DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: KLAUS PATZAK

"Ich will Probleme hören"

Der Bilfinger-CFO über die Kontrolle von Großprojekten im Vorstand, seine Einstellung zur Fehlertoleranz und die Vorzüge Mannheims im Vergleich zu München

"Ich will Probleme hören"

– Herr Patzak, wohnen Sie in Mannheim?Ja, ich wohne im Stadtteil Jungbusch.- Im Multi-Kulti-Szeneviertel, in dem überwiegend einkommensschwache Familien leben? Was zieht Sie dort hin?Es ist ein lebendiges Viertel, zentral gelegen, in dem man schön wohnen kann. Da sind viele junge Leute, Studenten, es ist alles sehr gemischt. Und von dort bin ich in fünf Minuten im Büro. Mannheim hat überhaupt viele gute Seiten. Schön ist zum Beispiel, dass viele Geschäfte hier bis 22 Uhr offen haben. Das kenne ich aus München nicht.- Sie waren voriges Jahr noch CFO von Osram und bringen den frischen Blick von außen mit. Was ist Ihnen bei Bilfinger am meisten aufgefallen?Was mich am meisten überrascht hat: Obwohl Bilfinger eine schwere Zeit hinter sich hat, besteht eine gute Kultur im Unternehmen. Die Mannschaft ist stark. Sie hat in den vergangenen Jahren einiges verkraften müssen: Vorstandswechsel, Umsatzrückgänge, Restrukturierungen. Ich hatte gedacht, danach muss man die Mannschaft erst mühsam wieder aufbauen. Aber das war kaum der Fall. Ich habe einen leistungsstarken Kern vorgefunden, der bereit ist voll mitzuziehen.- Was hat Sie negativ überrascht?Wenig. Mir war klar, dass die Themen, die hier aufgelaufen sind, nicht in zwei Quartalen zu bereinigen sind. Es hat einige Zeit gedauert, bis Bilfinger in diese Situation gekommen ist, und es braucht Zeit, bis diese Situation nachhaltig geklärt ist und der Cash-flow wieder anhaltend positiv ist.- Gibt es eingefahrene Verhaltensmuster bei Bilfinger, die schwer abzustellen sind?Was mir aufgefallen ist: Bilfinger hatte kein dezidiertes Produktivitätsprogramm, wie das heute bei Unternehmen üblich ist – also ein Programm, das direkt mit Blick auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnung gezielt Maßnahmen verfolgt. Das führen wir jetzt mit “B Top” ein. Mir fiel auch auf, dass bei den Finanzzahlen die Frequenz der Vorausschau und die Tiefe des Monitorings nicht ausreichend hoch waren.- Genauer, bitte.Der grundsätzliche Blick bei Bilfinger ging aufs Gesamtjahr. Ich denke, bei einem Unternehmen, das in der Restrukturierung steckt, ist es wichtig, den Fokus viel stärker aufs Quartal zu legen und sich auch die Forecast-Veränderung anzusehen, und zwar von Monat zu Monat. Deshalb haben wir bei der Betrachtung der Geschäftszahlen die Frequenz erhöht, und wir gehen auch tiefer.- Wie tief?Wir sehen uns jetzt auch einzelne Projekte genauer an, bis in den Vorstand hinauf.- Das war vorher nicht der Fall?Der Durchdringungsgrad im Projektmanagement war bei Bilfinger im Segment Construction, das inzwischen verkauft wurde, am höchsten. Wegen der fragmentierten Struktur bei Bilfinger wurde diese Praxis aber nicht übertragen auf andere Bereiche, was vielleicht sinnvoll gewesen wäre. Jetzt haben wir das Projektgeschäft in unserem Segment Engineering & Technologies zusammengefasst. Dadurch haben wir die Möglichkeit, neue Prozesse schnell und flächig einzuführen.- Gibt es auch direkte Ergebnisverantwortung für einzelne Projekte im Vorstand?Nein, es gibt keine Ergebnisverantwortung für einzelne Projekte im Vorstand. Aber es gibt große Projekte, die vom CEO genehmigt werden müssen oder sogar vom Gesamtvorstand. Wir haben die Grenzen gesenkt für Projekte, die vom Vorstand genehmigt werden müssen, abhängig von Risikoklassen. Je größer, je anspruchsvoller, je neuer und damit je riskanter das Projekt ist, desto höher die Genehmigungsstufe. Genehmigte Projekte sieht sich der Vorstand bereits früh in der Bearbeitungsphase erneut an – somit sieht man recht schnell, ob ein Projekt in die richtige Richtung läuft und dadurch können wir, wenn nötig, frühzeitig gegensteuern.- Bei Bilfinger soll jetzt eine “Performance-Kultur” etabliert werden. Das kann nichts anderes heißen, als dass es da noch gehörig hapert.Der Begriff muss mit Leben gefüllt werden. Wir verstehen unter Performance-Kultur, dass wir Ziele klar formulieren und quantifizieren, für jede Einheit, für jede Maßnahme. Und, dass es für die Zielerreichung klare Verantwortlichkeiten gibt, einen Hochlaufplan mit Meilensteinen und eine eindeutige Verbindung zu den Geschäftszahlen.- Die Anreizsysteme müssen stimmen. Wie sind Zielerreichung und Vergütung gekoppelt?Wir definieren Ziele mit Verbindung zu den Geschäftszahlen, und dadurch besteht auch automatisch eine Verbindung zu den Incentive-Kennzahlen. Hinzu kommt: Die einzelnen Maßnahmen werden in Meilensteile zerlegt, und wir machen dann einen regelmäßigen Forecast, wann diese Meilensteine erreicht werden. Darüber erreicht man hohe Disziplin. Und man erkennt dabei viel früher als in den Finanzzahlen, wenn etwas nicht so läuft wie geplant.- Und dann rollen Köpfe?Wenn ein Ziel nicht erreicht wird, rollen nicht per se Köpfe. Man kann aber schnell nachsteuern, wenn es erforderlich ist. Und natürlich muss man eine gewisse Fehlertoleranz haben. Wenn ein großer Einsatz da ist und die Dinge sich nicht so entwickeln wie geplant, muss man aus dieser Situation eben lernen.- Wie führen Sie?Ich führe so, dass ich mir erst ein Bild von den Menschen in meinem Team mache. Dann vereinbare ich mit den Mitarbeitern Ziele. Ich gebe einen Rahmen vor und gebe dann die Freiheit, in diesem Rahmen zu arbeiten. Der Anspruch an mich selbst ist, dass ich fachlich in der Lage bin, mit meinem Team fundiert über die Ziele, geeignete Maßnahmen und die Zielerreichung zu diskutieren.- Und wenn Probleme auftreten?Die Atmosphäre muss so sein, dass die Mitarbeiter zu mir kommen, wenn es Probleme gibt. Ich will Probleme hören, weil ich davon überzeugt bin, je mehr man von ihnen weiß, desto schneller findet man eine gemeinsame Lösung. Ich fordere Feedback und konstruktive Kritik von den Mitarbeitern auch aktiv ein.- Inwiefern hat Sie Ihr Karriereweg im prosperierenden Siemens-Konzern mit Stationen bei Infineon und Osram für die Aufgabe bei der kriselnden Bilfinger vorbereitet?Zunächst bin ich davon überzeugt, dass der Begriff “kriselnd” nicht mehr zutreffend ist. Wir befinden uns inzwischen in einer Phase der Stabilisierung. Siemens hat ein breites Portfolio, hohe Internationalität und klare Strukturen und Prozesse. Ich hatte dort, unter anderem als Revisionsleiter und Controller Einblick in das Projekt- und Anlagengeschäft, das für Bilfinger wichtig ist. Bei Osram gab es die Notwendigkeit, Kosten zu senken und gleichzeitig einige Prozesse neu aufzubauen, allerdings nicht nach der Methode “Copy – Paste”. Hier musste man beispielsweise ein Treasury-System etablieren, das zu einem mittelständischen Unternehmen passt.- Was ist davon auf Bilfinger übertragbar?Bilfinger ist extrem fragmentiert, fragmentierter als viele Unternehmen, die ich in der Vergangenheit gesehen habe. Es geht darum, Prozesse aufzubauen, die dazu führen, dass Bilfinger nicht nur die Kosten eines großen Unternehmens hat, sondern dass Bilfinger auch einen Nutzen aus seiner Größe zieht. Bilfinger besteht aus rund 200 Gesellschaften, darunter 100 umsatztragende operative. Bislang arbeiten die einzelnen Einheiten noch sehr unabhängig, also ziehen wir noch nicht genügend Nutzen aus der Größe. Dies können und wollen wir ändern. Deshalb investieren wir im großen Umfang in die Harmonisierung der Prozess- und IT-Landschaft.- Was ist Ihre derzeit wichtigere Aufgabe: Kommunikation mit Aktionären, mit Kunden oder mit Beschäftigten?Hier gibt es kein Entweder-oder. Kommunikation mit Aktionären, aber auch mit Fremdkapitalgebern ist für einen CFO natürlich Kerngeschäft. Wir haben vor kurzem zum Beispiel unsere syndizierten Kredit- und Aval-Linien erfolgreich neu verhandelt. Die Kommunikation mit der eigenen Mannschaft ist mir ebenfalls sehr wichtig, insbesondere zur Frage, wie wir stärker zusammenarbeiten können und wie wir uns zum Beispiel bei den Verwaltungs- und Vertriebskosten und im Projektmanagement verbessern. Und Besuche beim Kunden gehören auch dazu.- Seit Ihrem Amtsantritt am 1. Oktober 2016 kam der Aktienkurs nicht groß vom Fleck. Und Bilfinger ist schon seit Monaten beliebtes Ziel von Leerverkäufern. Jeder Konzern hat die Aktionäre, die er anlockt. Was tun Sie, damit Bilfinger die erwünschten Aktionäre bekommt?Die Aktie hat meines Erachtens einen Boden gefunden, gerade bei relativer Betrachtung, das heißt im Vergleich zu unseren Wettbewerbern.- Aber sie entfacht keine Fantasie.Mir geht es nicht um Fantasie, mir geht es um Umsetzung. Die Strategie Bilfinger 2020 war intern überzeugend und auch marktüberzeugend. Jetzt muss der Umsetzungsplan zur Schaffung der Performancekultur Schritt für Schritt abgearbeitet werden. Die Restrukturierung ist in einer frühen Phase. Mit jedem erfolgreichen Schritt wird die Aktie auch wieder interessanter für einen anderen Kreis von Aktionären. Ich gehe davon aus, dass damit auch nach und nach der Aktienkurs steigt.- Das dauert. Wie sieht es kurzfristig aus?Im ersten Schritt haben wir dem Markt gezeigt, wo wir hinwollen, was wir dem Unternehmen zutrauen. Nach der Stabilisierung werden die Aufbau- und Ausbauphasen folgen. Wir gehen unseren Weg Schritt für Schritt und werden die Meilensteine sukzessive erreichen und abhaken. Ein Teil des Marktes gibt uns dafür bereits einen Vertrauensvorschuss. Mit ersten Umsetzungserfolgen wird die Glaubwürdigkeit des Plans größer, und dann werden wir auch wieder attraktiv für eine größere Zahl von Investoren.- Welche Signale erhalten Sie von Cevian, mit 29,5 % der größte Aktionär von Bilfinger?Der Umsetzungsplan wird unterstützt vom gesamten Aufsichtsrat, und somit auch von Cevian.- Geht es Cevian schnell genug?Cevian ist realistisch. Wir alle wollen so schnell wie möglich die Dinge in die richtige Richtung bewegen. Der Plan bis 2020 hat drei Phasen und wird zu einem nachhaltigen Erfolg führen.- Bilfinger stellt sich mit der Konzentration auf Ingenieur- und Instandhaltungsgeschäft sehr schlank auf. Ist der Konzern als “Pure Play” nicht ein gefundenes Fressen für aggressive Investoren?Wir haben mit Cevian einen stabilen Ankeraktionär und können uns daher darauf fokussieren, unseren Plan abzuarbeiten. Solange das Management die einzelnen Schritte abarbeitet und die Erfolge sich auch realisieren, gibt es wenig, was ein anderer Investor darüber hinaus noch fordern könnte. Die Ausrichtung auf einen “Pure Play” ist ja bereits umgesetzt. Das ist das Schöne an meiner Arbeit hier: Man kann bei Bilfinger viel bewegen, es bedarf keiner “Rocket Science”, man braucht Handwerk und Nachhaltigkeit. Unser Kernthema ist es, das Projektmanagement zu verbessern. Da muss man früh ansetzen, also bereits bei der Entscheidung, ob überhaupt ein Angebot abgegeben werden soll. Wenn Sie da Fehler machen, können Sie das auch nicht in Verwaltung und Vertrieb wegsparen.- Als CFO sind Sie auch der erste Verkäufer der Bilfinger-Aktie. Bitte in zwei Sätzen: Für welche Aktionäre eignet sich das Papier, und wieso sollte man es kaufen?Derzeit ist die Aktie für Investoren interessant, die an die Trendwende glauben und früh an den Erfolgen partizipieren wollen. Vom Turnaround-Kandidaten werden wir dann zum Wachstumsunternehmen mit stabilem Geschäftsmodell, positiven Cash-flows und stabiler Dividende.- Die Aktie notiert nahe ihrem Buchwert. Ist der Buchwert zu hoch oder der Kurs zu niedrig?Der Buchwert ist jedenfalls nicht zu hoch. Wir haben es selbst in der Hand, den Markt zu überzeugen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dann wird sich auch die Aktie bewegen. Aber nicht die Entwicklung des Kurses im nächsten Quartal ist uns wichtig, wir schauen zusammen mit den Eigentümern auf eine nachhaltig positive Entwicklung.- In der Krise ist vor allem Kommunikation wichtig, und ein gedruckter Geschäftsbericht kann dazu ein wichtiges Element sein. Und Kosten dafür von vielleicht 100 000 Euro wären gut investiertes Geld. Wieso haben Sie ihn abgeschafft?Die Welt verändert sich in Richtung Digitalisierung. Ich weiß, es gab Klagen auf der Hauptversammlung. Wir nehmen die Kritik ernst, und deshalb werden wir eine Benchmark-Analyse machen. Möglicherweise kommt eine Art Kompromiss dabei heraus, etwa, dass wir mit der HV-Einladung die Eckdaten an die Aktionäre auf Papier versenden. Aber die Welt ist heute schon digital und wird immer digitaler.- Es gibt Aktionäre, die die Information auf Papier schätzen gelernt haben und ungern darauf verzichten möchten.Wenn ein gedruckter Geschäftsbericht eine Nutzungszeit hat von einigen Stunden und dann nicht mehr weiter verwendet wird, ist das aus meiner Sicht ein suboptimaler Ressourceneinsatz.- Unter dem Strich wird Bilfinger 2017 mit Verlust abschneiden, die Gewinnschwelle ist erst für 2018 im Blick. Welche Gewinnmarge peilen Sie langfristig an?Langfristig peilen wir eine Ebita-Marge von 5 % an.- Und unterm Strich?Für die Nettomarge haben wir bisher kein Ziel formuliert, aber diese wird natürlich unter dem Ebita-Zielwert von 5 % liegen.- Welche zentrale Steuerungsgröße haben Sie noch?Zentrale Bedeutung hat der Return on Capital Employed (Roce), und zwar auf unbereinigter Basis und nach Steuern. Er soll 8 bis 10 % betragen am Ende des Planungszeitraums. Diese unbereinigte Kenngröße ist auch für den Vorstand vergütungsrelevant.- Im Nichtkerngeschäft ist Bilfinger für mehrere Einheiten noch in Gesprächen bezüglich der geplanten Trennung. Wie weit sind Sie?Wir hatten uns vorgenommen, uns bis Mitte nächsten Jahres von 13 Einheiten mit insgesamt rund 150 Mill. Euro Umsatz zu trennen. Fünf davon sind bereits verkauft, bei drei weiteren sind wir mitten im Verhandlungsprozess. Wir wollen bis zum Ende des Jahres einen signifikanten Fortschritt erreicht haben.- Es gab Zeiten bei Bilfinger, da war der Goodwill so hoch wie das Eigenkapital, inzwischen beträgt der Goodwill noch rund die Hälfte der Eigenmittel. Ist das Verhältnis so in Ordnung?Damit kann ich gut leben.- Sehen Sie Abschreibungsbedarf beim Goodwill?Nein.- Das Rating von S & P lautet nur “BB+”.Mit stabilem Ausblick.- Es liegt im Junk-Bereich.Es liegt im Crossover-Bereich.- Wie wichtig ist für Sie ein Investment-Grade-Rating?Ziel ist, dass wir mittelfristig in den Investment Grade zurückkommen. Das Rating ist bei uns ja kein Thema, das mit der Bilanz zu tun hat. Die Eigenkapitalquote ist gut, wir verfügen über Nettoliquidität. Auf dem Rating lastet die unbefriedigende Ergebnissituation der letzten Jahre.- Nordamerika wurde als Hauptwachstumsregion identifiziert. Was haben Sie genau im Blick, und hilft die Politik von US-Präsident Donald Trump dabei oder ist sie eher hinderlich?Wir sind seit fast 40 Jahren in den USA aktiv, aktuell mit rund 3 000 Mitarbeitern. Wir sehen eine gewisse Belebung im Bereich der Petrochemie, der ja auch von dem günstigeren Vormaterial profitiert. Hier wird insbesondere in Texas mehr investiert, daraus ergeben sich auch Chancen für Bilfinger.- Strategische Aufträge, mit denen man den Markteintritt schafft und wieder Geld verliert?Wir werden nur Aufträge reinnehmen, die wir auch abarbeiten können. Jedes Projekt muss sich rechnen, und wir müssen dabei auf die Relation von Risiko und Ertrag achten. Marge im niedrigen einstelligen Bereich und hohe Risikoklasse: Da stimmt die Relation nicht. Solche Geschäfte werden wir nicht machen. Auch nicht in den USA.—-Das Interview führte Daniel Schauber.