Heftiges Gefecht um Ölförderung der US-Riesen
Hitziges Gefecht um Ölförderung der US-Riesen
Verfahren zwischen Branchenprimus ExxonMobil und kriselnder Chevron um wegweisendes Milliardenprojekt in Südamerika geht in entscheidende Phase
xaw New York
Amerikas führende Energiekonzerne liefern sich einen zunehmend heißeren Kampf um einen der größten Ölfunde der Moderne. Vor wenigen Tagen hat in London ein Schiedsprozess begonnen, in dem ExxonMobil und Chevron die Zukunft eines Förderprojekts vor der Küste Guyanas klären wollen. Dort hat ein Konsortium im vergangenen Jahr über 600.000 Barrel pro Tag (bpd) produziert, 2025 soll der Output auf 940.000 bpd steigen. Beteiligt sind dabei Exxon, die chinesische CNOOC und die New Yorker Hess – die Chevron für 53 Mrd. Dollar übernehmen will, um Zugang zu ihrem 30-prozentigen Anteil an dem 2015 erschlossenen südamerikanischen Feld zu erhalten.
Aktionäre werden nervöser
ExxonMobil, deren Beteiligung sich auf 45% beläuft, pocht allerdings auf ein Vorkaufsrecht für das Hess-Stück vom Kuchen. Der Branchenführer hat die von Chevron geplante Großakquisition daher trotz Freigabe durch die US-Kartellbehörde FTC erfolgreich hinausgezögert, im August oder September soll es eine Gerichtsentscheidung geben – und die Aktionäre der Nummer zwei des Sektors werden nervöser. Rund um die Hauptversammlungen der US-Majors am Mittwoch war der Guyana-Streit prägendes Thema.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Rogelio V. Solis
Denn große, mit niedrigem Kostenaufwand zu bestellende Ölfelder sind für die Riesen der Branche zunehmend schwieriger zu finden. Gerade für Chevron ist die Entscheidung des Schiedsgerichts zukunftsweisend, da die Hess-Übernahme für den Konzern bei einer Niederlage einen Großteil ihres Werts verliert. Hess besitzt zwar auch große Anteile an der Förderung in der Bakken-Shale-Formation im Bundesstaat North Dakota, die das Projekt in Guyana aber weit in den Schatten stellt. Exxon hofft, dass das Konsortium vor der Küste des südamerikanischen Staats bis 2027 pro Tag 1,3 Millionen Barrel fördern wird und damit mehr als in der gesamten Bakken-Formation.
Probleme in Venezuela
Die Sorgen von Chevron-Aktionären darüber, wo der Konzern über 2030 hinaus noch ein Wachstum der Ölproduktion generieren soll, haben über Jahre stetig zugenommen. Zwar hat der Konzern die Förderung in Kasachstan ausgebaut und eine große neue Bohrplattform im Golf von Mexiko hochgezogen, während er die Kosten durch Entlassungen von bis zu 20% der globalen Belegschaft bis Ende 2026 einzudämmen sucht.
Doch zugleich steht Chevron in Venezuela vor großen Problemen: Die in der Regierungszeit von US-Präsident Joe Biden erteilte Lizenz des Ölriesen zur Förderung in dem durch Hyperinflation und eine humanitären Krise gebeutelten südamerikanischen Land ist ausgelaufen. Washington will Chevron nun eine deutlich enger definierte Erlaubnis ausstellen, durch die der Konzern Schlüsselinfrastruktur in Venezuela zwar aufrechterhalten kann – was das Risiko einer Beschlagnahmung durch Caracas reduziert und es dem Unternehmen erlauben würde, den Betrieb bei einer Annäherung zwischen den beiden Ländern wieder hochzufahren. Doch darf Chevron dann wohl kein Öl aus dem Karibik-Anrainerstaat mehr in die USA importieren.
Attacken von Aktivisten drohen
Für die Nummer zwei des US-Sektors ist der Spielraum für strategische Fehlschläge damit noch bedeutend geschrumpft, abseits des Guyana-Projekts ergeben sich wenig andere Wachstumschancen mit ähnlichem Potenzial. Die dortige Hess-Beteiligung dürfte für Chevron laut Analysten 40 Mrd. Dollar wert sein. Gehe dem Konzern der Deal durch die Lappen, drohten Attacken von aktivistischen Investoren. Zuletzt sind BP und der Raffineriebetreiber Phillips 66 zum Ziel solcher Angriffe geworden.

Das Problem: Verlässliche Total Shareholder Returns der US-Riesen stehen in einem Umfeld, in dem der von US-Präsident Donald Trump losgetretene Handelskrieg Rezessionssorgen weckt, den Preis der US-Leichtölsorte West Texas Intermediate im Frühling erstmals seit vier Jahren unter die Marke von 60 Dollar pro Barrel gedrückt hat und auf den Margen im Raffineriegeschäft lastet, so schwer in Zweifel wie lange nicht. Beide Konzerne mussten bereits im ersten Quartal – bevor Trumps Strafzölle überhaupt in Kraft traten – empfindliche Profitrückgänge verkraften. ExxonMobil übertraf mit einem Überschuss von 1,76 Dollar pro Aktie zwar knapp die Erwartungen der Wall Street, doch lag der Nettogewinn mit 7,71 Mrd. Dollar um 6,6% unter dem Vorjahreswert. Bei Chevron sackte er um 36% auf 3,5 Mrd. Dollar ab und damit noch stärker als von Analysten im Konsens befürchtet.
Buybacks in Zweifel
Die Nummer zwei hat bereits angekündigt, im laufenden Quartal lediglich 2,5 Mrd. bis 3 Mrd. Dollar für den Rückerwerb eigener Dividendenpapiere aufwenden zu wollen. Im ersten Quartal waren es noch 3,9 Mrd. Dollar. Hedgefonds-Vertreter bezeichnen es angesichts des schwer eingetrübten Makro-Umfelds als „unwahrscheinlich“, dass Chevron über das zweite Quartal hinaus an den eigenen Buyback-Zielen festhalten könne.
ExxonMobil führte über Rückkäufe und Dividendenausschüttungen im abgelaufenen Quartal 9,1 Mrd. Dollar an Aktionäre zurück – und liegt nach eigenen Angaben mit seinem bis 2026 laufenden Buyback-Programm im Volumen von 20 Mrd. Dollar pro Jahr auf Kurs. CEO Darren Woods versucht die Sorgen von Investoren im Rahmen der Veröffentlichung zum ersten Quartal Anfang Mai mit besonders nachdrücklichen Worten zu zerstreuen: „In diesem unsicheren Marktumfeld können unsere Anteilseigner Vertrauen aus dem Wissen schöpfen, dass wir für das hier (Makro-Abschwünge, die Redaktion) vorgebaut haben“, betonte der Vorstandschef.
Milliardenlücke voraus
Der Konzern hebt dabei strukturelle Kostenreduktionen im Umfang von 12,7 Mrd. Dollar seit 2019 hervor. Diesen Wert will ExxonMobil bis 2030 auf 18 Mrd. Dollar ausbauen und somit die für Shareholder Returns zur Verfügung stehende Liquidität sichern. Für das Gesamtjahr rechnet der größte westliche Ölförderer mit einem freien Cashflow von 29 Mrd. Dollar. Hält der Konzern tatsächlich an seinen Buyback-Zielen und zugleich an der Dividende fest, würde er 2025 unterdessen nahezu 37 Mrd. Dollar an die Anteilseigner zurückführen. Die Lücke von fast 8 Mrd. Dollar müsste er also aus anderen Quellen schließen – Investoren im Ölsektor reagieren traditionell aber mit Missfallen auf schuldenfinanzierte Aktienrückkäufe.

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Derweil lastet das Schiedsverfahren um das Guyana-Förderprojekt auch auf der Beziehung zwischen den Spitzenkräften des „großen Bruders“ Exxon und der profitschwächeren Chevron. Woods und Chevron-Chef Mike Wirth trafen sich laut Insidern früher zum Abendessen und sprachen locker über ihre Geschäftsinteressen. Doch der Exxon-Chef soll irritiert darüber sein, dass Guyana-Partnerin Hess und die engste Wettbewerberin hinter verschlossenen Türen Absprachen zur Zukunft eines Projekts getroffen haben, dass der Branchenprimus nach dem Ausstieg von Shell im Jahr 2014 maßgeblich entwickelt und durch das Dickicht staatlicher Freigabeprozesse gesteuert hat.
Klimaschützer machen Druck
Während Exxon, Chevron und Hess nach einer Einigung suchen, kritisieren Klimaschützer die anhaltend hohe Aktivität in der Ölförderung. „Im vergangenen Jahr haben Rekordtemperaturen die extremen Wetterbedingungen rund um den Globus verschlimmert und unzählige Leben und Existenzen ruiniert“, betont Alexander Kirk von der Nichtregierungsorganisation Global Witness. Dass mit ExxonMobil und Chevron zwei der größten Erdölunternehmen 2024 zugleich Rekorde oder Beinahe-Rekorde in der Produktion markiert hätten, sei kein Zufall, sondern das Resultat ungehemmter Gier.
Es sei „längst an der Zeit, dass Regierungen die Öl- und Gasmajors zwingen, die Rechnung für den von ihnen verursachten Schaden zu zahlen“, fordert Kirk. So seien robuste und einschneidende Steuern auf die Gewinne der Konzerne und Strafabgaben für Umweltschäden nötig. Auf der Hauptversammlung von Chevron lehnten die Aktionäre sämtliche Anträge mit Bezug zu den Nachhaltigkeitspraktiken des Unternehmens ab.
Die Wachstumsaussichten von Chevron trüben sich nach dem Verlust einer US-Importlizenz für Venezuela bedeutend ein. Umso wichtiger ist es für den Ölriesen geworden, Zugang zu einem Milliarden-Förderprojekt in Guyana zu erhalten. Doch der Rivale ExxonMobil lehnt sich mit aller Kraft dagegen auf.