„Die deutsche Industrie muss sich verändern“
„Die deutsche Industrie muss sich verändern“
Im Interview: Walter Sinn
„Die deutsche Industrie muss sich verändern“
Der Chairman des Beratungsunternehmens Bain & Company in Deutschland und Österreich empfiehlt Unternehmen Tempo und Anpassungsfähigkeit
Der Begriff „Transformieren“ mache vielen Menschen Angst, sagt der Unternehmensberater Walter Sinn. Doch die deutsche Industrie müsse sich verändern und weiterentwickeln. Zu lange in Geschäftsmodellen zu verharren, sei ein grundsätzlicher Fehler in deutschen Unternehmen.
Herr Sinn, in unserem Interview im April 2024 sagten Sie, die Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland „sind ohne jeden Zweifel alarmierend“. Erkennen Sie einen Kanzler und eine Bundesregierung später irgendeinen Fortschritt?
Die Rahmenbedingungen sind weiterhin alarmierend. Fortschritte und echte strukturelle Reformen, die sich in ein Wirtschaftswachstum übersetzen, gibt es viel zu wenige. Die Mängelliste reicht von Genehmigungsvorschriften und der gesamten Bürokratie bis zu den Strompreisen, Arbeitskosten und Steuern. Dabei hatte das Investitionspaket mit 500 Mrd. Euro für Infrastruktur viel Hoffnung gemacht.
Was ist davon übrig geblieben?
Die großen Hoffnungen sind leider erst einmal verpufft. Bis jetzt sehen wir nichts von dem Programm, die Mittel sind noch nicht angekommen. Dabei könnte das neben den direkten Investments eine stimulierende Wirkung haben, um privates Kapital anzuziehen – auch aus dem Ausland. Vielleicht kann der Investitionsbeauftragte Martin Blessing da helfen.
Und die deutschen Unternehmen?
Dass mehr als 60 Unternehmer und Manager für die Initiative „Made for Germany“ im Sommer in Berlin zusammengekommen sind, war auch ins Ausland ein ganz wichtiges Signal. Das Treffen stand unter dem Motto: Die deutsche Wirtschaft glaubt an die Zukunft des Landes und geht voran. Das war ohne Zweifel sehr positiv – auch wenn nicht alle angekündigten Investitionen neu sind.
Rund 630 Mrd. Euro bis 2028.
Nach meinen Informationen sind es mittlerweile sogar deutlich mehr als 700 Mrd. Euro.
Wie kann Deutschland mit diesen Investitionen Anschluss an die Weltspitze halten?
Die Wirtschaft muss ihr Portfolio umbauen. Die klassische deutsche Industrie mit Branchen wie Auto, Maschinen- und Anlagenbau und Chemie wird es weiterhin geben. Der Begriff Transformieren macht zwar vielen Menschen Angst, aber genau darum geht es: Die deutsche Industrie muss sich verändern und weiterentwickeln.
In welche Richtung?
Das große Thema ist der Wandel von der Hardware zur Software. Die deutsche Industrie muss ihre Stärken vor allem in Richtung Robotik, Sensorik, Daten und natürlich künstliche Intelligenz ausbauen. Das kann gelingen.
Die deutsche Autoindustrie ist aus ihrer Sicht also noch nicht hoffnungslos hinter die chinesischen Hersteller von Elektrofahrzeugen zurückgefallen?
Die Automobilindustrie ist im Auge des Sturms, weil da alles zusammenkommt: Elektromobilität, Software und die ganzen geopolitischen Themen. Laut unserer Analyse ist die durchschnittliche Ebit-Marge weltweit tätiger Automobilhersteller im dritten Quartal 2025 auf 3,9% gefallen. Das ist weniger als die Hälfte des Niveaus von Ende 2023.
Und die Aussichten?
Ich glaube trotz allem an die Zukunft der deutschen Hersteller und ihrer Zulieferer. Mit ihren jüngsten Modelloffensiven können sie kontern. Sie müssten sich allerdings an die Spitze setzen – bezogen auf Software Defined Vehicles und die nächste Generation von Elektroautos. Kurz, es geht für die Unternehmen darum, ihre Stärken weiterzuentwickeln.
Derzeit werden allerdings Zehntausende von Arbeitsplätzen in der deutschen Autoindustrie und anderen Branchen abgebaut.
Wir reden viel über den Umbau und die Arbeitsplatzverluste und all die Probleme, aber weniger darüber, welche großen Chancen neue Wachstumsfelder bieten und wo wir industrielle Champions haben werden.
Welche Felder meinen Sie?
Zum Beispiel Biotechnologie, Quantencomputing, New Mobility und auch die Rüstungsindustrie. Die deutschen Stärken, was Innovation und Technologie angeht, können weiterhin den Unterschied machen.
Grund für die Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft sind nicht nur Mängel der Rahmenbedingungen. Welche typischen Fehler machen Unternehmer und Manager?
Noch nie war es so schwierig und so komplex für das Management, in dieser turbulenten Welt richtig zu entscheiden. Das ist schon wie Hochleistungssport. Ich glaube, ein grundsätzlicher Fehler ist, zu lange in bestehenden und vielleicht auch erfolgreichen Geschäftsmodellen zu verharren. Wer sich im Erfolg ausruht, verpasst neue Trends und ist nicht bereit, sich schnell anzupassen und sich ein Stück weit selbst zu kannibalisieren.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel den Wandel der Banken im Privatkundengeschäft von den Filialen zu Multikanal und Online. In den vergangenen zehn Jahren wurden in Deutschland mehr als die Hälfte aller Filialen geschlossen. Oder in der Autoindustrie: Früh auf Elektrofahrzeuge zu setzen, hieß auch, den Verbrenner indirekt zu attackieren. Die Unternehmen, die zu lange warten, sind meistens die Verlierer. Nicht umsonst trennt sich gerade in Krisenzeiten die Spreu vom Weizen.
Worauf kommt es außer Anpassungsfähigkeit und Schnelligkeit an?
Ich stelle fest, dass Manager seit einigen Jahren viel Aufmerksamkeit auf Agilität und Handlungsschnelligkeit richten. Viele Unternehmen sind zu bürokratisch und zu komplex geworden. Es geht um prozessorientiertes Denken. Hierarchieebenen herauszunehmen ist ein klassischer Hebel, so wie Bayer das zum Beispiel gemacht hat. Darüber hinaus braucht es in diesen turbulenten Zeiten Resilienz im Geschäftsmodell und einen Strategieansatz, der mit Szenarien und Optionen arbeitet. Nicht zuletzt diskutieren wir derzeit intensiv mit großen Unternehmen, wie sich die Perspektive von Private-Equity-Investoren nutzen lässt.
Wie denn?
Bain ist ja weltweit die führende Beratung für Private Equity. Für diese Investoren kommt es darauf an, das volle Potenzial eines Unternehmens auszuschöpfen. Die ganzen Detailplanungen und kleinen Initiativen werden weggelassen. Private Equity konzentriert sich auf sieben, acht entscheidende Hebel, um ein Unternehmen voranzubringen und die Rentabilität massiv zu steigern. Profitables Wachstum ist dabei der wesentliche Werttreiber.
In einer Krise wie derzeit fällt es vielen Unternehmen schwer, wegen finanzieller Grenzen und beschränkter Managementkapazität an übermorgen zu denken und zu investieren.
Diese Gefahr besteht. Unternehmen können in die Defensive geraten und müssen sich wetterfest machen. Unsere Langzeitanalysen zeigen aber, dass es gerade in Krisen auf beides ankommt: Hausaufgaben zu machen und Kosten rauszunehmen – gleichzeitig aber auch Finanzmittel zu schaffen oder zu beschaffen, um mutig nach vorn zu gehen und in Zukunftsfelder zu investieren. Die Unternehmen, die das hinbekommen, schwimmen auf der nächsten Welle ganz oben.
Wie gehen Sie mit Kunden um, die an alten Geschäftsmodellen kleben?
Wenn wir feststellen, dass es ein starkes Beharrungsvermögen gibt und das Geschäftsmodell eigentlich verändert werden muss, sagen wir das auch. Wir versuchen Einfluss zu nehmen, um sozusagen die Gewinner von morgen zu beraten und zu begleiten. Einen Auftrag, der erkennbar in die falsche Richtung geht, würden wir nicht annehmen.
Lehnen Sie also Aufträge ab?
Das kommt durchaus vor. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel die Kosten nur in kleinem Umfang senken will, wir aber erkennen, dass eine Optimierung im Detail wenig nützt, weil es tatsächlich um ein großes Organisationsthema gehen müsste. Dann gehen wir in die Diskussion mit dem Kunden und verzichten gegebenenfalls auf das Mandat.
Wie entwickelt sich das Geschäft von Bain in Ihrer Region Deutschland, Österreich, Schweiz – kurz DACH?
Auch 2025 ist für uns wieder ein starkes Jahr, in dem wir gut zweistellig wachsen. Mit ein wenig Stolz kann ich sagen, dass wir in den elf Jahren meiner Amtszeit das Geschäft deutlich mehr als verdreifacht haben. Wir gewinnen Marktanteile im Wettbewerb, auch innerhalb der Top Drei – also gegenüber unseren beiden Hauptwettbewerbern McKinsey und Boston Consulting.
Ihre Nachfolgerin als Geschäftsführerin von Bain in der DACH-Region ist seit Anfang November Christina Ellringmann. Was macht sie anders?
Wir haben eine sehr gute Basis und ein sehr starkes Team. Ich freue mich darauf, dass Christina eigene Akzente für unsere Strategie setzen wird – auch weltweit. Sie ist ja schon lange ein Teil von Bain und bringt aus ihrer globalen Governance-Rolle und als bisherige Leiterin der Praxisgruppe Versicherungen in DACH alle Führungsqualitäten mit.
Sie sind jetzt Partner und Chairman für Deutschland und Österreich. Laut der Mitteilung zum Wechsel wollen Sie weiterhin entscheidende Impulse setzen.
Unbedingt. Die Aufgabe als Managing Partner hat viel meiner Zeit beansprucht. In meiner neuen Rolle bin ich wieder deutlich mehr in Richtung unserer Kunden unterwegs und vertrete Bain weiter mit nach außen. Auf diese nächste Etappe freue ich mich.
Das Interview führte Joachim Herr.
