Fast Fashion gibt sich in Frankreich nicht geschlagen
Fast Fashion gibt sich in Frankreich nicht geschlagen
Paris will per Gesetz gegen Wegwerfmode vorgehen – Shein & Co. überschwemmen mit Künstlicher Intelligenz jetzt auch das Secondhand-Portal Vinted
Frankreich geht als einer der wichtigsten Modemärkte der Welt am entschiedensten gegen billige Wegwerfmode vor. Als erstes Land in der EU plant es ein Anti-Fast-Fashion-Gesetz, um den Vormarsch chinesischer Plattformen wie Shein und Co zu stoppen und heimische Hersteller zu schützen.
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von Gesche Wüpper, Paris
Eine junge Frau posiert im grün-weiß gestreiftem Sommerkleid vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer, das Gesicht von ihrem Handy verdeckt. „Vintage“ steht unter dem Foto der Verkaufsanzeige, die auf Vinted zu sehen war. Dabei stammt das Kleid in Wahrheit von Shein, wo es auch noch billiger zu haben ist. Dank KI-Fotos und dem Versand direkt vom Großhändler oder Hersteller überschwemmt chinesische Fast Fashion inzwischen das in Frankreich beliebte Secondhand-Portal. Ein Phänomen, das Modeexpertin Audrey Millet als „Textil-Washing“ bezeichnet. Es zeigt ihrer Meinung nach, dass Ultra Fast Fashion nun auch Vinted beherrscht.
Französische Marken in Not
Frankreich hat Shein kürzlich zu einer Geldstrafe von 40 Mill. Euro verurteilt, weil das Unternehmen Kunden mit falschen Rabatten und irreführenden Umweltaussagen getäuscht hat. Um den Siegeszug von chinesischer Wegwerfmode zu bremsen, plant Frankreich jetzt als erstes Land in Europa ein sogenanntes Anti-Fast-Fashion-Gesetz. Es könnte vor Ende des Jahres erlassen werden. Der Senat hat den international beachteten Gesetzentwurf Anfang Juni abgesegnet und die EU Kommission informiert. Sie hat drei Monate Zeit, sich zu dem Entwurf zu äußern.
Danach muss sich eine paritätisch gemischte Parlamentskommis nach der Sommerpause noch auf einen Kompromiss einigen, da der Senat den 2024 von der Nationalversammlung verabschiedeten Entwurf geändert hat. Er richtet sich jetzt nur noch gegen die sogenannte Ultra Fast Fashion, nicht gegen alle super-günstigen Anbieter. Im Visier seien damit Marken, die ihre Kollektionen extrem schnell schnell erneuerten, jedoch nicht traditionelle französische Billigmodehersteller, erklärt die Regierung.
Denn parallel zum Vormarsch von Fast-Fashion-Plattformen wie Shein kämpfen immer mehr französische Modemarken ums Überleben, darunter etliche, die wie Kookaï und Cop.Copine in den 80er und 90er Jahren angesagt waren. Zuletzt mussten Comptoir des Cotonniers, Princesse Tam Tam, Jennyfer und Naf Naf Insolvenzverfahren beantragen. Viele der einstigen In-Marken hätten zu wenig oder zu spät in ihren Internetauftritt investiert, meinen Kenner. Gleichzeitig hätten ihnen Fast-Fashion-Marken wie Zara, Primark und eben Shein mit ihren billigen, schnell wechselnden Kollektionen zugesetzt.

Vor allem die Ultra Fast Fashion überflute Frankreich, meint Sylvie Valente Le Hir von den Republikanern, die Berichterstatterin des Senats für den Gesetzentwurf. Die traditionelle französische Bekleidungsbranche könne nur schwer mit einer solchen Konkurrenz mithalten. Valente Le Hir sieht auch den Einzelhandel gefährdet, „Geschäfte, die unsere Innenstädte attraktiv machen“. Wenn diese dichtmachten, würden die Kunden noch mehr im Internet einkaufen, warnt sie.
Innerhalb eines Jahrzehnts ist die Zahl der in Frankreich jährlich verkauften Kleidungsstücke nach Angaben des Senats um 1 Milliarde auf 3,3 Milliarden gestiegen. Das entspreche mehr als 48 pro Kopf, erklärt er. Die Waren von Shein und Temu machten mittlerweile 22% der von der französischen Post beförderten Pakete aus, erklärte La Poste-Chef Philippe Wahl im November bei einer Anhörung vor dem Senat. Der Anteil dürfte inzwischen noch weiter gestiegen sein, denn 2019 lag er noch unter 5%.
Umsatz verzehnfacht
Der Umsatz von Shein in Frankreich hat sich nach Angaben der Regierung seitdem mit zuletzt 3,8 Mrd. Euro nahezu verzehnfacht. In anderen europäischen Ländern sieht die Entwicklung ähnlich aus. In Deutschland wird der Umsatz Sheins auf 1,5 bis 2 Mrd. Euro geschätzt. Die meisten Nutzerzahlen in Europa hat das Portal des Billigmodespezialisten in Frankreich.
Steigende Müllberge
Im Schnitt stelle Shein jeden Tag 7.200 neue Modelle auf die Plattform, schätzt die Umweltschutzorganisation Amis de la Terre. Der Fast-Fashion-Boom gehe mit einer wahren Explosion von weggeworfener Kleidung einher, beklagt die Obdachlosen-Hilfsorganisation Emmaüs. Oft sei diese so schlechter Qualität, dass sie nicht wiederverwendet und aufgearbeitet werden könne. Weil sie nicht mehr gegen die immer größer werdenden Berge weggeworfener Billigmode ankommt, hat Emmaüs nun in einem Département die Altkleidersammlung eingestellt.

Der französische Gesetzentwurf beabsichtigt deshalb, die Öko-Abgaben für Textilien und Kleidung abhängig von ihrer Nachhaltigkeit zu machen. Für solche mit besonders schlechten Werten sind Strafzahlungen geplant, die von 5 Euro in diesem Jahr bis 2030 auf 10 Euro steigen, aber nicht mehr als 50% des Vorsteuerpreises betragen sollen. Frankreich will zudem für Kleidung und Schuhe bereits im Herbst ein verpflichtendes Umweltlabel namens Ecobalyse einführen. Außerdem ist eine Steuer von 2 bis 4 Euro auf kleine Pakete vorgesehen, die weniger als 2 Kilo wiegen und von Plattformen, die außerhalb der Europäischen Union angesiedelt sind, an Privathaushalte in Frankreich verschickt werden.
Französische Paketsteuer
Die EU-Kommission plant ebenfalls eine Paketabgabe, allerdings erst ab 2028. Sie muss nun auch darüber entscheiden, ob sie eine Ausnahme von der Regel erlaubt, dass Unternehmen aus anderen EU-Ländern nicht diskriminiert werden dürfen. Der Gesetzentwurf sieht nämlich ein Werbeverbot für Artikel und Marken der Ultra Fast Fashion in klassischen Medien und mit Hilfe von Influencern im Netz vor. Infinite Style Ecommerce, die europäische Tochter Sheins, sitzt in Dublin.
Shein wappnet sich seit Monaten gegen den drohenden Gegenwind. „Wir sind kein Fast-Fashion-Unternehmen“, wiederholt Chef Donald Tang bei jedem Interview, bei jedem Besuch in Europa. Sein Unternehmen produziere auf Nachfrage. In Frankreich hat Shein zudem im Frühjahr mit einer großangelegten Werbekampagne versucht, den Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen. „Warum muss Mode ein Luxus sein?“ war auf Anzeigen und Plakaten zu lesen.
Sheins Gegenwehr
In Frankreich hat sich der Fast-Fashion-Anbieter die Dienste von Vivendis Tochter Plead und von Image 7 gesichert, einer der einflussreichsten Kommunikationsagenturen des Landes. Damit nicht genug, denn Shein hat auch massiv in Lobbyarbeit investiert und den früheren Innenminister Christophe Castaner angeheuert sowie den früheren EU-Kommissar Günther Oettinger. Voriges Jahr hat das Unternehmen in Frankreich 200.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben. Ein Jahr zuvor waren es nur 10.000 bis 25.000 Euro.