AstraZeneca

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!

AstraZeneca stellt das Geschäft mit dem Corona-Impfstoff auf den Prüfstand. Anders als die Wettbewerber bietet die Nummer 2 der britischen Pharmabranche ihr Produkt zum Selbstkostenpreis an.

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!

Von Andreas Hippin, London

„Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär’s nicht gern?“ fragt Jonathan Jeremiah Peachum, der in Bertolt Brechts Dreigroschenoper eine Firma mit Namen „Bettlers Freund“ betreibt. Der AstraZeneca-Chef Pascal Soriot wollte angeblich helfen, als er im vergangenen Jahr angesprochen wurde, den an der Universität Oxford entwickelten Sars-CoV-2-Impfstoff zu produzieren. Der Immunologe John Bell, der zur Vaccine Taskforce der britischen Regierung gehört, erinnert sich im „Telegraph“: „Pascal sagte: ‚Sieh mal, das ist etwas, was wir für die Welt tun könnten. Das wäre grandios.‘“. Die Nummer 2 der britischen Pharmabranche ging ein großes Risiko ein, als sie sich darauf einließ. Die FTSE-100-Gesellschaft war in diesem Geschäft vorher nicht aktiv. Zudem bot sie an, das Produkt für die Dauer der Pandemie zum Selbstkostenpreis abzugeben. Damit war der Oxford-Impfstoff für weite Teile der Menschheit das einzig er­schwingliche Vakzin, denn die Konkurrenz war weniger großzügig.

Nun stellt AstraZeneca das Ge­schäft auf den Prüfstand, denn es handelt sich nun einmal um ein Privatunternehmen, dessen Zweck darin besteht, Gewinne zu erwirtschaften. Anlegern stößt sauer auf, dass der Sars-CoV-2-Impfstoff im letzten Jahr zwar 894 Mill. Dollar zum Umsatz von 8,05 Mrd. Dollar beisteuerte, aber nichts zum Ergebnis. Deshalb ergab sich aus dem um 8% höher als erwartet ausgefallenen Wachstum beim bereinigten Ergebnis nur ein Wert, der um 2% über den Analystenschätzungen lag. „Ohne Gewinne ist das nicht langfristig tragbar, aber es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren“, zitiert Reuters den Leiter der biopharmazeutischen Sparte, Ruud Dobber.

Ein Verkauf des Geschäfts wäre schwierig. Der Streit mit der EU-Kommission über Lieferverpflichtungen schadete nicht so sehr wie Versuche, das Präparat schlechtzureden. Der Impfstoff sei für ältere Menschen „quasi ineffizient“, behauptete der französische Präsident Emmanuel Macron. Dann kamen Ängste vor Nebenwirkungen auf. Wie ein dieser Tage beim Fachmagazin „Lancet“ eingereichtes Papier zeigt, sind die Gefahren beim Produkt von Pfizer/Biontech etwa ebenso groß. Das Risiko, dass sich Blutgerinnsel bilden, ist ohnehin nur so groß wie die Wahrscheinlichkeit, im eigenen Haus von einem abstürzenden Flugzeug ge­troffen zu werden. Doch der Ruf des Impfstoffs wurde durch die anhaltende Negativberichterstattung nachhaltig beschädigt. Vielerorts können Vorräte nicht verimpft werden, weil die Menschen Angst vor dem Präparat haben. Peachum kannte die Antwort auf die zu Beginn gestellte Frage: „Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“