Corporate Governance

Der „neue“ Governance-Kodex – alles gelungen ?

Das Regelwerk mit Empfehlungen und Anregungen für gute Unternehmensführung ist überarbeitet worden; die Regierungskommission hätte in einigen Punkten mehr Mut zeigen können.

Der „neue“ Governance-Kodex – alles gelungen ?

Das durch 43 fachliche Stellungnahmen dokumentierte intensive Ringen um den von der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex im Januar vorgelegten Kodex-Entwurf hat nicht unerwartet den gewünschten Erfolg nur teilweise gefunden. Die jetzt veröffentlichte Überarbeitung betont neben den durch Gesetze bedingten Veränderungen die zeitgeistige Relevanz des Nachhaltigkeitsgedankens angesichts der so intensiven, aber inhaltlich komplexen Diskussion in der Öffentlichkeit.

Zur materiellen Qualität der jetzt beschlossenen Änderungen ist zunächst positiv zu vermerken, dass die im Kodexentwurf in der Präambel und in der Empfehlung A.1 vorgesehene Verpflichtung der Unternehmensführung, die Interessen aller Stakeholder zum „Ausgleich zu bringen“, als auch juristisch nicht begründbar gestrichen wurde. Dem so vieltönigen Desiderat der stärkeren Verankerung der Nachhaltigkeit wird jetzt dadurch entsprochen, dass neben „langfristigen wirtschaftlichen Zielen auch ökologische und soziale Ziele angemessen berücksichtigt werden“ sollen. Allerdings fragen sich wirtschaftserfahrene Betrachter, ob es heute wirklich noch Unternehmensführungen gibt, die kurzfristiges Gewinnstreben ohne Berücksichtigung öko-sozialer Aspekte verfolgen (können). Dass zur Nachhaltigkeit unternehmerischen Wirkens und damit der Sicherung von Finanzierungsquellen und qualifizierter Beschäftigung angemessene Erträge unabdingbar sind, sollte aber nicht durch die Überbetonung einzelner Stakeholderinteressen und einer ‚Interessenpluralität‘ gefährdet werden.

Das Kompetenzprofil von neu zu wählenden Aufsichtsräten würde jetzt von einzelnen Kandidaten sofortige „Expertise in unternehmensrelevanten Nachhaltigkeitsfragen“ erfordern, was als ein hohes Postulat angesichts der mit dem Wort Expertise verbundenen Anforderungen erscheint. Während für das Gesamtgremium ein überzeugendes Gesamtprofil eine wichtige „Soll-Empfehlung“ bleibt, wäre für die Vorgabe der für Individuen nicht leicht zu definierenden und justiziablen Expertise zumindest zunächst eine „Sollte-Anregung“ zu bevorzugen gewesen.

Bei den Empfehlungen für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist in C.2 leider nicht der Vorschlag aufgenommen worden, eine „Regelzugehörigkeitsgrenze“ angesichts der zunehmend überlangen Verweildauer von einzelnen Aufsichtsräten aufzunehmen. Dies erscheint mindestens so relevant wie die Stipulierung einer Altersgrenze, die oftmals einer sinnvollen Altersdiversität des Gremiums entgegenwirkt.

Mehr Mut gewünscht

Mehr begründbaren Mut hätte man der Kommission für eine Aufstufung der jetzt in A.6 enthaltenen „Anregung“ in eine „Soll-Empfehlung“ gewünscht, der zufolge der Aufsichtsratsvorsitzende mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen sprechen „soll“: Diese im Kodex unzutreffend unter dessen „Überwachungsaufgaben“ geführte Anregung ist inzwischen zur selbstverständlichen Erwartung der Eigentümer des Unternehmens geworden, ihnen als ihr entscheidender Vertreter regelmäßig und nicht nur bei Hauptversammlungen zur Verfügung zu stehen. Ebenfalls könnte eine „Sollte-Anregung“ sinnvoll sein, dass bei Gesellschaften mit einem durch hohen Aktienbesitz ausgewiesenen, langjährig agierenden Aufsichtsratsvorsitzenden ein „Lead Independent Director“ als weiterer Ansprechpartner zu benennen ist, was soeben durch das Beispiel von SAP verdeutlicht wurde.

Die Textierung der durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) verstärkten Anforderungen an Besetzung und Inhalt des Prüfungsausschusses ist zu begrüßen. Allerdings hätte man sich auch gewünscht, dass die für diesen Ausschuss so gewichtige Unabhängigkeitserfordernis in C.10 auch auf die Mehrheit der Anteilseigner-Vertreter erweitert worden wäre. Weiteres Desiderat wäre auch eine „Sollte-Anregung“ einer Geschäftsordnung für den Ausschuss, die die maßgeblichen Vorgaben für die komplexe Interaktion zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und Wirtschaftsprüfer intern und auch extern verdeutlichen würde.

Und „last not least“: Obwohl der neue Kodex am 17. Mai von der Regierungskommission veröffentlicht wurde, aber vom Bundesjustizministerium immer noch nicht im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden ist, gilt zunächst noch der Kodex vom Dezember 2019 für Entsprechens­erklärungen, die zu wochenlangen Kodex-Überschneidungen führen. Durch eine rechtzeitige Abstimmung zwischen der Regierungskommission und dem Justizministerium könnte der Eindruck vermieden werden, dass die offiziell nicht gewünschte inhaltliche Überprüfung doch stattfindet.

Und angesichts des Gesetzes-Fleißes der Berliner Politik: Sollten sich beide Institutionen nicht auf eine automatische Integration neu verabschiedeter Gesetze in den Kodex einigen, um jahrelange Unrichtigkeiten des Kodextextes zu vermeiden? Die hiermit erreichbare Verringerung zu kurzer Intervalle zur Kodexanpassung und die genannten materiellen Petita hätten dem nun vorgestellten Kodex eine von beiden Seiten – Unternehmen und Investoren – sicher erwünschte längere Lebensdauer bescheren können.