Daimler, Siemens, Ericsson, Nokia

Forschende Konzerne warnen vor Patentreform

Die Bundesregierung plant eine Modernisierung des Patentrechts. Ging es zunächst darum, mit einer gesetzlichen Neufassung ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu verankern, reichen die Änderungen inzwischen weiter. Kritiker aus innovationsorientierten Unternehmen befürchten eine Aushöhlung des Patentschutzes und eine Schwächung der Forschung in Deutschland.

Forschende Konzerne warnen vor Patentreform

Von Helmut Kipp, Frankfurt

An diesem Mittwoch befasst sich der Bundestag in erster Lesung mit der Reform des Patentrechts. Das Vorhaben soll das Patent- und andere Gesetze für den gewerblichen Rechtsschutz vereinfachen und modernisieren. Nach der Debatte, für die eine halbe Stunde angesetzt ist, wird das Regelwerk zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. Die zweite und die dritte Lesung sind im März geplant.

Auf Widerspruch stößt der Regierungsentwurf bei Unternehmen, die viel in Forschung und Entwicklung investieren. Die Einschränkungen des Unterlassungsanspruchs bei Patentverletzungen schössen weit über das Ziel hinaus, monieren die Patentexperten Gabriele Mohsler von Ericsson und Beat Weibel von Siemens im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Ausgangspunkt ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2016 zum sogenannten Wärmetauscher-Fall. Damals entschieden die Richter, dass eine Unterlassungsverfügung ausgesetzt werden kann, falls sie eine unbillige Härte darstellt und daher treuwidrig wäre. Das bedeutet: Die Produkte dürfen dann trotz Patentverletzung weiter vertrieben werden. Andere Gerichte haben dieses Grundsatzurteil aber offenbar unzureichend berücksichtigt. Das Justizministerium will nun dafür sorgen, dass Verhältnismäßigkeitserwägungen beim Unterlassungsanspruch in der gerichtlichen Praxis stärker zur Geltung kommen.

Weibel und Mohsler fordern eine Rückkehr zum ersten Diskussionsentwurf, der sich auf die Umsetzung des Wärmetauscher-Urteils be­schränkt habe. Die späteren Entwürfe gingen deutlich darüber hinaus. So könnten die Nachteile nun auch Dritte betreffen, etwa Händler, Distributoren oder Zulieferer. „Das ist ein ziemlich schwammiger Begriff“, erläutert Weibel, Leiter der Siemens-Patentabteilung. Auch sei das Missbrauchskriterium, also der Verstoß gegen Treu und Glauben, herausgefallen. „Sobald also irgendein Dritter einen unverhältnismäßigen Nachteil geltend machen kann, müsste das Patentrecht nicht mehr erfüllt werden“, folgert Weibel. „Das geht aus unserer Sicht zu weit. Denn damit wird das Patentrecht in seinem Kern entwertet.“ Gerade Start-ups und innovative Mittelständler würden benachteiligt. So falle Deutschland im schlechtesten Fall im Patentrecht hinter Frankreich und Großbritannien zurück.

Es geht um viel Geld

Mohsler, beim Telekomausrüster Ericsson für Patententwicklung zuständig, hält es für unnötig, Drittinteressen zu berücksichtigen: „Dafür gibt es in Deutschland das Mittel der Zwangslizenz.“ Insgesamt bevorzugten die Änderungen eine bestimmte Branche – gemeint ist die Autoindustrie – und wirkten langfristig negativ auf den Innovationsstandort Deutschland. Siemens hält 42900 Patente, Ericsson weltweit 54000.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hatte die Änderungen auf den Weg gebracht, weil sie „Klarstellungsbedarf“ bei der Verletzung von Schutzrechten sieht. Künftig sollen Gerichte zunächst prüfen, ob es verhältnismäßig ist, die Unterlassung einer Patentverletzung durchzusetzen. Bisher ist das nach Angaben von Juristen meist unterblieben. Außerdem sollen Verletzungsverfahren vor den Zivilgerichten und Nichtigkeitsprozesse vor dem Patentgericht besser synchronisiert und vertrauliche Informationen in Patentstreitsachen besser geschützt werden.

Die Materie ist komplex und es geht um viel Geld. Das zeigt der Rechtsstreit zwischen dem finnischen Netzwerkausrüster Nokia und Daimler. Strittig ist, wer die Lizenzgebühren für die im Auto verbaute Mobilfunktechnik zahlen muss – der Autohersteller (wie Nokia fordert) oder der Zulieferer des Bauteils (wie Daimler meint). Ein anderer prominenter Streitfall ist Broadcom/VW. Der US-Chip­hersteller soll 1 Mrd. Dollar von Volkswagen verlangt haben, weil in Navigations- und Entertainmentsystemen Patente verletzt würden. Der Streit wurde Medienberichten zufolge in einem für den Autokonzern teuren Vergleich beigelegt.

Zusätzliche Brisanz erhält das Thema durch sogenannte Patenttrolle, die Schutzrechte zusammenkaufen, etwa aus einer Insolvenz, um hohe Lizenzgebühren oder Schadenersatz bei Unternehmen einzuklagen. Bei den Trollen handelt es sich in der Regel um Anwaltskanzleien oder spezielle Investoren meist aus den USA.

Tausende Schutzrechte

Während vor Jahrzehnten meist nur wenige Patente in einem Produkt steckten, haben der technische Fortschritt und die Digitalisierung dazu geführt, dass heute oft Tausende Schutzrechte in einem Erzeugnis genutzt werden. Vor allem in der Kommunikations- und Informationstechnik gibt es eine hohe Patentdichte. Oft stecken die Schutzrechte in Bauteilen, die Dritte zuliefern. Das macht es einem Produzenten, etwa einem Autobauer, zunehmend schwerer, alle Patentfragen im Detail abzuklären. Bei fehlender Genehmigung kann der Inhaber des Schutzrechts auf Unterlassung klagen.

Setzt er sich durch, ist die weitere Nutzung durch den Patentverletzer verboten. Das wiederum kann im Zeitalter der vernetzten Produktion und mehrstufiger Lieferketten gravierende Folgen haben. Denn der drohende Fertigungsstopp hat Rückwirkungen auf Abnehmer, Zulieferer und Arbeitsplätze.

Im Extremfall könnte der Inhaber eines Patents von Mini-Bauteilen bei erfolgreicher Klage ganze Herstellungsketten lahmlegen. Ericsson-Managerin Mohsler hingegen be­schwichtigt: Das Thema werde aufgebauscht. „Der Patentstreit um einen kleinen Chip legt im Allgemeinen keine Produktion still.“ Sie erinnert daran, dass Kläger hohe Sicherheitsleistungen hinterlegen müssten – im Falle Nokia/Daimler hat das Landgericht Mannheim 7 Mrd. Euro aufgerufen. „Es ist nicht unser primäres Interesse, jemanden daran zu hindern, etwas zu produzieren“, sagt Mohsler. „Wir möchten nur den fairen Return on Invest, und eine Klage auf Unterlassung folgt immer erst auf langwierige vorangegangene Verhandlungen, die nicht fruchteten.“ Schließlich seien Investitionen zum Beispiel in 5G teuer und aufwendig.

Mohsler versichert, dass viele innovative Unternehmen ihre Sicht teilten, nicht nur Telekomausrüster, sondern auch Pharma-, Chemie- und Elektrokonzerne sowie die Fraunhofer-Institute. „Aber es gibt auch eine Vielzahl von Gegenmeinungen“, räumt sie ein, beispielsweise aus der Autoindustrie oder von Betreibern von Telekomnetzen. So hat der Verband der Automobilindustrie die Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet.

Appell an Abgeordnete

„Unternehmen und Institute, die selbst innovativ tätig sind, haben ein großes Interesse an einem starken Patentschutz“, sagt Weibel. „Für Unternehmen, die für ihre Innovationen eher auf Partner angewiesen sind oder lediglich als Anwender auftreten, gilt das logischerweise weniger.“

In einem Brandbrief haben sich jetzt neben Siemens und Ericsson weitere Unternehmen sowie Verbände und Forschungseinrichtungen gegen die geplante Patentrechtsreform positioniert. Zu den Unterzeichnern gehören BASF, Bayer, Nokia, Qualcomm, 3M, Panasonic, der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Verband Forschender Arzneimittelhersteller und die Fraunhofer-Gesellschaft. Der VCI bezeichnet die geplante Gesetzesänderung als „äußerst kritisch“. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit drohe zum Regelfall zu werden, was den Innovationsschutz einschränke, heißt es in einer Stellungnahme. Sie müsse auf enge Ausnahmen begrenzt werden. Die Bedenken des Bundesrats müssten ernst genommen werden, appelliert Berthold Welling, VCI-Geschäftsführer Recht und Steuern, an die Bundestagsabgeordneten.

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