Ein Fünftel der Elektroausfuhren in die USA gefährdet
Ein Fünftel der Elektroausfuhren in die USA gefährdet
Im Gespräch: Andreas Gontermann
Ein Fünftel der Elektroausfuhren in die USA gefährdet
Der Chefvolkswirt des ZVEI über die Folgen der US-Zollpolitik, die fehlende Dynamik in Deutschland und das Hauptproblem Unsicherheit
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Im nächsten Jahr könnte sich das Wachstum des Weltmarkts für Güter der Elektro- und Digitalindustrie wieder etwas beschleunigen. Der ZVEI (Verband der Elektro- und Digitalindustrie; vormals: Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie) sagt auf Basis eines im Verband über die Jahre entwickelten Prognosemodells einen Zuwachs von 5% voraus. Im vergangenen Jahr ist dieser Markt den Angaben zufolge um 3% auf 5,765 Bill. Euro gewachsen, und auch für dieses Jahr erwartet der Verband einen Anstieg von 3%. „Damit bleibt die Marktentwicklung insgesamt hinter ihrem langjährigen Expansionstempo zurück“, stellt Andreas Gontermann fest, denn „in den vergangenen 30 Jahren betrug es im Durchschnitt 5% pro Jahr.“ Ein wesentliches Risiko bleiben nach Ansicht des Chefvolkswirts des ZVEI, der im Verband die Abteilung Wirtschaftspolitik, Konjunktur und Märkte leitet, die sich verschärfenden Handelskonflikte in einer sich zunehmend fragmentierenden Weltwirtschaft.

Foto: ZVEI/Melanie Bauer Photodesign
Unberücksichtigt bleiben in der Prognose Wechselkursveränderungen. Die vorherzusagen sei „mehr oder weniger unmöglich“, so Gontermann. Um diese bereinigt, „haben wir in den vergangenen Jahren mit unseren Voraussagen gar nicht so schlecht gelegen“.
Deutschland rangiert auf Platz 5
Mit einem Volumen von 184 Mrd. Euro war der deutsche Elektromarkt auch 2024 der fünftgrößte weltweit – hinter China, den USA, Südkorea und Japan. Für 2025 erwartet der ZVEI eine Stagnation. Nächstes Jahr könnte ein verhaltener Zuwachs von 2% folgen. „Deutschland weist damit unter allen betrachteten Märkten die geringste Wachstumsdynamik für den Zeitraum zwischen 2024 und 2026 auf“, betont Gontermann. Geringfügig besser sind die Perspektiven für den europäischen Elektromarkt, der 2024 auf ein Volumen von 989 Mrd. Euro kam, was 17% des Weltmarktes entspricht. Im laufenden Jahr dürfte er um 2% und 2026 um 3% wachsen, prognostiziert der ZVEI.

Für dieses Jahr hatte der ZVEI bereits im Januar einen Rückgang der realen Produktion in der deutschen Elektro- und Digitalindustrie um 2% vorausgesagt. Der Verband hatte dies auch mit der Überregulierung und den hohen Kosten am Industriestandort Deutschland begründet, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährde. Nach den ersten acht Monaten habe das Minus bei 1,9% gelegen.
China nicht mehr Nummer 1
Auf die Frage, wie hart die Handels- und Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump die deutsche Elektro- und Digitalindustrie trifft, holt Gontermann weit aus: In den Jahren nach der Corona-Pandemie, 2021 bis 2023, sei das Wachstum der Exporte in die USA sehr dynamisch gewesen und „stärker als das Exportwachstum mit China. In den ersten acht Monaten 2025 haben auch deshalb die USA mit einem Volumen von 16,6 Mrd. Euro China mit 15,5 Mrd. Euro als größter Abnehmer deutscher Elektroexporte wieder überholt. Die Ausfuhren unserer Branche in die USA entsprechen ziemlich genau einem Zehntel der Gesamtausfuhren. Das ist schon ein Wort", sagt der Chefvolkswirt.
Exportanteil der USA liegt bei 10 Prozent
Gemäß Gontermann gibt es – je nach Fachbereich – große Unterschiede in den Exportanteilen, die auf die USA entfallen. So gehe in der elektromedizinischen Technik ein Viertel der gesamten Ausfuhren in die USA. „Jeder vierte exportierte Euro, wenn man so will.“ Am unteren Ende der Skala ständen die elektronischen Bauelemente mit einem US-Exportanteil von 4%. „Im Schnitt liegt unser Exportanteil, der in die USA geht, bei 10%.“
Grob geschätzt könnte ein 15-prozentiger Zoll auf Elektroimporte zu einem Rückgang der Ausfuhren aus Deutschland in die USA von insgesamt etwa einem Fünftel führen.
„Derzeit sieht es so aus, als ob es dauerhaft auf Zölle von 15% hinausläuft“, sagt Gontermann. „Und es gibt daneben noch diese abgeleiteten bzw. derivativen Zölle, wenn ein Unternehmen Stahl- und/oder Aluminiumanteile in seinen Produkten hat – das trifft die Elektro- und Digitalindustrie insgesamt nicht so stark wie zum Beispiel den Maschinenbau, gleichwohl sind wir auch davon betroffen. Grob geschätzt könnte ein 15-prozentiger Zoll auf Elektroimporte zu einem Rückgang der Ausfuhren aus Deutschland in die USA von insgesamt etwa einem Fünftel führen. Tatsächlich gab es im August mit minus 18% den ersten nennenswerten Rückgang unserer Exporte in die USA seit langem.“
Ein Prozentpunkt an Produktion
Gontermann macht folgende Rechnung auf: „Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie macht knapp die Hälfte ihres gesamten Umsatzes im Inland. Ein Zehntel der gut anderen Hälfte geht auf das Konto der USA; das sind also durchgerechnet auf die gesamte Produktionsleistung ungefähr 5%. Wenn der 15-prozentige Zoll zum von uns geschätzten Rückgang der Ausfuhren in die USA um 20% führt, kostet das unsere Industrie ungefähr einen Prozentpunkt an Produktion."
Der ZVEI-Chefvolkswirt weist jedoch auch auf Unwägbarkeiten wie Wechselkurs-, Umlenkungs- und Vorzieheffekte sowie Konjunktursondereffekte – etwa den Boom von künstlicher Intelligenz (KI) – hin.
Wenn man von Anfang an klar wüsste, es sind 15%, könnte man sich noch irgendwie darauf einstellen. Aber durch das Hin und Her sind alle verunsichert, und Unsicherheit ist bekanntlich Gift für die Investitionstätigkeit.
Die Einführung oder Erhöhung von Importzöllen durch die US-Administration ist nach Ansicht von Gontermann noch nicht einmal das Hauptproblem für die deutsche Elektroindustrie. „Das viel größere Problem ist am Ende die ganze Unsicherheit, die mit dem Zickzack um die Zölle einhergeht. Ein Zoll wirkt als Angebotsschock für das Land, das ihn einführt, und als Nachfrageschock für das Land oder Wirtschaftsgebiet, das adressiert wird. Und die ganze Unsicherheit, die mit alldem einhergeht, ist ein Schock für alle. Wenn man von Anfang an klar wüsste, es sind 15%, könnte man sich noch irgendwie darauf einstellen. Aber durch das Hin und Her sind alle verunsichert, und Unsicherheit ist bekanntlich Gift für die Investitionstätigkeit."
„Die Zeichen stehen auf Schadensbegrenzung“
Vor der US-Präsidentschaftswahl vor genau einem Jahr hatten die ZVEI-Mitglieder in einer Umfrage noch eine Art Wunschliste aufgestellt, wie es mit den deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen weitergehen sollte. Unter anderem zielte man auf einen Pakt mit den USA gegen unfaire Handelspraktiken Chinas ab. Darauf angesprochen sagt Gontermann: „Unterm Strich stehen die Zeichen jetzt – so ehrlich muss man sein – wohl eher auf Schadensbegrenzung. Die Freihandelsidee hat im Moment tatsächlich wenige Fürsprecher, obgleich ich nach wie vor der Meinung bin, dass die Vorteile des freien Handels und der Globalisierung – neben technologischem Fortschritt Wohlstandstreiber schlechthin – einfach zu groß sind, als dass man sie liegen lassen sollte.“ Wie geht es mit der Globalisierung also weiter? „Ich denke nicht, dass sie gänzlich stoppt, sie wird aber anders verlaufen. Vielleicht gibt es Integrationsschritte ohne die Amerikaner“, sagt Gontermann.
Wiederbelebung des verarbeitenden Gewerbes in den USA unwahrscheinlich
Trump verfolgt mit seiner Zollpolitik auch das Ziel, ausländische Unternehmen dazu zu bringen, Produktion in die USA zu verlegen. Gontermann ist da skeptisch: „Auch diesem Ziel steht die Unsicherheit im Weg. Den Vorsatz, ein Revival des verarbeitenden Gewerbes in den USA hinzubekommen, hatte Trump ja schon in seiner ersten Amtszeit – ohne Erfolg." Der Chefvolkswirt erinnert daran, dass Importzölle für die heimische Industrie unterm Strich schädlich sind: „Schließlich verteuern sie neben Konsumgütern auch Vorleistungen und erhöhen so die Produktionskosten. US-Industrien, die von den teureren Vorleistungen betroffen sind, wird damit Sand ins Getriebe geworfen.“
Dass die USA Standortvorteile im Vergleich zur EU haben, streitet Gontermann nicht ab: Es gebe weniger Bürokratie, niedrigere Steuersätze und Energie sei preiswerter. „Die Produktivität in den USA ist höher als in Europa oder anderen Regionen.“ Doch diese Standortvorteile habe es auch schon vor der vergangenen US-Präsidentschaftswahl gegeben.
Und jetzt? „Dieser ganze handelspolitische Zickzack-Kurs trägt nicht unbedingt zur Planungssicherheit bzw. Steigerung der Standortattraktivität der USA bei.“
USA weltweit auf Platz 2
Der US-Markt kam nach Daten des ZVEI im letzten Jahr auf ein Marktvolumen von 837 Mrd. Euro, ein Plus von rund 3%, und belegte damit Platz 2 im Länderranking. Die Prognose des Verbandes sagt für 2025 einen Zuwachs von 2% und für das nächste Jahr wieder von 3% voraus, „insgesamt also eher moderate Steigerungen“.
Der gesamtamerikanische Markt für Güter der Elektro- und Digitalindustrie wuchs 2024 um 3% und erreichte damit ein Volumen von 1,19 Bill. Euro; das entspricht einem Fünftel des Weltmarkts (21%). Für 2025 erwartet der ZVEI ein Wachstum von 2%, 2026 könnte ein Plus von 3% folgen.
Asien marschiert vorneweg
Asien ist laut dem ZVEI mit einem Anteil von 60% am Weltelektromarkt und einem Volumen von 3,47 Bill. Euro der größte kontinentale Markt. Nach einem Plus von 4% im Jahr 2024 dürfte dieser Elektromarkt laut der Prognose 2025 erneut um 4% und 2026 um 6% wachsen.

Innerhalb Asiens kam Chinas Elektromarkt 2024 auf einen Wert von 2,142 Bill. Euro; das ist ein Plus von 4% im Vergleich zum Vorjahr. „Damit bleibt China der mit Abstand größte Ländermarkt in der Elektro- und Digitalindustrie, der allein knapp zwei Fünftel des globalen Marktes auf sich vereint“, so Gontermann. Für das laufende Jahr erwartet der ZVEI hier einen Zuwachs von 4% und für 2026 sogar von 7%.
Eine Rückkehr zu hohen, teils zweistelligen Wachstumsraten bei deutschen Elektroexporten nach China, die es in früheren Jahren gab, hält Gontermann für unrealistisch. Im Vorjahr gingen die Ausfuhren ins Reich der Mitte sogar um knapp 2% zurück. Das liege zum einen am deutlich verlangsamten gesamtwirtschaftlichen Wachstum, zum anderen am Bestreben Pekings, viele Produkte in China selbst herzustellen und sich so – auch durch vollständige Abdeckung von Lieferketten – unabhängiger vom Ausland zu machen.
Ohne Arbeitsmarktreformen ist das demografische Problem nicht zu lösen
Abseits aktueller Themen erinnert Gontermann an die große demografische Herausforderung: „Mehr als ein Viertel der Beschäftigten in der heimischen Elektro- und Digitalindustrie sind älter als 55 Jahre; das sind deutlich über 200.000 Personen, die in den nächsten zehn Jahren ersetzt werden müssen. Vor diesem Hintergrund wird es höchste Zeit für Arbeitsmarktreformen.“ Man müsse bei den Arbeitszeiten – den täglichen, wöchentlichen und der Lebensarbeitszeit – flexibler werden, fordert der Volkswirt. Auch die Abschaffung sämtlicher Anreize zur Frühverrentung wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
Mit deutschlandweit 877.300 Beschäftigten (Stand: 31. August) und einem Gesamtumsatz von etwa 240 Mrd. Euro (2024) ist die Elektroindustrie (gemessen an der Zahl der Beschäftigten) der zweitgrößte Industriezweig hierzulande – hinter dem Maschinenbau.
„Strukturelle Trends sind intakt“
Abschließend bricht Gontermann noch einmal den Stab für die Elektro- und Digitalindustrie: „Die strukturellen Trends, von denen wir profitieren, sind intakt: Elektrifizierung, Digitalisierung, Robotik oder Automatisierung. Ohne unsere Technologien wird das alles nicht zu bewerkstelligen sein.“ Er weist auf eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hin, die ein Ranking der Branchen nach Wertschöpfungspotenzialen erstellt hat. „Da stehen wir ganz oben auf der Liste.“
Und aus seiner langjährigen Erfahrung heraus setzt Gontermann noch einen drauf: „Ein Aufschwung wird, wenn er denn kommt, oft unterschätzt; dann hat man gerade in Bereichen der Investitionsgüterindustrie nicht selten auch wieder sehr starkes Wachstum mit zweistelligen Raten.“ Dieses Jahr laufe es immerhin schon ein wenig besser als 2024, doch: „Es ist ein Aufschwung ohne Schwung.“
Der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) sagt für 2026 ein Wachstum des globalen Marktes von 5% voraus; dieses Jahr dürften es 3% werden. Für den deutschen Elektromarkt wird 2025 Stagnation erwartet, nächstes Jahr könnte ein verhaltener Zuwachs von 2% folgen. ZVEI-Chefvolkswirt Andreas Gontermann erläutert die Hintergründe der Underperformance.