Jörg Schroeder, Adesso

„Die Digitali­sierung ist noch längst nicht abge­schlossen“

Informationstechnologie hat durch die Corona-Pandemie einen kräftigen Schub erhalten. Doch „die Digitalisierung, insbesondere im öffentlichen Sektor, ist noch längst nicht abgeschlossen“, betont Jörg Schroeder, CFO des IT-Dienstleisters Adesso, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Entsprechend ambitioniert sind die langfristigen Margen- und Dividendenziele.

„Die Digitali­sierung ist noch längst nicht abge­schlossen“

Von Martin Dunzendorfer,

Frankfurt

Zu den Branchen, die durch die Corona-Pandemie einen kräftigen Schub erhielten, gehört die Informationstechnologie. „Covid-19 hat wie ein Katalysator gewirkt“, sagt Jörg Schroeder, Finanzvorstand von Adesso, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Folglich ordnet er den IT-Dienstleister als „Corona-Gewinner“ ein. „Die Digitalisierung, insbesondere im öffentlichen Sektor, ist noch längst nicht abgeschlossen“, betont Schroeder. Die im Zusammenhang mit der Seuche stehenden weltweiten Lieferkettenprobleme, vor allem bei Halbleitern, habe das Unternehmen nur insofern zu spüren bekommen, als die Beschaffung von Notebooks und Smartphones für die rund 7500 Mitarbeiter, die derzeit auf der Gehaltsliste stehen, zeitweilig schwierig gewesen sei.

Die Probleme, die seit diesem Jahr viele Branchen und Unternehmen belasten oder zumindest beunruhigen, könnten Adesso größeres Ungemach bringen. Zwar gebe es mit dem Krieg in der Ukraine nur wenig Berührungspunkte – Adesso hat laut Schroeder weder in Russland noch in der Ukraine Geschäfte gemacht –, doch der CFO mag nicht ausschließen, dass sich die hohen Inflationsraten irgendwann auch auf die Gehälter auswirken werden. „Noch steigen die Personalkosten bei uns unterproportional“, sagt Schroeder und bemerkt, dass es bei Adesso – trotz der Beschäftigtenzahl im hohen vierstelligen Bereich – keinen Betriebsrat gebe. Zur Erklärung verweist er auf die Unternehmensphilosophie und das gute Innenverhältnis zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitern, die die Gründung eines Betriebsrats bislang nicht nötig gemacht hätten.

Eine Rezession, die Schroeder für „wahrscheinlich“ hält, auch wenn sie schwer zu prognostizieren sei, wird auch Effekte auf Adesso haben. Im Fall eines Konjunkturabschwungs gebe es die größten Risiken in klassischen Branchen wie Automobil, Maschinenbau oder der übrigen gewerblichen Industrie. Dagegen wäre die Wirkung einer Rezession auf den öffentlichen Sektor – „seit diesem Jahr die umsatzseitig größte Branche für uns“, so Schroeder – und die Gesundheitsbranche nach Ansicht des CFO eher gering. Er sieht Adesso daher sehr gut diversifiziert.

Im vergangenen Jahr waren die wichtigsten Branchen nach Umsatz Versicherer, Banken, öffentlicher Sektor, Gesundheit, Maschinenbau und Automobil, wie aus der Präsentation für die vom Finanzintermediär Equity Forum organisierte Herbstkonferenz in Frankfurt hervorgeht.

Gespräche mit Banken laufen

Adesso bezeichnet sich als eines der größten deutschen IT-Dienstleistungsunternehmen. Im vergangenen Jahr wurden 678 Mill. Euro umgesetzt; das waren 30% mehr als 2020 – wobei die Gruppe auch immer wieder durch Zukäufe wächst. Nach Angaben von Schroeder wurden diese bislang stets mit eigenem Cashflow und durch bilaterale Bankkredite finanziert. Gegenwärtig befinde man sich in Gesprächen mit den Hausbanken, um eine strategische Finanzierung künftiger Akquisitionen auf die Beine zu stellen.

An Standorten in Deutschland – wo im ersten Halbjahr 81% der Erlöse generiert wurden –, im übrigen Europa, in der Türkei und den USA sowie bei zahlreichen Kunden vor Ort sorge Adesso für die Optimierung der Kerngeschäftsprozesse durch Beratung und Softwareentwicklung. Dadurch würden die Unternehmen flexibler und produktiver. Für stärker standardisierte Aufgabenstellungen biete Adesso fertige Softwareprodukte an. Ergänzt werde das Angebot durch die Entwicklung eigener, branchen- und unternehmensspezifischer Produkte, so Schroeder.

„Adesso wird zügig zu einem führenden IT-Beratungshaus in Zentraleuropa ausgebaut“, erklärt der Finanzchef. Das sei Teil der Equity Story, zu der auch die konkrete Vorgabe gehört, organisch mindestens zweimal so stark wie der Markt zu wachsen. Darüber hinaus soll die operative Rendite (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda, zum Umsatz) über dem Branchendurchschnitt liegen; gemäß dem Finanzchef wird mittel- bis langfristig eine Ebitda-Marge von 11% bis 13% angepeilt. Zudem soll die Verschuldung nicht das 2,5-Fache des Ebitda übersteigen.

Nach Angaben des CFO ist Adesso von 2011 bis 2021 im Schnitt jährlich um 20% gewachsen; in der gleichen Zeit kletterte das operative Ergebnis (Ebitda) durchschnittlich um 26% pro Jahr. Trotz zahlreicher Akquisitionen ist Adesso seit 2013 in jedem Jahr stärker organisch gewachsen als durch zugekauften Umsatz, wie der Präsentation zu entnehmen ist.

Zu den Referenzkunden von Adesso gehören Barmenia, DEVK, Hannover Re, Swiss Life, Zurich sowie Bankhaus Metzler, Commerzbank, Credit Suisse, LBBW, Union Investment und aus der Industrie u. a. BMW, Deutsche Telekom, Eon, Linde, MAN, Mercedes, Roche und Vodafone.

Handel in der Ramp-up-Phase

Gemäß Schroeder soll alle zwei bis drei Jahre eine neue Branche erschlossen werden. „Gegenwärtig befinden wir uns in der Ver- und Entsorgerbranche sowie im Handel in der Ramp-up-Phase“, sagt Schroeder. Er betont, dass man mit diesen Branchen nicht bei null angefangen habe, sondern dass das Geschäftsvolumen mit Vertretern dieser Indus­trien in den vergangenen Jahren so stark gewachsen sei, dass nun eine stärkere Fokussierung und Aufwertung zu Kernbranchen von Adesso sinnvoll geworden sei.

Großaktionär des SDax-Mitglieds Adesso ist Volker Gruhn, der über das Investmentvehikel Setanta 26,5% hält. Rainer Rudolf gehören über die RDF Familienstiftung 16% und Ludwig Fresenius 9,4%. Der Rest von 48,1% ist nach Unternehmensangaben Streubesitz. Um Investoren vom Einstieg in das Aktionariat zu überzeugen, sollen die Anteilseigner regelmäßig Dividenden erhalten, die zudem kontinuierlich erhöht werden sollen. Diesem Ziel wird Adesso gerecht: Die Ausschüttung von 60 Cent je Aktie für das Geschäftsjahr 2021 bedeutete die neunte Dividendenerhöhung in Folge.

Das IT-Beratungs- und Softwareentwicklungsunternehmen gliedert sich in zwei Einheiten, deren Beitrag zum Gesamtumsatz höchst unterschiedlich ist: Die IT-Services, deren wichtigste Teile laut Schroeder Be­ratung und Softwareentwicklung sind, dominieren mit rund 90%, während die IT-Solutions etwa 10% beisteuern.

Jüngst hatte Adesso endgültige Zahlen für das erste Halbjahr vorgelegt. Danach kletterte der Umsatz im Vergleich zur Vorjahreszeit um 28% auf 412 Mill. Euro; damit habe man die Erwartungen übertroffen, sagt der CFO. Das Unternehmen habe vom starken Mitarbeiterwachstum in den Vorperioden und von der anhaltend hohen Nachfrage in den Bereichen IT-Services und digitale Transformation profitiert. Den Angaben zufolge steuerten die in den vergangenen zwölf Monaten erworbenen Unternehmen sieben Prozentpunkte zum Wachstum bei. „Mit einem organischem Wachstum von 21% hat Adesso das eigene Ziel – im Vergleich zum Markt mindestens doppelt so schnell organisch zu wachsen – erneut bei weitem übertroffen“, sagt Schroeder. Zudem habe die Gruppe Marktanteile hinzugewonnen.

Im zweiten Halbjahr aufwärts

Dagegen sank das berichtete operative Ergebnis: Das Ebitda war im ersten Halbjahr 2021 positiv durch einen Sondereffekt aus dem Verkauf einer Tochter – der E-Spirit Group, für die rund 30 Mill. Dollar erlöst wurden – beeinflusst worden; unbereinigt ergibt sich daher ein deutlicher Ergebnisrückgang von 31%. Unter Herausrechnung dieses Einmaleffekts in Höhe von knapp 18 Mill. Euro lag das Ebitda nach den ersten sechs Monaten des Jahres dagegen mit 38 Mill. Euro auf Vorjahresniveau. Die bereinigte Ebitda-Marge wird mit 9,3 (i. V. 11,8)% angegeben. Die geringere Profitabilität sei neben den im ersten Halbjahr 2022 geringeren Lizenz- und Wartungserlösen insbesondere auf eine im zweiten Quartal geringere Auslastung und Buchungsintensität bei deutlich gestiegenen sonstigen betrieblichen Aufwendungen zu­rückzuführen. Hierfür verantwortlich seien die geplanten und kommunizierten Investitionen in wieder mehr Präsenzveranstaltungen.

Auch wenn sich die Konjunkturerwartungen für 2022 und 2023 in den wichtigsten Absatzmärkten von Adesso teils spürbar eingetrübt haben, so haben sich laut Schroeder die branchenbezogenen Rahmenbedingungen vergleichsweise wenig verändert und stimmen für die Zukunft positiv. In den für Adesso besonders relevanten Segmenten Software und IT-Services werde sowohl in Deutschland als auch weltweit für dieses und nächstes Jahr kräftiges Wachstum erwartet. Davon dürfte das Unternehmen angesichts der dynamischen Umsatzsteigerung im ersten Halbjahr sowie einer vor allem für das IT-Dienstleistungsgeschäft relevanten höheren Zahl an Arbeitstagen im zweiten Halbjahr profitieren. Wegen der für das zweite Halbjahr höher erwarteten Auslastung und Buchungsintensität sowie zusätzlichen signifikanten Lizenzerlösen soll die Profitabilität wieder steigen. Insgesamt rechnet das Management mit einer Fortführung des bereits im ersten Halbjahr starken Erlöswachstums, zumal es bisher nur in Ausnahmesituationen zu Projektverschiebungen gekommen sei.

Schroeder bekräftigte die Prognose für das Ebitda von 90 bis 95 (102) Mill. Euro und für die Ebitda-Marge von 11 bis 12 (15,1)%. Der Korridor für den erwarteten Jahresumsatz war Ende Juli um 50 Mill. Euro auf 800 bis 850 (678) Mill. Euro angehoben worden.

„Bester Arbeitgeber“

Die Zahl der Mitarbeitenden sei zum Stichtag 30. Juni im Vergleich zum Vorjahr proportional zum Umsatzanstieg deutlich um 28% auf 6811 Vollzeitäquivalente gewachsen – auch aufgrund von Übernahmen. Die Rekrutierung neuen Personals ist für Adesso bislang kein allzu großes Problem. Im vergangenen Jahr hat es laut Schroeder etwa 32000 Bewerbungen für rund 1000 zu besetzende Stellen gegeben. Wie der Finanzchef betont, würden nicht zwingend „die Besten“ ausgewählt, sondern „die, die am besten in das Team passen“.

Angesichts eines Branchendurchschnitts von 15% bis 20% zeige die Zwölfmonatsfluktuation von Adesso mit 8,8%, dass die Belegschaft überdurchschnittlich zufrieden sei. Dies belege auch die von Great Place to Work vergebene Auszeichnung als „bester Arbeitgeber in Deutschland“, die man 2020 branchenübergreifend in der Größenklasse von 2001 bis 5000 Mitarbeitenden erhalten hat. Zudem hatte Adesso nach 2016 und 2018 auch 2020 Platz 1 unter den IT-Arbeitgebern in Deutschland belegt.

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