Investitionskapital

Goldene Zeiten für Private Capital

Private Equity, Venture Capital, Direct Lending: Das abseits der öffentlichen Märkte investierte Vermögensvolumen nimmt global rasant zu. Gleichzeitig schrumpft in Deutschland die Zahl der börsennotierten Firmen.

Goldene Zeiten für Private Capital

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

Den Börsen als klassischen Kapitalzuteilern ist ein ebenbürtiger Konkurrent erwachsen: Der rasante Boom von Investments abseits der Börse („Private Capital“) wird zu einem der wichtigsten Trends in der globalen Vermögensverwaltungsbranche. Die Party ist laut und nicht mehr zu übersehen in dieser ebenso großen wie undurchsichtigen Ecke des Finanzsystems, die so unterschiedliche, nicht börsennotierte und nicht standardisiert gehandelte Vermögenswerte umfasst wie Wagniskapital (Venture Capital), Immobilien, Private Equity (Unternehmensbeteiligungen), Infrastruktur und Direktkredite (Direct Lending). Niedrige Anleiherenditen und ausgereizte Aktienkurse treiben die Investoren in die neuen Investmentfelder. Gleichzeitig können Unternehmensgründer abseits der Börse frisches Eigenkapital unkompliziert und in großen Mengen erhalten, ohne Transparenzvorschriften zu erfüllen oder einen großen Teil ihres Einflusses an Streubesitzaktionäre abzugeben.

Schon fragt die Investmentbank Morgan Stanley in einer großen Studie, wie lange das „goldene Zeitalter der privaten Märkte“ („Golden Age of Private Markets“) wohl noch anhält – angesichts der sich abzeichnenden Zinswende mit einem weniger üppig sprudelnden Geldhahn der Notenbanken – und gibt gleich Entwarnung: Das verwaltete Vermögen, das abseits der öffentlichen Börsen angelegt wird, werde bis 2025 voraussichtlich mit zweistelligen Raten von derzeit 8 Bill. auf 13 Bill. Dollar anwachsen. Allein die Private-Equity-Häuser sammeln 2021 rund 1 Bill. Dollar an Kapitalzusagen („Dry Powder“) und kaufen und verkaufen für einen Betrag in gleicher Größenordnung alte und neue Betei­ligungen.

Im Vergleich dazu sehen die Börsen – trotz des IPO-Booms im laufenden Jahr mit global ebenfalls rund 1 Bill. Dollar an Emissionserlösen – alt aus. Die Zahl der börsennotierten Unternehmen sinkt durch Delistings – manchmal sind es Taking Privates durch Finanzinvestoren – und durch Fusionen stetig. „Alle Zählweisen, einschließlich meiner eigenen, führen zu einem beunruhigenden Ergebnis“, konstatiert Fondsmanager Christoph Frank, dessen Firma pfp Advisory unter anderem Fonds der DWS berät. „Die Zahl der deutschlandweit handelbaren Aktien sinkt seit Jahren.“ Nach Angaben der Weltbank beispielsweise sei die Anzahl aller börsennotierten Unternehmen in Deutschland seit 1995 um über 30% zurückgegangen.

Noch ist die Börse größer

Noch sind die öffentlichen Märkte zwar deutlich größer: Laut Morgan Stanley sind nur 7% des global durch Investmentmanager verwalteten Vermögens von 103 Bill. Dollar abseits der Börsen angelegt. Doch die Wende zeichnet sich ab: Im Vergleich zur schrumpfenden Zahl der Börsennotierungen in Deutschland be­schleunigt sich laut Morgan Stanley das Wachstum der Vermögenswerte abseits der Börsen – von einem Plus von in den vergangenen zehn Jahren im Durchschnitt jährlich 13% auf in den vergangenen drei Jahren jährlich 17%. „Seit Beginn der Pandemie hat sich die Nachfrage der Investoren nach Private Capital erhöht, und die Investmentmanager investieren auch schneller als bisher“, beobachtet Morgan-Stanley-Analyst Michael J. Cyprys. Das führt unter anderem zu immer größeren Private-Equity-Fonds, die in immer schnellerer Folge neu aufgelegt werden. Blackstone ist gerade dabei, rekordhohe 30 Mrd. Dollar für einen einzigen neuen Flaggschiff-Buy-out-Fonds zu sammeln.

Das alles geschieht, obwohl die Unternehmensbewertungen an den privaten Märkte, wo für junge Tech-Firmen oft das 30-Fache des Umsatzes bezahlt wird, schon sehr hoch sind und obwohl sich für 2022 eine Einschränkung der Anleihekäufe durch Notenbanken sowie steigende Anleiherenditen und Zinsen abzeichnen. Befürchtungen, dass die Party für Private Capital im Jahr 2022 enden könnte, hält Morgan Stanley indes für „übertrieben“: „Unser Makroteam erwartet nur einen Anstieg der Renditen zehnjähriger Staatsanleihen auf 1,8% bis Ende 2021 und unsere US-Ökonomen erwarten einen Rückgang der Inflation auf 2,8% im Jahr 2022“, gibt Analyst Cyprys zu bedenken. „Ein Rückgang der Bewertungen an den privaten Märkten bei nachlassendem Wachstum kann gesund sein, aber selbst wenn die Zehnjahresrendite auf 3% klettert, erwarten wir ein zweistelliges Vermögenswachstum für Private Capital in den nächsten fünf Jahren.“ Morgan Stanley nennt fünf Haupttreiber bis 2025 dafür: die Öffnung für Privatanleger durch neue Investmentprodukte (zusätzlich 2,7 Bill. Dollar), mehr Wagniskapital von Finanzinvestoren für Jungunternehmen, Zweitrunden-Beteiligungen – im Fachjargon Secondaries genannt – (800 Mrd. Dollar), Infrastrukturinvestments (Investitionslücke von 15 Bill. Dollar bis 2040) und die neuen Impact-Strategien, die mit geschätzt 650 Mrd. Dollar bis 2025 auf ESG (Umwelt, Soziales, Governance) setzen, um Gutes zu tun.

Tatsächlich ist es schwer, der Prognose von Morgan Stanley zu widersprechen. Selbst wenn die großen Zentralbanken ihre Anleihekäufe zurückfahren und einige vielleicht sogar eine Anhebung der Zinssätze im Jahr 2022 in Erwägung ziehen, ist es schwer vorstellbar, dass dies etwas anderes als eine vorübergehende Dämpfung der Dynamik für Investments abseits der Börsen bewirken könnte.

Rendite in der Nullzinszeit

In einer Welt, in der die Bewertungen an den Aktienmärkten sehr hoch sind und die Anleiherenditen auf absehbare Zeit nahe null zu liegen scheinen, bieten die Privatmärkte den Anlegern zumindest die Hoffnung, dass sie ihre Renditeziele erreichen können. Private-Equity-Häuser verlangen zwar eine Verwaltungsgebühr von oft 1,5% und eine Gewinnbeteiligung (Carried Interest) von oft 20%. Aber auch danach erhalten die Investoren – ausweislich der beim kalifornischen Pensionsfonds Calpers einsehbaren Zahlen (https://www.calpers.ca.gov/page/investments/asset-classes/private-equity/pep-fund-performance)– eine Rendite in der Größenordnung von 8 bis 9%, wenngleich dies von den Zahlen der besonders erfolgreichen Spieler nach oben verzerrt wird. Zumindest hat keines der großen Private-Equity-Häuser wie KKR, Blackstone, CVC oder EQT bisher jemals mit einem der Fonds Geld verloren.

Besorgt über die hohen Bewertungen von Tech-Jungunternehmen, die oft mit dem 30-Fachen des Umsatzes bezahlt werden, sind nur manche Marktteilnehmer. „Wir schauen uns allein in Deutschland jedes Jahr rund 100 junge Wachstumsunternehmen an und investieren nur nach einer gründlichen Due Diligence. Aber ich gebe zu: Man kommt in die Situation, dass man mit dem Markt gehen muss“, sagt Zoé Fabian, Managing Director im Growth-Equity-Team des europäischen Private-Equity-Hauses Eurazeo, das inzwischen insgesamt mehr als 25 Mrd. Euro verwaltet, der Börsen-Zeitung. Auch der US-Finanzinvestor Adams Street Partners erwartet einen fortgesetzt rasanten Aufschwung für Venture Capital in Europa: „Pensionsfonds aus aller Welt investieren in Wagniskapitalbeteiligungen in Europa, weil die Renditen hoch sind. Nur die Europäer selbst halten sich noch zurück“, sagte Ross Morrison, Partner bei Adams Street, die 45 Mrd. Dollar verwaltet, der Börsen-Zeitung.

Mehr Wagniskapital

Die Verfügbarkeit von Kapital hat sich laut Adams Street in jeder Investitionsphase einschließlich der Frühphase, der Wachstumsphase und der Zeit vor dem Börsengang verbessert. „Das war entscheidend dafür, dass europäische Unternehmen eine noch nie da gewesene Größe erreichen konnten“, sagt Morrison. Die Unternehmen bleiben länger in Privatbesitz, was im Allgemeinen zu einer Verlagerung des Wertvolumens von den Börsen auf den privaten Markt führe. Jüngste Zahlen legten nahe, dass sich 60% des geschätzten Gesamtwerts aller europäischen Tech-Firmen im Besitz von Investoren abseits der Börse einschließlich Wagniskapitalgebern befinden.