„Es ist zu viel auf einmal“
„Es ist zu viel auf einmal“
Im Gespräch: Volker Brühl
„Es ist zu viel auf einmal“
Der Finance-Professor über sich überlagernde Effekte europäischer Umwelt- und Klimaregeln und die Idee eines kumulativen Impact Assessment
In dieser Woche will die EU-Kommission Vorschläge zur Entlastung der Automobilbranche präsentieren. Uni-Professor Volker Brühl argumentiert, eine etwaige Abkehr vom Verbrenner-Aus wäre eine punktuelle Maßnahme. Wichtiger sei es, auf Basis eines kumulativen Assessments einen systematischen Maßnahmenkatalog zu erstellen.
Von Detlef Fechtner, Brüssel
fed Frankfurt
Die unter dem Green Deal geschaffenen europäischen Klimaschutzvorgaben überfordern aus Sicht des Finanzwissenschaftlers Volker Brühl einzelne Unternehmen und Branchen. Firmen beklagten, dass es Dutzende von Einzelmaßnahmen gibt, die binnen kurzer Zeit parallel umgesetzt werden müssten, sagt der Geschäftsführer des Center for Financial Studies an der Universität Frankfurt und Professor für Banking und Finance im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Dieser kumulative Effekt wird nicht erfasst“, so Brühl. Am Beispiel der Autoindustrie könne man sehen, wie schwer es falle, das einzuhalten – und dass deshalb die Wettbewerbsfähigkeit leide.
Natürlich brauche Europa die Umsetzung der Vision einer nachhaltigen Wirtschaft, stellt Brühl klar. Aber die EU müsse einen Weg finden, dass bestimmte Industrien nicht über Gebühr belastet würden. „Sonst droht die Abwanderung ganzer Industrien.“
Die Industrie sei mit einem komplexen Geflecht von Regulierungen konfrontiert, die unter dem Green Deal entstanden seien. So müsse etwa die Automobilbranche, allein was Klima- und Umweltschutzvorgaben angehe, eine große Zahl an Regeln erfüllen: „Hier greifen künftig beispielsweise die Emissionshandelsrichtlinie II, die verschärfte Regulierung zu Schadstoffemissionen auf Flottenebene, die erweiterten Anforderungen der Euro 7 Norm, die Vorgaben der Energieeffizienz-Richtlinie, die Batterie-Verordnung oder die Regulierung für nachhaltige Produkte sowie zahlreiche Vorschriften aus dem EU-Aktionsplan für eine schadstofffreie Umwelt und dem EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft.“
Eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit
Jeder einzelne dieser Rechtsakte unterliege zwar einer Überprüfung der Auswirkungen, also einem Impact Assessment. In deren Kontext werde die Industrie durchaus befragt, inwieweit legislative Vorgaben Investitionen und operativen Kosten erhöhen. Aber: „Für die wichtigsten Sektoren wie Auto, Chemie oder Stahl sollte ein kumulatives Impact Assessment erstellt werden“, fordert Brühl. Für einige Wirtschaftszweige werde das Ergebnis sein: Die Kosten sind hoch, aber erträglich. Zugleich werde es Branchen geben, die durch die Einhaltung von Umsetzungsfristen um die Wettbewerbsfähigkeit gebracht würden, weil Konkurrenten außerhalb der EU ganz andere Rahmenbedingungen hätten.
Auf Basis dieser Evidenz müsse die Politik dann entscheiden, ob zeitliche Verschiebungen oder inhaltliche Erleichterungen sinnvoll wären. Er stelle nicht die Notwendigkeit der Transformation infrage, unterstreicht der Hochschullehrer. „Aber es ist zu viel auf einmal. Also: Nicht die Ziele aufgeben, sondern die Akzente verschieben.“, lautet seine Empfehlung. Es ginge dabei, anders als bei den Omnibus-Paketen, nicht nur um Bürokratieabbau, sondern darum, den Transformationspfad verträglicher zu machen.
Mit Blick auf die legislativen Anpassungen, die die EU-Kommission hinsichtlich der Flottengrenzwerte in dieser Woche vorlegen will, erläutert Brühl: „Ob das Verbrenner-Aus sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, müssen andere beurteilen.“ Allein: Eine Abkehr vom Verbrenner-Aus wäre eine punktuelle Maßnahme. Ihm gehe es darum, auf Basis eines kumulativen Assessments einen systematischen Maßnahmenkatalog zu erstellen.
Die EU-Kommission wäre übrigens die richtige Institution, die sich um ein kumulatives Impact Assessment kümmern sollte, findet der Wissenschaftler. Denn bei ihr lägen ohnehin bereits viele Daten vor. Und es wäre sinnvoll, alle drei oder fünf Jahre das Impact Assessment zu aktualisieren.
