Investoren nehmen Nestlé sinkende Verkaufsmenge übel
Anleger nehmen Nestlé sinkende Verkaufsmenge übel
Lebensmittelriese büßt zeitweise 6 Prozent an Marktwert ein – Preiserhöhungen drücken Nachfrage – Umsatz in China rückläufig
md Frankfurt
Der Halbjahresbericht von Nestlé und Aussagen der Konzernführung sind von Investoren überwiegend negativ aufgenommen worden. Der weltgrößte Lebensmittelkonzern schnitt zwar trotz eines Margenrückgangs in der Profitabilität besser ab als erwartet, doch enttäuschte das in den vergangenen Jahren stark in den Marktfokus gerückte Mengenwachstum. Darüber hinaus belastete ein Umsatzrückgang in China.
Fast auf Tief von Februar 2017
Der Kurs der Nestlé-Aktie gab am Donnerstag im Handelsverlauf an der Schweizer Börse um 6% auf 73,08 sfr nach. Das war nur noch knapp über dem 52-Wochen-Tief von 72,82 sfr; würde dieser Kurs unterschritten, wäre es die tiefste Notierung seit Februar 2017. Damit ist die starke Kurserholung seit dem Tief im Januar um rund 25% auf fast 92 sfr im März wieder verpufft. Dabei war der Hauptgrund für die Ablösung des vorigen Konzernchefs, des Deutsch-Amerikaners Mark Schneider (Januar 2017 bis August 2024), die Erwartung gewesen, dass der neue CEO Laurent Freixe den seit Anfang 2022 bestehenden Abwärtstrend in der Kursentwicklung stoppen und in eine anhaltende Aufwärtstendenz verwandeln kann.

Foto: Nestlé
Im späten Handel kostete die Nestlé-Aktie 73,53 sfr (minus 5,4%). Die Marktkapitalisierung sank damit um fast 10 Mrd. auf 186 Mrd. sfr. Einige Analysten filterten aus dem vorgelegten Zahlenwerk zwar ermutigende Signale, doch bei den Investoren überwogen die negativen Eindrücke.
Die im ersten Halbjahr umgesetzten Preiserhöhungen von 2,7 (i.V. 2,0)% glichen die gestiegenen Kosten nicht aus. Unter anderem sind die Einkaufspreise für Rohkaffee und -kakao auf Rekordniveau gestiegen. Bei einem im Vorjahresvergleich um 1,8% auf 44,23 Mrd. sfr (47,38 Mrd. Euro) gesunkenen Umsatz – Grund für den Erlösrückgang sind primär negative Währungseffekte durch den starken Franken – sank das vergleichbare operative Ergebnis um 7,1% auf 7,29 Mrd. sfr; die entsprechende Marge gab auf 16,5 (17,4)% nach. Das war jedoch etwas mehr als Analysten im Schnitt erwartet hatten.
Das bei Nestlé viel beachtete organische Wachstum, bei dem die Rate um Wechselkurseffekte sowie An- und Verkäufe von Unternehmensteilen bereinigt ist, lag im zweiten Quartal bei 3,0% nach 2,8% im ersten Kalenderviertel und damit im Halbjahr bei 2,9 (2,1)%. „Das organische Umsatzwachstum hat sich im Vergleich zum ersten Quartal in den meisten Geschäftsbereichen verbessert“, teilt Nestlé mit.
Wachstum nach Regionen und Verkaufskanälen
Nach Regionen betrachtet betrug das organische Wachstum den Angaben zufolge in den Industrieländern 1,8%, angetrieben von einem Mengenwachstum von 1% sowie Preisanpassungen von 0,8%. In Nordamerika, Nestles wichtigstem Markt mit einem Umsatzanteil von 35%, drückten laut der Mitteilung die Zölle und Unsicherheiten auf den Konsum. In den aufstrebenden Märkten betrug das organische Wachstum 4,5%, hervorgerufen durch Preiserhöhungen von 5,6%, die auf Kosten einer rückläufigen Verkaufsmenge von 1,1% gingen.
Nach Verkaufskanälen betrug das organische Wachstum gemäß Nestlé im Einzelhandel 2,6%. Das Plus in den Außer-Haus-Kanälen habe bei 5,8% gelegen. Der Umsatz im E-Commerce stieg organisch um
12,3% auf 20,2% des Gesamtumsatzes der Gruppe.
Stärkste Preisanhebungen bereits umgesetzt
Zu verdanken war der Anstieg des organischen Wachstums der im abgelaufenen Quartal auf 3,3% forcierten Anhebung der Verkaufspreise (etwa bei „Nespresso“ und „Kitkat“). Die meisten und stärksten Erhöhungen in diesem Jahr seien im ersten Semester erfolgt, sagte Freixe in einer Telefonkonferenz. Das ging jedoch zu Lasten des Volumenwachstums. Dieses spiegele nicht nur die geringere Konsumnachfrage, sondern auch „die kurzfristigen Auswirkungen der Anpassung der Konsumenten und Kunden an die Preiserhöhungen wider“, wie Nestlé einräumt.
Das Mengenwachstum wird von Nestlé als Real Internal Growth (RIG) bezeichnet. Es spiegelt die Volumenveränderung im Umsatz wider, also die Veränderung der verkauften Mengen gewichtet nach dem jeweiligen Preis. Diese Kennzahl ist im zweiten Quartal ins Negative gerutscht (minus 0,4%), dabei hatten viele Investoren hier eine zumindest leicht positive Entwicklung erwartet. Im Halbjahr liegt das RIG mit 0,2 (0,1)% gerade noch über der Nulllinie. Nestlé versucht, mit der Erhöhung der Marketingausgaben gegenzusteuern: Diese seien im ersten Halbjahr auf 8,6 (8,1)% des Umsatzes gestiegen.
Nestlé berichtete zudem von einer Wachstumsschwäche in China. Wie der Konzern mitteilt, habe ein Umsatzrückgang in Greater China das organische Wachstum der Gruppe im zweiten Quartal um 70 Basispunkte und das interne Realwachstum um 40 BP verringert.
Der Ausblick für 2025 wurde bestätigt, „auch mit Berücksichtigung zunehmender Gegenwinde“, wie es in der Mitteilung heißt. Demnach wird mit einer Verbesserung des organischen Wachstums im Vergleich zu 2024 erwartet – „mit einer Steigerung im Jahresverlauf, da wir unsere Wachstumspläne weiter umsetzen“. Im Gegensatz zu früheren Jahren nennt Nestlé aber weder einen Zielwert noch eine Zielspanne.
Bestätigter Ausblick wackelt
Anders bei der zugrunde liegenden operativen Ergebnismarge: Diese werde voraussichtlich bei 16% oder darüber liegen; sie „beinhaltet negative Auswirkungen durch die momentan in Kraft stehenden Zölle und aktuelle Wechselkurse“, betont Nestlé. Aus dem Hinweis auf „zunehmende Gegenwinde“ schlossen einige Analysten, dass das Margenziel auf wackligen Füßen steht.

Foto: Nestlé
Der Reingewinn von Nestlé sank im ersten Halbjahr im Vergleich zur Vorjahreszeit um 10,3% auf 5,07 Mrd. sfr (5,43 Mrd. Euro). Der operative Cashflow fiel auf 6,2 (8,1) Mrd. sfr und der freie Cashflow auf 2,3 (4,0) Mrd. sfr, wie CFO Anna Manz berichtete. Der Rückgang sei in erster Linie auf das niedrigere Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) und Änderungen im Umlaufvermögen zurückzuführen. Die Nettoverschuldung betrug per 30. Juni 60,0 (59,5) Mrd. sfr.
„Auf gutem Weg“ zum Einsparziel 2025
Mit dem Sparprogramm „Fuel for Growth“ sei Nestlé „auf einem guten Weg“, das Ziel von 700 Mill. sfr in diesem Jahr zu erreichen. Im ersten Halbjahr seien mehr als 150 Mill. sfr verbucht und für das zweite weitere 350 Mill. sfr an Einsparungen gesichert worden. Bis Ende 2027 soll die Summe auf 2,5 Mrd. sfr ansteigen. Als Beispiel für die bisher erzielten Einsparungen wird die Ausweitung und Automatisierung der elektronischen Beschaffung genannt. „Die Fuel-for-Growth-Einsparungen kommen zu den laufenden Kosteneinsparungen in Höhe von über 1 Mrd. sfr pro Jahr hinzu, die sich aus bestehenden Initiativen ergeben“, unterstreicht der Konzern.
Nestlé hat viel von ihrem Vertrauen in Investorenkreisen eingebüßt. Der weltgrößte Lebensmittelkonzern lag mit seinem organischen Wachstum und der Profitabilität zwar im Rahmen der Erwartungen, doch enttäuschte zum wiederholten Mal die Entwicklung der Verkaufsmenge. Zudem überraschte die Wachstumsschwäche in China. Der Kurs gab kräftig nach.