Torsten Fues, Better Orange

„Je größer das Unternehmen, desto virtueller“

Unternehmen können inzwischen Aktionärstreffen im reinen Online-Format veranstalten. Das stößt in Konzernen auf hohe Resonanz, viele Anleger wollen dagegen lieber in Präsenz in den Dialog gehen. Torsten Fues vom Dienstleister Better Orange erläutert im Interview das Meinungsbild und die technischen Anforderungen.

„Je größer das Unternehmen, desto virtueller“

Sabine Wadewitz.

Herr Fues, der Trend geht auch mit Abklingen der Pandemie zur virtuellen Hauptversammlung oder trifft man sich wieder in den Messehallen?

Allgemein kann man sagen: Je größer das Unternehmen, desto virtueller. Das liegt mit daran, dass die Einsparpotenziale bei großen Hauptversammlungen massiv sind. Eine Präsenzhauptversammlung mit mehreren Tausend Teilnehmern kostet mit allem Drum und Dran bis zu einem zweistelligen Millionenbetrag. Mit einem virtuellen Format geht es deutlich schlanker, die Einsparungen liegen im bis zu siebenstelligen Bereich. Das ist für einen Dax-Konzern vielleicht nicht kriegsentscheidend, aber für alle Unternehmen sicher eine Überlegung wert.

Man hört aber auch Stimmen, wonach eine virtuelle Hauptversammlung nicht unbedingt kostengünstiger ist als eine Präsenzversammlung. Das technische Equipment gibt es ja nicht zum Nulltarif?

Die Grenze dürfte bei rund 100 teilnehmenden Aktionären liegen. Bei kleineren HVs und gerade bei nichtbörsennotierten Gesellschaften unter dieser Teilnehmerzahl ist die virtuelle HV sicherlich teurer als eine Versammlung in einem kleinen Saal und entsprechendem Catering. Anders sieht es nach unserer Erfahrung aus, wenn ein großer Versammlungssaal gemietet werden muss. Hier haben sich die Preise zuletzt auch deutlich erhöht.

Welcher Motivation folgen die Unternehmen im Abwägen der HV-Optionen?

Umweltaspekte spielen hier eine immer größere Rolle. Im virtuellen Format fallen die Anfahrtswege weg, der ökologische Fußabdruck ist deutlich besser. Zudem ermöglicht man den rein an der Sache interessierten Aktionären die Teilnahme, zum Beispiel ausländischen Investoren, die bei Präsenzhauptversammlungen in der Regel nicht im Saal sind. Sie können aber über Live-Schaltungen an einer virtuellen HV teilnehmen. Die Aktionäre haben hier zudem wesentlich mehr Rechte.

Das ist in der sehr kontrovers geführten Diskussion über das Online-Format aber von Investorenseite ganz anders zu ver­nehmen?

Aktionäre können ausschließlich im virtuellen Format vorab Stellungnahmen einreichen. Darüber hinaus können sie alle in der Präsenz-HV gewährten Rechte wahrnehmen. Es mag manchem Aktionär, der auf einen publikumswirksamen Auftritt aus ist, nicht schmecken, in eine Kamera zu sprechen. Damit sollten die Wortbeiträge jedoch in der virtuellen HV deutlich sachlicher ausfallen. Viele Gesellschaften wünschen sich eine sachorientierte Kommunikation mit ihren Aktionären. Das Online-Format bietet auch die Möglichkeit, mehr relevante Investoren zuzuschalten, denn sie müssen nicht durch die Weltgeschichte reisen. Das macht es den Emittenten einfacher, Interesse an einer HV-Teilnahme zu wecken. Und das sollte auch dabei helfen, Zufallsmehrheiten zu vermeiden.

Wenn also Anträge erst während der Versammlung gestellt werden?

Genau. Viele institutionelle Anleger dürfen zum Beispiel keine Blankovollmacht geben, dass sie etwa gegen alle ad hoc gestellten Anträge stimmen. In der virtuellen HV kann der Emittent mit großen Anlegern telefonisch Kontakt aufnehmen, und diese können dann online über Anträge wie die Abwahl des Versammlungsleiters befinden. Die Ak­tionäre haben ja kein Interesse daran, dass eine HV außer Kontrolle gerät, unabhängig davon, ob der Inhalt eines Antrags aus ihrer Sicht gerechtfertigt ist.

Kann man nicht davon ausgehen, dass große Anleger einen Vertreter in die Präsenz-HV schicken?

Das wäre wünschenswert und ist auch die Fiktion des Gesetzgebers. Die Corporate-Governance-Abteilungen großer Anleger haben aber oft Tausende Hauptversammlungen zu betreuen und können nicht überall Präsenz zeigen. Sie suchen sich Problemfälle und Underperformer heraus. Das ist ein Ressourcenproblem.

Gleichwohl fordern viele Fondsgesellschaften Präsenzformate um Vorstand und Aufsichtsrat direkt mit ihren Anliegen zu konfrontieren. Schafft die virtuelle HV nicht die Option, sich unbeliebte Investoren vom Hals zu halten?

Aktionäre können sich in der virtuellen HV genauso wie in der Präsenzversammlung in Redebeiträgen artikulieren und ihre Fragen stellen. Sie haben in beiden Varianten die Möglichkeit, sich entsprechend zu präsentieren. Das ist auch wichtig. Sie können sich auch im virtuellen Format mehrmals zu Wort melden und nachfragen. Es können auch alle Anträge wie im Präsenzformat gestellt werden. Die Rechte sind gleich, aber der Aufwand für den Aktionär ist im virtuellen Format geringer, er kann sich einfach zuschalten.

Die Antworten könnten aber kürzer ausfallen?

Das Recht auf Antwort ist identisch. Der Aktionär kann wie im Präsenzformat ein Auskunftserzwingungsverfahren einleiten, wenn er die Ausführungen der Verwaltung für unzureichend hält.

Die Zahl der Fragen kann bei vorab eingereichten Fragen aber doch begrenzt werden?

Die wenigsten Unternehmen werden von der Möglichkeit Gebrauch machen, Fragen vorher einreichen zu lassen. Das ist im Gesetz gut gemeint, aber schlecht gemacht. Der Aufwand ist viel zu hoch, und es gibt rechtliche Fallstricke. Die große Mehrheit der Unternehmen wird sich das nicht antun und Fragen und Antworten auf den Tag der Hauptversammlung konzentrieren. Wie bei einer Präsenz-HV kann die Redezeit begrenzt werden, damit die Veranstaltung zeitlich in einem gewissen Rahmen bleibt. Die große Masse der HVs ist ja völlig unkritisch und dauert zwei bis vier Stunden. Es gibt nur ein paar Exoten.

Oft werden technische Risiken gegen die virtuelle HV vorgebracht. Ist das übertriebene Vorsicht?

Es gibt schon aus der Anfangszeit der Pandemie reichlich Erfahrung mit großen online durchgeführten Versammlungen und dem Zuschalten von Teilnehmern für Wortbeiträge. Hier können wir auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen und sehen keine Gefahr von technischen Unsicherheiten. Es bedarf sicher einer gewissen Gewöhnung der Aktionäre im Umgang mit Kommunikationssoftware wie Teams oder Zooms, aber das stellt keine große Hürde dar.

Der virtuelle Wortmeldetisch muss aber technisch stabil sein?

Der virtuelle Wortmeldetisch hat entscheidende Bedeutung. Die für die Technik verantwortlichen Personen nehmen rechtzeitig Kontakt mit den Aktionären auf, die sich für einen Wortbeitrag anmelden, und testen die Verbindung. In vielen Versammlungen treten ja immer wieder die gleichen Redner auf, sie werden schnell wissen, wie es geht. Es ist eine komplexe Live-Software, aber sie hat eine super einfache Oberfläche, also sozusagen kinderleicht beziehungsweise seniorengerecht.

Das Interview führte