„Führung funktioniert nicht immer über Basisdemokratie“
„Führung funktioniert nicht immer über Basisdemokratie“
Im Gespräch: Joe Kaeser
„Das funktioniert nicht immer über Basisdemokratie“
Langjähriger Siemens-CEO setzt auf neues Momentum durch Akquisitionen – Nachahmerin General Electric wird an der Börse zum Vorbild
Joe Kaeser sieht sein Erbe gut geordnet. Doch seine Nachfolger an den Spitzen der drei Siemens-Gesellschaften im Dax müssten ihr Strategiekonzept nun auch umsetzen, um an der Börse neuen Schwung zu erzeugen. Das schwierige geschäftliche Umfeld in den Vereinigten Staaten werde dabei zur Herausforderung.
Von Alex Wehnert, New York
Der frühere Siemens-Chef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens Energy, Joe Kaeser, sieht in der Aufspaltung traditioneller Industriekonzerne wie Siemens und General Electric nachhaltige Erfolge. Die frühzeitige Entscheidung, Siemens Energy und Siemens Healthineers vom Mischkonzern abzuspalten, habe erheblichen Mehrwert für die Aktionäre geschaffen, wie Kaeser im Rahmen der Verleihung des „Global Leadership Award“ des American-German Institute an den langjährigen CEO in New York betonte.
Dabei hätte er zu Beginn der Siemens-Transformation wohl keine Mehrheit für seine Aufspaltungspläne gefunden, räumte Kaeser ein. „Das zeigt, dass verantwortungsvolle Führung nicht immer über Basisdemokratie funktioniert“, sagte er. Langfristig richtige Entscheidungen könnten zunächst unpopulär wirken.
GE später, aber konsequenter
Kaeser verwies darauf, dass General Electric unter CEO Larry Culp nach Siemens die gleiche Strategie eingeschlagen habe. „Larry hat seine Strategie vier Jahre nach uns begonnen“, sagte Kaeser. „Aber er hat sie konsequenter und entschlossener umgesetzt. Deshalb liegen Larrys Unternehmen nach Marktkapitalisierung derzeit vor unseren – noch.“

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Die Wertentwicklung spreche aber auch bei den Siemens-Gesellschaften für sich, betonte Kaeser gegenüber der Börsen-Zeitung. Die kombinierte Marktkapitalisierung von Siemens, Siemens Energy und Siemens Healthineers sei von rund 80 Mrd. Dollar vor den Abspaltungen auf inzwischen über 350 Mrd. Dollar gestiegen. Das Strategiekonzept „Vision 2020+“ sei sehr gut aufgegangen und habe bis jetzt getragen, auch wenn der letzte große Schritt der Dekonsolidierung von Healthineers – die mit ihrem Ausblick zuletzt die Börsianer enttäuschte – noch fehle.
Beginn einer Ära
Jetzt müsse die Strategie weiterentwickelt werden, und es müssten die kürzlich getätigten großen Zukäufe von fast 20 Mrd. Dollar darin zur Geltung kommen. „Mit der Akquisition von Altair und Dotmatics beginnt strategisch die ‚Ära Busch‘ – Ziel muss es sein, die neue Siemens AG mit dem industriellen Metaverse auf eine neue Ebene zu führen, um wieder ‚Momentum‘ zu erzeugen“, sagte Kaeser und bezog sich auf seinen Nachfolger an der Vorstandsspitze der AG, Roland Busch.
Zuletzt hatte Morgan Stanley die Aktie der Siemens AG von „Übergewichten“ auf „Equal Weight“ herabgestuft und damit Investoren verunsichert. Die US-Investmentbank prophezeit der Digital-Industries-Sparte von Siemens im ersten Halbjahr 2026 eine enttäuschende Entwicklung und insbesondere Probleme im China-Geschäft. Dort werde es schwierig, die Margen wieder auf historische Niveaus zu heben. Zudem würden die mittelgroßen Akquisitionen, die der Konzern anstelle von Aktienrückkäufen vorantreibe, auf der Kapitalrendite lasten.

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Für die Managementteams kommt es laut Kaeser darauf an, sich nicht vom Lärm von außen ablenken zu lassen. Die CEOs Busch, Christian Bruch (Siemens Energy) und Bernd Montag (Siemens Healthineers) hätten sich als „ausgezeichnete Besetzungen“ erwiesen. Sie seien nun besonders gefragt, um die Gesellschaften durch ein schwieriges wirtschaftspolitisches Umfeld zu navigieren, sagte Kaeser, der bei amerikanischen Investoren als Kenner des deutschen Markts gefragt ist.
Unsicherheit in USA
Der Siemens-Energy-Chairman wertet das steigende Interesse von US-Assetmanagern an Europa zwar als positiv. Andersherum bleibe für Europäer aber schwierig einzuschätzen, welche handelspolitischen Schritte Washington als Nächstes gehe. Bisher sei Siemens Energy vor allem von den US-Zöllen auf Stahlimporte betroffen. Allgemein trübe die Unsicherheit um die Handelspolitik aber anhaltend das Investitionsumfeld deutscher Unternehmen. „Für Siemens Energy sind und bleiben die USA mit ihrem großen Bedarf an moderneren Energielösungen aber langfristig einer der wichtigsten Wachstumsmärkte“, sagte Kaeser.
Mit Blick auf China und kritische Rohstoffe erklärte Kaeser, die öffentliche Debatte über Exportkontrollen und seltene Erden sei falsch fokussiert. „Seltene Erden sind eigentlich gar nicht selten“, sagte Kaeser. „Das Problem ist ihr Abbau und die Verarbeitung.“ China habe die Führungsrolle übernommen, weil das Land diese Materialien effizient fördere und verarbeite – mit geringeren Umweltauflagen. „In Europa können wir das nicht“, führte Kaeser, „aber wir nutzen dennoch die Produkte, die darauf basieren.“
Realitätsnahe Regulierung nötig
Europa riskiere, sich durch Bürokratie selbst zu schwächen. Deutschland und Europa hätten sich in puncto Nachhaltigkeitsregulierung „gegen den globalen Trend“ bewegt. „Europa kann noch so überzeugt sein, in die richtige Richtung zu fahren“, sagte Kaeser, „aber wenn einem dabei hunderte Falschfahrer entgegenkommen, nützt das nichts.“ Dies bedeute nicht, dass Europa jede Verantwortung in Klimafragen von sich weisen solle, doch Nachhaltigkeit müsse mit wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit vereinbar bleiben. Dafür sei eine realitätsnähere Regulierung nötig, die Entwicklungen in anderen Wirtschaftsräumen berücksichtige.
