EU-Staaten wollen Fluglinien erst bei vier Stunden Verspätung in die Pflicht nehmen
Luftfahrt hadert mit Vorschlag der EU-Staaten für Fluggastrechte
Ministerrat empfiehlt Entschädigung der Passagiere bei vierstündiger Verspätung – Vorbehalte im EU-Parlament – Fluglinien für Ausweitung auf fünf Stunden
fed Frankfurt
Die Mehrheit der EU-Regierungen will die Dauer der Verspätung, ab der Fluggesellschaften ihre Passagiere entschädigen müssen, nach oben setzen. Die Verkehrsminister der 27 EU-Staaten haben sich auf einen gemeinsamen Standpunkt verständigt, der nun dem EU-Parlament vorgelegt wird. Nach dem Willen der nationalen Regierungen sollen Passagiere bei Reisen unter 3500 Kilometer künftig erst nach vier – und nicht wie aktuell bereits nach drei – Stunden Anspruch auf Entschädigung haben. Sie sollen dann pauschal 300 Euro erhalten. Für Flüge über 3500 Kilometer soll die Schwelle bei 6 Stunden liegen, die Entschädigung bei 500 Euro.
Diese Korrektur würde die Zahl der Entschädigungen um einen erheblichen Teil reduzieren und somit die Fluglinien entlasten. Die Interessensgemeinschaft der europäischen Luftfahrtgesellschaften A4E ist mit der Positionierung des Rats trotzdem nicht einverstanden, denn die Fluglinien hätten sich eine stärkere Anpassung gewünscht. „Statt Verspätungsschwellen von fünf und neun Stunden vorzusehen, die bis zu 70% der rettungsfähigen annullierten Flüge retten würden, haben die Mitgliedsstaaten den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission verwässert und noch mehr Komplexität eingeführt“, beklagt die europäische Fluglobby.
Recht auf anderweitige Beförderung
Sie spielt mit dem Hinweis auf zusätzliche Komplexität der Vorgaben unter anderem darauf an, dass die jetzt erzielte Verständigung im Rat zwar den Airlines bei der Entschädigungsschwelle etwas entgegenkommt, ihnen dafür aber an anderer Stelle strengere Pflichten auferlegt. So sieht der Ratskompromiss vor, dass Fluggesellschaften den Fluggästen „zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine anderweitige Beförderung anbieten“ müssen. Das schließe die Möglichkeit ein, auf Flüge anderer Carrier oder alternative Verkehrsmittel umzusteigen, „sofern dies angemessen ist“. In einer Mitteilung des Rats heißt es: „Wenn eine Fluggesellschaft nicht innerhalb von drei Stunden nach einer Unterbrechung eine angemessene anderweitige Beförderung anbietet, können die Fluggäste ihre eigene anderweitige Beförderung organisieren und eine Erstattung von bis zu 400 % des ursprünglichen Flugpreises verlangen.“
Lobby verweist auf Fluggaststudie
Hintergrund des seit Jahren anhängigen Streits über die Fluggastrechte und insbesondere die Länge der Verspätung, ab der Fluglinien Passagiere entschädigen müssen, ist eine Kontroverse über etwaige falsche Anreize. Wenn nämlich, so argumentieren Vertreter der Fluggesellschaften, die Schwelle zu niedrig liege, habe eine Fluglinie keine Motivation mehr, einen Ersatzjet oder eine Ersatzcrew zu organisieren, weil sie es in kurzer Zeit nicht schaffe und dann ohnehin Entschädigung zahlen müsse.
Die deutsche Interessensvertretung der Branche, der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, in dem neben Fraport und dem Flughafen Berlin Brandenburg unter anderem Lufthansa, Condor und TUIfly organisiert sind, erinnert an eine von ihm in Auftrag gegebene Studie. Ihr zufolge würden 73% der befragten Fluggäste bevorzugen würden, noch am selben Tag an ihrem Flugziel anzukommen und dafür in Kauf nehmen, dass ihnen erst nach fünf Stunden Verspätung eine Entschädigung gewährt werde. „Diese Zahlen zeigen nachdrücklich, dass die höheren Schwellenwerte im Sinne der Verbraucher sind", argumentiert BDL-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Schließlich hätten dann die Airlines „die nötige Zeit, im Störungsfall eine angemessene Weiterreise für die Passagiere zu organisieren“.
„Trauerspiel“
Das Urteil des deutschen Verbands über die jüngste Verständigung im Rat fällt ähnlich ernüchternd aus wie die Bewertung der europäischen Interessensvertretung. „Gestern wurde die Chance vertan, bei der dringend notwendigen Revision der Fluggastrechte Verbraucherschutz und betriebliche Realität tatsächlich in Einklang zu bringen,“ meint Lang. Die Revision der Fluggastrechte-Verordnung sei „ein seit Jahren andauerndes Trauerspiel“.
Widerstände im EU-Parlament
Noch ist nichts entschieden. Ganz im Gegenteil: Es zeichnet sich Widerstand gegen die Position der nationalen Regierungen ab. Denn der Standpunkt des Rates wird nun vom Europäischen Parlament in zweiter Lesung geprüft. Das Parlament wird anschließend die Möglichkeit haben, diesen Standpunkt des Rates zu billigen, zu ändern oder abzulehnen. Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberale haben sich bereits für den Verbleib bei drei Stunden Entschädigungsschwelle ausgesprochen. So betont etwa der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber: „Drei Stunden als Richtwert haben sich etabliert und sind ein guter Mittelweg zwischen Interessen der Passagiere und dem operativen Geschäft der Airlines.“ Eine Aufweichung der Regelungen würde den Fluglinien den Anreiz zur Pünktlichkeit nehmen. Das wäre eine klare Verschlechterung, bei der das Parlament nicht mitgehen werde. Eine gegenüber der Ratsposition ablehnende Haltung vertritt übrigens auch die Bundesregierung, die am Donnerstag im Verkehrsministerrat überstimmt worden ist.