RECHT UND KAPITALMARKT

EU bringt Wettbewerbsbehörden auf Linie

Richtlinienvorschlag aus Brüssel will nationale Alleingänge in der Durchsetzung des Kartellrechts abschaffen

EU bringt Wettbewerbsbehörden auf Linie

Von Ulrich Soltész *)Die Europäische Kommission hat eine Richtlinie vorgeschlagen, mit der die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten (NCAs) stärker in die Kartellrechtsbekämpfung eingebunden werden sollen. Hiermit will sie ein “level playing field” bei der Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts schaffen und dessen wirksame und einheitliche Anwendung in der Europäischen Union sicherstellen.Mit der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der Wettbewerbsregeln hat der Rat der Europäischen Union vor 14 Jahren einen europäischen Kartellrechtsraum geschaffen, in dem die Europäische Kommission und die NCAs “in einem System paralleler Zuständigkeiten” für die Verfolgung von Kartellrechtsverstößen zuständig sind. Beide bilden gemeinsam das sogenannte European Competition Network (ECN). Seit 2004 haben die Kommission und nationalen Kartellbehörden zusammen mehr als 1 000 kartellrechtliche Entscheidungen getroffen. Asymmetrie unerwünschtKartellrechtspraktiker haben jedoch bisweilen ihre Zweifel, ob die Kartellrechtsbekämpfung in der EU tatsächlich immer ganz homogen funktioniert. Bei vielen Anwälten ist der Eindruck verbreitet, dass einige Kartellbehörden, zum Beispiel das deutsche Bundeskartellamt, aber auch die österreichischen Behörden, deutlich aktiver agieren als andere NCAs, die Wettbewerbsverstöße eher in die Nähe eines Kavaliersdelikts rücken.Aus Sicht der Kommission ist dies äußert unbefriedigend, weshalb sie unter dem Schlagwort “ECN plus” einer möglicherweise asymmetrischen Kartellrechtsanwendung Einhalt gebieten will. Mit dem nun vorgelegten Richtlinienvorschlag will sie gewährleisten, dass zum einen alle nationalen Wettbewerbsbehörden in ihren Entscheidungen unabhängig sind und sie zum anderen auch über wirksame Instrumente verfügen, um Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht abzustellen und effektiv zu ahnden.Unter dem Leitmotiv “boosting enforcement powers of NCAs” sollen die nationalen Kartellbehörden vor allem zusätzliche Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse bekommen. Sie sollen über ein gemeinsames Mindestinstrumentarium für die Ahndung von Kartellverstößen und über wirkungsvolle Durchsetzungsbefugnisse verfügen. Mehr “Biss”Hierzu gehört zunächst, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bei der Durchsetzung der EU-Wettbewerbsregeln gewährleistet wird. Nicht in allen Mitgliedstaaten ist dies heute uneingeschränkt garantiert. So wurde etwa in Griechenland in den vergangenen Jahren seitens der Regierung enormer Druck auf die Kartellbehörde ausgeübt, um unliebsame Entscheidungen zu verhindern. Die neue Richtlinie soll nun die Freiheit von politischer Einflussnahme sowie die notwendige finanzielle und personelle Ausstattung der Kartellverfolgungsbehörden gewährleisten.Daneben will man die Beweiserhebungsbefugnisse verbessern. Die Befugnisse für Nachprüfungen sollen harmonisiert werden. So soll insbesondere das Recht, Mobilfunkgeräte, Laptops und Tablets zu durchsuchen, gestärkt und weitgehend angeglichen werden. Solche “electronic dawn raids” werden bei der Aufklärung von Kartellen immer wichtiger, da Beweisstücke oft nur in digitaler Form vorhanden sind. Viele Behörden verfügen derzeit noch nicht über solche Instrumente. Hinzu soll die Verbesserung verschiedener “traditioneller” Ermittlungsinstrumente, zum Beispiel Auskunftsersuchen, treten. Die NCAs sollen also deutlich mehr “Biss” zeigen können, wenn sie gegen Kartellanten ermitteln.Hinzu tritt eine Angleichung der Sanktionen, sprich der Bußgelder. Hier bietet sich in der EU derzeit noch ein buntes Bild: Einige Mitgliedstaaten verhängen kaum Strafen, während andere überaus aktiv sind. Auch die Höhe der Bußgelder variiert innerhalb der Union beträchtlich. Nach Einschätzung der Kommission entfalten einige nationale Bußgeldregelungen nicht ausreichend Abschreckungswirkung. Die soll sich nun ändern.Außerdem gibt es nach Auffassung der Kommission Schlupflöcher für Unternehmen, die mittels einer Umstrukturierung einer Geldbuße entkommen könnten – gedacht ist hier wohl an das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Der Vorschlag enthält Regeln zur Haftung von Muttergesellschaften für die Verstöße ihrer Tochtergesellschaften. Zudem soll die grenzüberschreitende Vollstreckung von Geldbußen ermöglicht werden.Besonders am Herzen liegen der Kommission die Kronzeugenprogramme, die einen Anreiz für Unternehmen schaffen, Beweise für rechtswidrige Kartelle vorzulegen, um selbst einer möglichen Strafe zu entgehen. Der Fokus auf solche Programme ist aus Sicht der Kartellverfolger verständlich, handelt es sich doch um das derzeit wirkungsvollste Instrument für die Aufdeckung von Kartellverstößen. Die ganz überwiegende Zahl von Kartellverstößen wird durch Kronzeugen aufgedeckt, sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene.Die derzeit bestehenden Unterschiede zwischen den Kronzeugenprogrammen in Europa halten aus Sicht der Kommission dennoch Unternehmen in nicht geringem Umfang davon ab, wettbewerbswidrige Verhaltensweisen aufzudecken und Beweismittel offenzulegen. Die Kommission drängt daher auf eine gewisse Vereinheitlichung. Dies umfasst auch einige technische Verbesserungen, die mehr Rechtssicherheit bieten sollen. Umsetzung braucht ZeitIn diesem Kontext sollen auch “Whistleblower”, also Mitarbeiter von Unternehmen, die ein Kartell aufdecken, vor Sanktionen geschützt werden. Das alles soll es für Unternehmen und Mitarbeiter attraktiver machen, Kronzeugenregelungen in Anspruch zu nehmen und eine Kartellbeteiligung einzugestehen. Unternehmen müssten dann damit rechnen, öfter “angeschwärzt” zu werden.Verabschieden das Europäische Parlament und der Rat den Richtlinienvorschlag, so müssen die Mitgliedstaaten die Richtlinie noch in innerstaatliches Recht umsetzen. Der Gesetzgebungsprozess kann sich somit durchaus noch über einige Jahre hinziehen. Daher wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis allen NCAs die im Vorschlag beschriebene “minimal toolbox to get the job done” zur Verfügung steht.Der Grundansatz des Projektes “ECN plus” ist sicherlich zu begrüßen. Die Kommission hat zutreffend erkannt, dass es keinen Wettbewerb zwischen mehr oder weniger ehrgeizigen Kartellbehörden geben darf. Es kann nicht sein, dass manche NCAs bestimmte Verhaltensweisen rigide abstrafen, während andere Mitgliedstaaten dem Kartellrecht ein Mauerblümchendasein einräumen. Ein solcher Enforcement-Flickenteppich steht dem Binnenmarktgedanken diametral entgegen. Noch weniger geht es an, dass eine laxere Kartellrechtsdurchsetzung in einigen Mitgliedstaaten sich letztlich als Standortvorteil für “national champions” erweist. An einer Zerfaserung der Kartellrechtslandschaft kann niemand ein Interesse haben. Deutscher MusterschülerFür die rein deutsche Praxis wird sich durch “ECN plus” indessen nicht allzu viel ändern. Das Bundeskartellamt ist bereits heute einer der Musterschüler bei der Kartellbekämpfung. Es kann bei den verhängten Geldbußen durchaus mit der Europäischen Kommission und den US-Behörden mithalten. Wenngleich “ECN plus” nicht zu einer (noch) härteren Gangart der Bonner Verfolger führen dürfte, müssen sich Unternehmen sicherlich auf eine härtere Enforcement-Praxis in einigen anderen Mitgliedstaaten einstellen. Derzeit bestehende “weiße Flecken” auf der europäischen Kartellrechtslandkarte dürften bald weitgehend verschwinden. Dies bedeutet auch, dass verstärkte Compliance-Anstrengungen notwendig werden – vor allem in ausländischen Tochtergesellschaften und Niederlassungen. Das Thema Kartellrecht sollte also im Unternehmen oben auf der Agenda stehen, zumal zurzeit auch die privaten Schadensersatzklagen in der EU erleichtert werden. Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen.—-*) Dr. Ulrich Soltész ist Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel.