Informationspolitik am Pranger
Harsche Worte gab es für Vorstand und Aufsichtsrat von Linde auf der Hauptversammlung. Aktionäre und ihre Vertreter prangerten das Führungschaos in dem Münchner Industriegasekonzern im vergangenen Jahr an. Zudem fühlen sie sich nicht ausreichend über die Pläne für eine Fusion mit Praxair informiert.jh München – Im Mittelpunkt der Kritik der Linde-Aktionäre haben auf der Hauptversammlung die Abgänge im Vorstand im vergangenen Jahr gestanden sowie die Informationspolitik im Zusammenhang mit der geplanten Fusion mit dem US-amerikanischen Konkurrenten Praxair. Winfried Mathes von Deka Investment sprach von einem “Marionettentheater im Vorstand”. Man komme sich vor wie in der Augsburger Puppenkiste. Zudem sei “die Informationspolitik gelinde gesagt eine Katastrophe”.Ingo Speich von Union Investment schloss sich im letzten Punkt der Kritik an. Zudem bemängelte er an den Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Reitzle gerichtet “gravierende Defizite” in der Unternehmensführung. Er vermisse eine klare Rollenteilung zwischen Aufsichtsratschef und Vorstand. “Herr Reitzle, wir haben den Eindruck, Sie sind zusammen mit dem Praxair-Chef, Herrn Angel, die treibende Kraft hinter der Fusion. Aber Sie agieren hochgradig intransparent.” Speich machte zwar deutlich, dass Union Investment die Fusion wolle. “Aber nicht um jeden Preis.” Weder dürfe sie mit großen Zugeständnissen an die Arbeitnehmerseite erkauft werden noch damit, “dass unter hohem Zeitdruck Unternehmensteile verschleudert werden”, um die Kartellauflagen zu erfüllen. “Industrielle Logik”Hendrik Schmidt von der Deutschen Asset Management zeigte sich ebenfalls aufgeschlossen für eine Fusion: “Im Fall von Linde und Praxair ist die industrielle Logik sogar gut erkennbar.” Er plädierte aber dafür, die Hauptversammlung abstimmen zu lassen. “Als oberstes beschlussfassendes Organ der Gesellschaft sehen wir das nicht nur als gerechtfertigt, sondern auch als notwendig an.”Der Vorstand und Reitzle lehnten dies auch auf der Hauptversammlung ab. Der Aufsichtsratsvorsitzende erinnerte daran, dass eine Fusion nur zustande käme, wenn mindestens 75 % des Grundkapitals von Linde das Angebot eines Tausches in Aktien einer gemeinsamen Holding mit Praxair annehmen würden. “Das ist eine höhere Hürde als die Mehrheit auf einer Hauptversammlung”, sagte Reitzle. Dort seien nicht alle Aktien vertreten – am Mittwoch lag die Präsenz bei knapp zwei Drittel des Grundkapitals.Ein Thema der Hauptversammlung war auch der Widerstand der Arbeitnehmerseite von Linde gegen eine Fusion. Reitzle bekräftigte seine Absicht, den Plan mit seinem doppelten Stimmrecht im Aufsichtsrat durchzusetzen, falls die Arbeitnehmerseite dagegen stimmt und es zu einem Patt kommt. Er werde dies vom Meinungsbild in dem Kontrollgremium abhängig machen. “Ich werde mich nach Kräften bemühen, das Zweitstimmrecht nicht nutzen zu müssen”, sagte Reitzle. Aber wenn es unbedingt sein müsse, werde er es tun, da er den Aktionären verpflichtet sei.Bedenken der Arbeitnehmer, in einem gemeinsamen Unternehmen werde knallhartes Renditestreben regieren, versuchte Reitzle zu zerstreuen: “Wir werden nicht plötzlich eine kaltherzige Firma werden.” Mit Blick auf die Mitbestimmung sagte er, dass Linde bezogen auf Umsatz, Zahl der Mitarbeiter und Aktionäre nur noch zu 10 % ein deutsches Unternehmen sei.