wachstumschancen zu nutzen.“ Akquisitionen sind dabei keineswegs ausgeschlossen, wenngleich noch ferne Zukunftsmusik. „Partnerschaften sind vielleicht nach der Verselbständigung ein Thema. Wir glauben schon, dass die Konsolidierung in diesem Geschäft vor allem in den USA möglich, wenn nicht sogar notwendig ist“, sagt die Vorstandschefin.
Mehr Gestaltungsspielraum
Wie in der Marinesparte soll der Börsengang auch im Werkstoffhandel mehr Gestaltungsspielraum eröffnen, auch wenn Henne und Wodera das Wort lieber nicht in den Mund nehmen. Das ist insofern verständlich, als Thyssenkrupp der Ruf des Ankündigungsweltmeisters anhaftet, der viel verspricht und wenig in die Tat umsetzt. Mit dem Spin-off von TKMS ist jetzt zumindest ein erster Schritt gelungen. Die Übernahme der Stahlsparte durch die indische Jindal Steel könnte der nächste Meilenstein werden. Im Anschluss wäre wohl der Werkstoffhandel an der Reihe, haben die Automotive-Einheiten und die Geschäfte mit grünen Technologien bis zur Kapitalmarktfähigkeit doch noch einen längeren Weg vor sich.
Ob es bei MX auf einen Spin-off wie bei TKMS oder auf ein IPO wie bei Thyssenkrupp Nucera hinauslaufen wird, ist offen. „Am Ende ist die Frage, wie genau ein Schritt in Richtung Kapitalmarkt aussehen könnte, Teil des größeren Bildes auf dem Weg zur Finanzholding“, sagt Henne. Wodera ergänzt, dass sich die vorbereitenden Arbeiten für beide Spielarten nicht stark voneinander unterschieden.