Der Technokrat im Aufsichtsrat hat ausgedient
Der Technokrat im Aufsichtsrat hat ausgedient
Strategische Begleitung des Vorstands erwĂŒnscht â ECBE-Studie zeigt neues RollenverstĂ€ndnis in der Governance von Unternehmen
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Vom Kontrolleur zum Sparringspartner: AufsichtsrĂ€te sind immer mehr in der UnterstĂŒtzung von Innovationen und neuen GeschĂ€ftsmodellen gefragt. Nach einer Analyse des European Center for Board Effectiveness agiert das Gremium zunehmend als Impulsgeber fĂŒr den Vorstand â in einem breiten Themenspektrum.
Zusammensetzung und Professionalisierung von AufsichtsrĂ€ten sind seit vielen Jahren zentrale Themen in der Debatte ĂŒber gute Corporate Governance. Zahlreiche neue Anforderungen an die UnabhĂ€ngigkeit der Gremienmitglieder, an Kompetenzprofile sowie gestaffelte und begrenzte Amtszeiten hat der Deutsche Corporate Governance Kodex entwickelt. Nach dem Wirecard-Bilanzskandal ist auch der Gesetzgeber aktiv geworden, um finanzielle Expertise in AufsichtsrĂ€ten sicherzustellen.
In einer Studie hat das European Center for Board Effectiveness (ECBE) Arbeit und SelbstverstÀndnis der AufsichtsrÀte der Dax-Familie unter die Lupe genommen. Das Beratungshaus gehört zum Consultingunternehmen Mercer.
ECBE hat fĂŒr ihre Studie öffentlich verfĂŒgbare Daten ausgewertet. Analysiert wurden Zusammensetzung und Struktur der Gremien, der Bericht des Aufsichtsrats und die ErklĂ€rung zur UnternehmensfĂŒhrung, um die wesentlichen Aufsichtsratsthemen im Jahr 2023 zu erfassen. In persönlichen GesprĂ€chen mit ausgewĂ€hlten Vorsitzenden von AufsichtsrĂ€ten und AusschĂŒssen haben die Studienersteller ihre Ergebnisse zudem kritisch hinterfragt und diskutiert.
KomplexitÀt steigt
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Rolle des Aufsichtsrats in den vergangenen Jahren stark verÀndert hat und die Aufgaben viel komplexer geworden sind. Das hÀngt zusammen mit disruptiven GeschÀftsmodellen, geopolitischen Risiken, Klimawandel und Digitalisierung. Der Aufsichtsratsvorsitzende muss zunehmend den Spagat bewÀltigen zwischen Kontrolle und strategischer Begleitung des Vorstands, um Innovationen und Transformation voranzutreiben und Risiken zu erkennen, so das Fazit der Studie.

Entscheidend ist in dem Szenario die Leitung des Gremiums. âDer Aufsichtsratsvorsitzende braucht Integrationskraft. Er muss die Vertrauensbasis und die Beziehungen zwischen Aufsichtsrat und Vorstand herstellen, genauso wie innerhalb des Gremiums und zu den Investorenâ, sagt Regine Siepmann, Partner und Head of Corporate Governance Advisory bei Mercer HKP Group.
Der Aufsichtsrat mĂŒsse sein RollenverstĂ€ndnis insofern klarstellen, ob es ihm primĂ€r um Aufsicht oder um Ratgeberschaft gehe. âWir kommen aus einer Zeit, wo die Kontrollfunktion im Vordergrund stand. Das ist zuletzt aber in den Hintergrund gerĂŒckt und durch viele Punkte ergĂ€nzt wordenâ, erklĂ€rt Siepmann.
Kontakt gesucht
Gefordert ist das Gremium zunehmend in der strategischen Weiterentwicklung des Unternehmens. âDer Aufsichtsrat ist auch Sparringspartner und Challenger des Vorstands. Wir sehen sowohl in den GesprĂ€chen mit Aufsichtsratsvorsitzenden als auch in der Auswertung der Studie, dass sich der Aufsichtsrat viel mehr mit strategischen Themen auseinandersetzen mussâ, unterstreicht Lukas Berger, Board Advisor und Director bei ECBE.
Heutzutage suchen VorstÀnde aktiv den Kontakt zum Aufsichtsrat und speziell zum Vorsitzenden, um in die Strategiediskussion zu gehen.
Regine Siepmann, Partner Mercer HKP Group
Die neue Rollenverteilung strahlt in den Vorstand aus. âDas SelbstverstĂ€ndnis hat sich auch auf Ebene des Top-Managements grundlegend verĂ€ndert. In der Vergangenheit herrschte eher die Sicht: Ich habe meinen Aufsichtsrat ganz gut im Griff, der soll seine Kontrollfunktion wahrnehmen. Heutzutage suchen VorstĂ€nde aktiv den Kontakt zum Aufsichtsrat und speziell zum Vorsitzenden, um in die Strategiediskussion zu gehenâ, erlĂ€utert Siepmann.
Auf Augenhöhe
Dass sich dieses RollenverstĂ€ndnis verĂ€ndere, sei eng mit der Person des Aufsichtsratschefs verknĂŒpft. âWenn ein Technokrat an der Spitze steht, der sich auf die Kontrollfunktion fokussiert und kein ehemaliger CEO oder Vorstand ist, kann der Austausch ĂŒber strategische Themen deutlich weniger erfolgreich ausfallen als mit einem noch nicht lange ausgeschiedenen CEO. Die StrategiefĂ€higkeit dĂŒrfte weniger bei den Fachexperten gegeben sein als bei denjenigen, die Management- und Branchenerfahrung haben und auf Augenhöhe diskutieren könnenâ, meint Siepmann.
Um in Strategiediskussionen up to date zu bleiben, helfe es, mehrere Aufsichtsratsmandate parallel zu haben â auch wenn Overboarding von Investoren kritisch gesehen wird. âMit mehreren Mandaten in unterschiedlichen Branchen kann jemand, der nicht mehr operativ tĂ€tig ist, seine Expertise erweiternâ, sagt die Beraterin.

Die AufsichtsrĂ€te sind nach auĂen rechenschaftspflichtig und mĂŒssen ĂŒber das im Gremium vorhandene Know-how informieren. Diese Darstellung, in der Regel eine SelbsteinschĂ€tzung, bleibt in vielen FĂ€llen aber nicht klar in der Aussage. âEs fĂ€llt auf, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder oftmals in den Qualifikationsmatrizen sehr viele Kompetenzen zurechnen. Das trĂ€gt aus meiner Sicht nicht zur notwendigen Transparenz beiâ, moniert Berger. Nicht jede Person im Aufsichtsrat mĂŒsse alle Kompetenzen haben. Es gehe vielmehr darum, dass der Aufsichtsrat âbestmöglich fĂŒr die jeweilige Situation des Unternehmens zusammengesetzt istâ.
Konkurrenz im Gremium
Siepmann hĂ€lt den âWettstreit zwischen den Gremienmitgliedernâ fĂŒr den Knackpunkt in der realistischen SelbsteinschĂ€tzung. âDa will keiner zu wenig Kompetenz-HĂ€kchen vorweisen. Es herrscht immer noch der falsche Anspruch, alles können zu mĂŒssen. Es wĂ€re besser, stattdessen fĂŒr jedes Mitglied zum Beispiel die drei Top-Kompetenzen darzustellen. Das macht es glaubwĂŒrdiger und transparenter fĂŒr Investoren, denn es lĂ€sst erkennen, wo spezifisches Know-how vorhanden istâ, empfiehlt sie. Im US-Kontext sehe der HĂ€kchen-Wettbewerb etwa ganz anders aus, âweil mit der Kompetenzzuweisung auch Haftungsrisiken verbunden werdenâ.

In den Evaluierungen der AufsichtsrĂ€te ist aus Sicht der Berater zu erkennen, das verstĂ€rkt externe Experten angefordert werden, um in Workshops oder Strategieklausuren zu unterstĂŒtzen. âDas ist eine Entwicklung, die wir sehr fördern. Es ist entscheidend, in gewissen Themen die Outside-In-Perspektive einzunehmenâ, rĂ€t Berger.
Es ist laut Berger zentrale Aufgabe des Nominierungsausschusses, âimmer wieder zu prĂŒfen, welche Kompetenzen der Aufsichtsrat braucht, und zu reflektieren, welche aktuell im Gremium vorhanden sind. Die AufsichtsrĂ€te mĂŒssen offen und ehrlich sein, welche Kompetenzen vorhanden sind.â Dieser Anspruch werde noch nicht in allen NominierungsausschĂŒssen ausreichend professionell umgesetzt, ergĂ€nzt Siepmann.
Nicht jeder Aufsichtsrat muss ein KI-Experte sein, er muss aber die Anwendung von KI genau verstehen und in die Entscheidungsfindung mit einbringen.
Lukas Berger, Director ECBE
StiefmĂŒtterlich behandelt werde leider immer noch das Thema KI. âDer Aufsichtsrat sollte sich aber damit befassen, was KI fĂŒr seine eigene Arbeit bedeutet und wie er KI fĂŒr seine eigene Arbeit nutzen kann â Stichwort Protokolle oder SimultanĂŒbersetzung", meint Berger. Zudem gehe es um die Anwendung von KI im Unternehmen und wie KI fĂŒr Entscheidungen berĂŒcksichtigt werde. âNicht jeder Aufsichtsrat muss ein KI-Experte sein, er muss aber die Anwendung von KI genau verstehen und in die Entscheidungsfindung mit einbringen. Eng damit verbunden ist das Thema Cybersecurity, eines der gröĂten Zukunftsrisikenâ, so Berger.
Noch nicht ausreichend adressiert sei das Thema DiversitĂ€t. Die Beteiligung von Frauen sei zwar auf dem höchsten Niveau seit Beginn der Aufzeichnungen â bedingt auch durch gesetzliche Vorgaben. In der InternationalitĂ€t kĂ€men die Gremien âleider nicht voran, was Persönlichkeiten aus dem nichtdeutschsprachigen Ausland betrifft. Der wertvolle Input aus anderen Governance-Systemen sollte aber nicht fehlenâ, so Siepmann.
US-Kandidaten winken ab
Viele internationale Persönlichkeiten wollten nicht in einen deutschen Aufsichtsrat, denn sie stoĂen dort auf eine gĂ€nzlich andere Kultur. âSie kommen aus dem One-Tier-System, dort herrscht eine andere Diskussionskultur, und sie sind stĂ€rker operativ eingebunden. Ein wichtiger Punkt ist zudem die VergĂŒtung, das darf man nicht verhehlenâ, erklĂ€rt Berger. âSpeziell die VergĂŒtung von Non Executives in den USA ist auf einem ganz anderen Niveau als die Bezahlung eines deutschen Aufsichtsratsâ, betont Siepmann.