Die Einhorn-Herde verrennt sich

Von Walther Becker, Frankfurt Börsen-Zeitung, 28.9.2019 Die jüngsten Versuche von hoch defizitären Start-ups, an die US-Börsen zu kommen, räumen mit dem Mythos auf, dass die privaten Kapitalmärkte den öffentlichen überlegen sind. Es zeigt sich im...

Die Einhorn-Herde verrennt sich

Von Walther Becker, Frankfurt Die jüngsten Versuche von hoch defizitären Start-ups, an die US-Börsen zu kommen, räumen mit dem Mythos auf, dass die privaten Kapitalmärkte den öffentlichen überlegen sind. Es zeigt sich im Realitätstest an den Börsen, dass die in privaten Bewertungsrunden spendierten Mittel vielfach “silly money” gewesen sind, getragen von einem Technologie-Hype, der als Selbstläufer verstanden wurde. Nun ist die Tech-Rally zunächst vorbei. Selbst profitable, aus einem Buy-out hervorgegangene Unternehmen wie Teamviewer aus Göppingen haben es da schwer. Denn auch eine gute Firma ist zu einem zu hohen Preis nun mal kein gutes Investment.Hieß es zu Jahresbeginn noch, die große Einhorn-Stampede komme auf die amerikanischen Börsen zu, so haben sich die Unicorns in der Herde ziemlich verrannt, sind auf der Strecke geblieben oder legen eine Verschnaufpause ein. Viele von ihnen wollten die höheren Bewertungen vor dem Abschwung noch schnell nutzen, um Kasse zu machen. Doch die Geduld mit den defizitären Youngsters ist geringer als von den Investmentbanken versprochen, die mit den IPOs fette Gebühren einstreichen. Die Kursverluste zeigen, dass die Brillanz der Privatmärkte weit überschätzt wird. Die Blase dort hat schon zu einer immensen Wertvernichtung geführt.Um sich den etwas realistischeren Bewertungen gar nicht erst auszusetzen, hat gerade Endeavor, die Mutter der größten Talentagentur in Hollywood, ihre Pläne aufgegeben, den Kurszettel zu verlängern. Eingeworben werden sollten in diesem zweiten Anlauf zunächst 700 Mill. Dollar, dann noch 400 Mill. Wenige Stunden zuvor war der Fitnessgeräteanbieter Peloton mit herben Kursverlusten gestartet. Nahezu alle in jüngster Zeit gegangenen Start-ups werden an der Börse – so sie denn diesen Exit schaffen – niedriger bewertet als in der letzten Finanzierungsrunde zuvor. Krass war die Differenz bei Wework, die dann kniff und den Gründer entmachtete: 47 Mrd. sollte der Büroraumvermieter beim Einstieg von Softbank “wert” sein, vor dem geplanten IPO wurden der Gesellschaft gerade mal rund 10 Mrd. Dollar zugetraut.Palantir, die eine umstrittene Datenanalyse-Software anbietet, schiebt das IPO gleich auf die lange Bank, will erneut außerbörslich Investoren anzapfen und träumt von 27 Mrd. Dollar als Bewertung. Von Airbnb hieß es jüngst nur, man fasse jetzt ein IPO erst 2020 ins Auge. Uber, der eine enorme Bewertung zugetraut wurde, kam im Mai mit einer Platzierung von 8,1 Mrd. Dollar – der Kurs büßte seitdem 30 % ein. Wurde dem Fahrdienstservice Monate vor dem Börsengang ein Wert von 120 Mrd. Dollar zugetraut, so liegt die Marktkapitalisierung jetzt bei 54 Mrd. Dollar. Lyft, das erste Unicorn, das sich 2019 herauswagte, büßte 42 % ein. Slack startete im Juni zu 38,50 und wird jetzt mit 22 Dollar notiert. Die Anfang September gelistete Smile Direct Club büßte seit ihrem Debüt 30 % ein.Seit 2008 haben nach Schätzungen Pensionsfonds, Universitätsstiftungen und andere institutionelle Investoren etwa 2 Bill. Dollar in private Vehikel gesteckt, in dem Glauben, außerbörslich locke der ganz dicke Gewinn. In einem Drittel der nahezu 70 IPOs seit 2011 mit jeweils über 1 Mrd. Dollar Emissionsvolumen lag der IPO-Preis laut Pitchbook unter dem Wert der Finanzierungsrunden zuvor. Geldverdienen spiele keine Rolle, je höher die Verluste, umso stärker Wachstum und Bewertung – diese Milchmädchenrechnung geht auch in New York nicht mehr ohne weiteres auf. Gleichwohl wurden 2019 dort laut Dealogic 53 Mrd. Dollar mit IPOs eingeworben – der höchste Stand seit 2014 mit damals 77 Mrd. Dollar, davon 24 Mrd. für Alibaba.——Die Tech-Rally ist vorbei. An der Börse fallen astronomische Bewertungen durch.——