„Einiges spricht durchaus für die N.V.“
„Einiges spricht durchaus für die N.V.“
Im Gespräch: Henriette Peucker und Alexander Kiefner
„Einiges spricht durchaus für die N.V.“
Die DAI-Vorständin und der Jurist über die mangelnde Attraktivität der AG und wie die Rechtsform wieder interessanter für Börsenkandidaten werden könnte
Die deutsche Aktiengesellschaft hat in den vergangenen Jahren an Attraktivität verloren. Börsenkandidaten sondieren immer öfter, ob nicht die Rechtsform der niederländischen N.V. für sie geeigneter ist. Nicht nur deshalb mahnen das Deutsche Aktieninstitut und die Kanzlei White & Case Korrekturen am Aktiengesetz an.
Im Jubiläumsjahr – das Aktiengesetz wird 60 Jahre alt – gibt es wenig Grund zum Jubel. Denn die deutsche Aktiengesellschaft hat an Attraktivität eingebüßt. Eine Studie des Deutschen Aktieninstituts in Kooperation mit der Kanzlei White & Case kommt zum Schluss, dass die AG den Anschluss an ausländische Rechtsformen wie die niederländische N.V. (Naamloze Vennootschap) zu verlieren droht.
„Wir erkennen einen klaren Trend: An die Börse strebende Unternehmen überlegen immer häufiger, ob sie diesen Weg als deutsche AG antreten sollen oder in Form einer niederländischen N.V.", berichtet Henriette Peucker, die geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Zwischen 2021 und 2025 habe es unter deutschen Unternehmen 35 Börsengänge in Frankfurt und 11 im Ausland gegeben, darunter mehrere in Form der N.V. Seit 2016 haben sich vor allem Biotech-Firmen wie Immatics, Curevac, Centogene, InflaRX oder Noxxon Pharma für die N.V. als Rechtsform entschieden.
Investmentbanker und Berater rieten Börsengängern, über Alternativen zur Rechtsform der AG nachzudenken, sagt Peucker und fügt an: „Einiges spricht durchaus für die N.V.“ In punkto Kapitalaufnahme etwa sei die N.V. flexibler. Zudem dauerten in den Niederlanden Hauptversammlungen zwei bis drei Stunden, in Deutschland sechs bis acht, das habe auch mit dem Beschlussmängelrecht zu tun. Die Aufsichtsräte in Deutschland seien sehr groß. Daneben spiele die Organisation der gewerkschaftlichen Mitbestimmung eine Rolle bei der Entscheidung über die Rechtsform, wobei die Mitbestimmung an sich nicht in Frage gestellt werde.
Die Grundlage der Studie bilden eine Befragung unter Leitern von Rechtsabteilungen börsennotierter Unternehmen in Deutschland sowie Interviews mit Experten. Deren Antworten machten deutlich, dass der Reformdruck über das Beschlussmängelrecht hinausgehe. „Das Aktiengesetz muss grundsätzlich überarbeitet werden“, lautet ein Ergebnis.
Ministerium sondiert Änderungen
Lange Zeit hätten Fragen des Aktiengesetzes und des Gesellschaftsrechts keine Priorität genossen, bedauert Peucker – zumal diese Diskussion nicht in direkten Zusammenhang gebracht worden sei mit dem Thema der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Das sei jetzt anders. „Wir versuchen, mit der Studie die Debatte neu anzuschieben – und zwar mit einer breiteren Perspektive, die über das Beschlussmängelrecht hinausgeht.“
Gleichwohl sei das Beschlussmängelrecht ein zentraler Kritikpunkt. Peucker begrüßt, dass aktuell das Bundesjustizministerium Korrekturen sondiert, damit nicht weiter bloße Formfehler zur Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen führen können. Dieses Vorhaben sei auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
„Der zentrale Schlüssel für eine lebendige HV ist das Beschlussmängelrecht“, betont Alexander Kiefner, Partner der Kanzlei White & Case. Bislang könnten bereits kleine Antwortmängel eine Anfechtung begründen. Das sollte unbedingt geändert werden. Wer der Meinung sei, seine Frage sei nicht ausreichend beantwortet, könne schon heute ein Auskunftserzwingungsverfahren anstoßen. Das habe mit Anfechtung nichts zu tun.
„Charme eines Notartermins“
Der Jurist berichtet aus der HV-Praxis: Es gebe Fragen, die könnte der CEO direkt beantworten – und das würden übrigens viele Vorstände auch gerne tun. Aber in der Praxis werde wegen des Beschlussmängelrechts zunächst die Antwort von Juristen überprüft, wodurch sie regelmäßig etwas hölzern wirke. Da würde schon ein Knoten gelockert, wenn die Vorstände etwas mehr Spielraum hätten, über strategische Fragen reden zu können, ohne bei jedem Wort eine Anfechtungsklage fürchten zu müssen, gibt Kiefner zu bedenken. Das Ergebnis, so ergänzt Peucker, sei: „Viele Hauptversammlungen haben den Charme eines Notartermins.“ Das könne nicht der gewünschte gute Austausch mit den Investoren sein.
Ein Schmerzpunkt für wachstumsstarke Unternehmen ist der erhebliche Zeitaufwand von Kapitalmaßnahmen. „Die Langwierigkeit des Prozesses hat auch mit dem Beschlussmängelrecht zu tun“, erklärt Kiefner. Sechs Wochen für Einberufung einer Hauptversammlung, einen Monat Anfechtungsfrist, teilweise ein Freigabeverfahren: Vom Plan, Kapital aufzunehmen, bis zur Umsetzung vergingen oft neun, zehn oder zwölf Monate. Eine Neujustierung des Beschlussmängelrechts und der Rechtsbehelfe wäre aus Sicht des Anwalts wichtig, damit die Kapitalaufnahme nicht so lange dauere. Als weiteres Beispiel für Hindernisse führt Kiefner At-Markets-facilities an, also den Verkauf neuer Aktien zu Marktpreisen durch den Emittenten – „wenn Sie so wollen quasi die Gegenbewegung zu Aktienrückkäufen.“ Anders als bei den Aktienrückkaufen „brauchen Sie dafür jedes Mal eine Registereintragung.“ Zudem verweist er auf die Option des bedingten Kapitals. Dieses Instrument sei aber zweckgebunden, etwa in Zusammenhang mit Mitarbeiteraktien oder der Bedienung von Wandelschuldverschreibungen. „Mit einigen wenigen Federstrichen könnte der Gesetzgeber hier eine Zweckerweiterung herbeiführen, dann würde man eine Möglichkeit für die marktschonende Aufnahme von Kapital schaffen“, so der Experte.
