Jan-Hendrik Gnändiger

„Eine Frage der Unternehmens­kultur“

Viele Mittelständler legen schon Nachhaltigkeitsberichte vor, die EU-Vorgaben zum ESG-Reporting gehen aber weit darüber hinaus und stellen kleine und mittelgroße Firmen vor große Herausforderungen.

„Eine Frage der Unternehmens­kultur“

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Viele Mittelständler stehen vor einer Herkulesaufgabe. Das neue ESG-Reporting nach der Corporate Sustainability Reporting Directive der EU verändert die Nachhaltigkeitsberichterstattung dramatisch. Nach den Brüsseler CSRD-Vorgaben sind kleine und mittelgroße Unternehmen für Geschäftsjahre beginnend ab dem 1. Januar 2025 grundsätzlich zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet – auch wenn sie nicht im Kapitalmarkt aktiv sind.

Der Kreis berichtspflichtiger Firmen ist mit der Brüsseler Direktive auf einen Schlag signifikant gewachsen. Aufgerufen sind Unternehmen, sofern sie zwei von drei Kriterien erfüllen: eine Bilanzsumme über 20 Mill. Euro, einen Nettoumsatz über 40 Mill. Euro, eine Beschäftigtenzahl von mehr als 250. Das sind allein in Deutschland schätzungsweise 15000 Firmen. Diese Unternehmen müssen künftig ein Sustainability Statement erstellen, das als eigener Abschnitt in den Lagebericht integriert ist. „Dieses wird zusammen mit dem Jahresabschluss veröffentlicht und muss separat geprüft und bescheinigt werden“, erläutert Jan-Hendrik Gnändiger, Partner im Bereich Corporate Governance Services und Head of Compliance der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG.

Nachhaltigkeit ist auch im Mittelstand kein neues Thema, dennoch betreten viele der Firmen aus dem Kreis Neuland. Dass der Mittelstand in ESG-Themen hinterherhinkt, ist aus Sicht des Beraters auf unterschiedliche Entwicklungen zurückzuführen. So sei die Nachhaltigkeitsberichterstattung für mittelständische Unternehmen nicht reguliert gewesen, es habe nur für die großen kapitalmarktorientierten Firmen eine geltende Regulierung gegeben, aber nicht für den Mittelstand. „Gleichwohl hat es sich in den vergangenen Jahren als klug erwiesen, über die Regulatorik hinaus eine Nachhaltigkeitsberichterstattung vorzulegen“, unterstreicht Gnändiger. Dieses Einsehen habe es in kleineren und mittelgroßen Gesellschaften auch gegeben, nahezu jedes Familienunternehmen erstelle einen Nachhaltigkeitsbericht. „Diese Be­richte haben jedoch nur wenig damit zu tun, was derzeit regulatorisch diskutiert und künftig verlangt wird“, gibt der Governance-Experte zu bedenken.

Dass ein in guter Absicht erstellter Nachhaltigkeitsbericht nun nicht den Anforderungen der Regulatoren entspricht, stößt in vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen auf Unverständnis. Familiengesellschaften seien ja in der Regel von Grund auf nachhaltig ausgerichtet, weil sie ihr Geschäft über Generationen entwickelt und erhalten haben. Das schließe kommunale Aktivitäten und soziales Engagement oftmals ein. Doch dass die Interessen anderer Stakeholder darüber hinausgehen, ist vielerorts bislang nicht angekommen. „Viele mittelständische Unternehmen haben die Dringlichkeit der Compliance-Anforderung noch nicht verinnerlicht, sie unterschätzen deren Bedeutung für die Fremdfinanzierung und für die Rekrutierung von jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, mahnt Gnändiger.

Hohe Transparenz

Die ESG-Zögerlichkeit könnte damit zusammenhängen, dass die Nachhaltigkeitstransformation viele Kapazitäten und Ressourcen erfordert. Zudem müssen Unternehmen tiefe Einblicke in Themen gewähren, die ihre Reputation betreffen. „Die Regulatorik des ESG-Reporting wird zu einer Transparenz führen, die es bisher so nicht gab. Das stellt Unternehmen und auch Abschlussprüfer vor große Herausforderungen“, stellt Gnändiger klar. Es sei keine leichte Aufgabe, konzernweit einen ESG-Reportingprozess aufzusetzen. Das dauert weit über ein Jahr, schätzt er. Es sei zudem keine rein technische Frage, sondern eine Frage der Unternehmenskultur.

ESG-Reporting setzt an vielen Stellen an. „Die Unternehmen müssen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erklären, dass diese Themen künftig berichts- und prüfungspflichtig werden. Die Unternehmen müssen neue Stellen schaffen, um das jährlich wiederkehrende Reporting zu bewältigen. Hier geht es um Personalaufbau, der nicht unmittelbar mit Umsatzerlösen in Verbindung steht. Da müssen viele Geschäftsführer und Gesellschafter erst mal schlucken“, fasst er das Szenario zusammen. Doch die Akzeptanz der Notwendigkeit des ESG-Reporting hält er für entscheidend, um in dem Prozess voranzukommen.

Gnändiger rät den Firmen, sich beherzt dem ESG-Thema zu stellen, weil es keine Alternative dazu gibt. Am Anfang steht die kompromisslose Bestandsaufnahme. Die Unternehmen müssten zunächst faktenbasiert klären, in welchem Umfang sie von ESG-Reportinganforderungen be­troffen sind. „Man sollte nicht zu viel Energie darauf verwenden, die nun mal beschlossene Regulatorik zu beklagen, sondern alle Kraft darauf richten, sich sinnvolle Nachhaltigkeitsziele zu setzen und darüber zu berichten. Daran führt kein Weg vorbei, wenn Unternehmen ihre Zukunft und die ihres Standorts sichern wollen“, schreibt Gnändiger den Firmen ins Pflichtenheft.

Neue Chancen

Aus Sicht des Beraters lässt die Akzeptanz des Themas keine Hintertür offen. Alle ESG-Trends veränderten ja offenkundig das normale Geschäftsgebaren von Unternehmen. „ESG ist schlichtweg die Beschreibung einer dramatischen Veränderung der Umwelt. Wer weiterhin Geld verdienen will, kommt an diesen Themen nicht vorbei“, sagt der KPMG-Experte. Eine unternehmerisch denkende Firma müsse in der Lage sein, diese Trends für sich zu bewerten und für sich nutzbar zu machen. „Bislang sind diese Ambitionen aber im Markt nicht transparent und nicht geprüft, also auch nicht vergleichbar und maximal in Frage gestellt“, ergänzt er. Doch die Regulierung eröffne jedem Unternehmen neue Chancen. „Sie sind gezwungen, ihre Supply Chain und das Geschäftsmodell insgesamt auf Nachhaltigkeit zu überprüfen. Das findet in vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen auch schon statt.“

Das Bereitstellen der notwendigen Informationen gestaltet sich vielerorts noch schwierig. „Ich habe große Zweifel, dass die relevanten ESG-Daten verfügbar sind. ESG ist nicht nur Klima. Es geht auch um Wasser, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft und Verschmutzung“, unterstreicht er. Klimadaten seien inzwischen weitgehend vorhanden. Bei anderen Umweltthemen ist diese Transparenz aus seiner Sicht aber nicht gegeben, und die Analyse der globalen Supply Chain sei herausfordernd.

Trotz aller Widrigkeiten gibt es aus Beratersicht kein Entrinnen und kein Zurück zum alten Status quo. Die Konsequenzen wären fatal. „Transparente Nachhaltigkeitsberichte werden entscheidend sein im Wettbewerb um Kapital und Fachkräfte. Wer nicht in der Lage ist, die Erwartungen der Stakeholder im ESG-Reporting zu befriedigen, wird es im geschäftlichen Alltag schwer haben“, warnt er. Es sei ja das intrinsische Motiv der EU, über die ESG-Regulierung Kapital in grüne Geschäftszweige zu lenken. Am deutlichsten sei der Zusammenhang heute schon beim Interesse von Investoren zu erkennen und an der Art, wie junge Menschen sich in Unternehmen bewerben.

Künftig belastbare Daten

Auch kleine und mittelgroße Firmen müssen sich den Spiegel vorhalten lassen, das ESG-Reporting wird viele im Wettbewerb entscheidende Faktoren ans Licht bringen. „Bislang basieren Nachhaltigkeitsratings auf nicht vergleichbaren und nicht geprüften Daten, daher sind die Ratings für die Entscheidungsfindung nicht belastbar. Diese Art von Ratings wird sich in der Sekunde signifikant verändern, in der die ersten Unternehmen nach neuer Regulatorik veröffentlichen, also standardisiert ermittelte und geprüfte Zahlen vorlegen. Wer hier mithält, hat auch langfristig Aussicht auf Fremdkapital und qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber“, resümiert Gnändiger.

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