Ein Festtag für Joe Kaeser

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 7.1.2021 Der Kapitalmarkt kennt keine Gefühle. Eigentlich. Doch etwas emotional ist es schon, was die Investoren am Nachmittag des 6. Januars vollbringen: Sie machen dem Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe...

Ein Festtag für Joe Kaeser

Von Michael Flämig, MünchenDer Kapitalmarkt kennt keine Gefühle. Eigentlich. Doch etwas emotional ist es schon, was die Investoren am Nachmittag des 6. Januars vollbringen: Sie machen dem Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser ein Geschenk. Exakt vier Wochen vor der Amtsübergabe an seinen Nachfolger Roland Busch und ausgerechnet an Heilige Drei Könige steigt der Aktienkurs auf das höchste Niveau der Konzerngeschichte. Der Feiertag in Teilen Deutschlands wird zu einem Festtag für den scheidenden Siemens-Chef.Klar: Ein Wunder ist dieser Siemens-Aktienkurs nicht. Schließlich purzeln die Höchststände an den Börsen weltweit im Dutzend. Trotzdem kriegt man Erfolg nicht geschenkt, man muss ihn sich verdienen. Insofern ist das Rekordhoch keine Selbstverständlichkeit. Denn Kaeser erlebte nach einem Zwischenhoch 2017 jahrelang, dass die Zerlegung des Konglomerats in mehrere kleinere Einheiten bei den Aktienanlegern auf Skepsis stieß.Der frühere Finanzvorstand, der auch als CEO bis vor kurzem für Investor Relations zuständig blieb, ließ sich zwar gerne kunstreich aus den Kursentwicklungen eine Anerkennung der Börse herausrechnen. Nun aber empfangen die Anleger den Vorstandsvorsitzenden und seinen Finanzvorstand Ralf Thomas wirklich mit offenen Armen und machen ihnen die Honneurs – dank eines Schlussspurts. Seit Anfang Juli vergangenen Jahres ist der Euro Stoxx 50 um ein Zehntel gestiegen, der Siemens-Aktienkurs hat dagegen um ein mehr als ein Viertel zugelegt.Dabei ist der Höchststand auf den ersten Blick nicht klar erkennbar. Die Aktie schloss den Xetra-Handel am Mittwoch mit einem Plus von 3,8 % auf 121,88 Euro. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte das Papier deutlich höher notiert. Doch seitdem müssen etwa die Abspaltungen von Osram und Siemens Energy herausgerechnet werden. Nun wurde der entsprechend korrigierte bisherige Rekordwert klar übertroffen: Er war am 26. April 2017 mit 120,08 Euro erreicht worden. Auch der bisher höchste Stand im Xetra-Handelsverlauf, der am 4. Mai des gleichen Jahres 120,35 Euro betrug, ist nur noch Geschichte.Vor vier Jahren sorgten ähnliche externe Faktoren wie heute für den Rückenwind. Die lockere Geldpolitik und die Euphorie nach der damaligen US-Wahl trieben die Notierungen. Die Investoren honorierten aber vor allem die Positionierung im Feld der Industrie 4.0. Schließlich schlugen die Münchner die Konkurrenten, die sich ebenfalls der Digitalisierung von Produktionsabläufen ihrer Kunden widmen, aus dem Feld. Im Jahr 2021 können Investoren, die aktuell in Value-Aktien rotierten, viel gezielter diese Siemens-Aktivitäten im Kerngeschäft kaufen, weil beispielsweise das Energiegeschäft großteils abgegeben wurde.In einer weiteren Kategorie hat sich Siemens dem Niveau vor der Finanzkrise angenähert. Denn die Marktkapitalisierung stieg mit der Rally auf rund 100 Mrd. Euro. Diese Marke hatte der Konzern im Juli 2007 erstmals nach dem 2000er Boom wieder erreicht, noch inklusive mittlerweile abgespaltener Unternehmen. Damals allerdings war Siemens der wertvollste Wert im Dax. Heute steht der Konzern auf dem dritten Platz hinter SAP und Linde.——Der Siemens-Aktienkurs steigt auf ein Rekordhoch – kurz vor dem Abschied des Vorstandschefs.——