Studie

Kapitalbindung in Unternehmen geht zurück

Nach einem stetigen Anstieg in den vergangenen Jahren ist das Working Capital in den Unternehmen der DACH-Region 2021 erstmals wieder gesunken. Die Ursache liegt vor allem in den rückläufigen Beständen der Autobauer − dem Lieferkettenchaos sei Dank. Es bleibt trotzdem noch jede Menge Cash ungenutzt, zeigt eine Studie von Goetzpartners.

Kapitalbindung in Unternehmen geht zurück

kro Frankfurt

Die globalen Lieferkettenprobleme, der verstärkte Fachkräftemangel und andere Nachwirkungen der Corona-Pandemie haben bei den größten börsennotierten Unternehmen in der DACH-Region laut einer Studie nach langer Zeit erstmals wieder zu einem Rückgang des Working Capital geführt. Hatten die 240 untersuchten Firmen ihr operatives Umlaufvermögen im Jahr 2020 noch durchschnittlich 50 Tage lang gebunden, waren es 2021 nur noch 47 Tage, wie aus dem „Working Capital Barometer“ der Unternehmensberatung Goetzpartners hervorgeht.

Grund seien vor allem die rückläufigen Bestandslevel bei den Automobilherstellern, sagt Studienautor Stephan Dellermann im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: „Unternehmen wie BMW, Daimler oder Volkswagen hatten in den vergangenen Jahren viele fertige Autos in ihren Bilanzen stehen. Geht man heutzutage jedoch zum Autohändler, kann man in den seltensten Fällen direkt ein Auto mitnehmen.“ Die Materialknappheit habe in der Branche somit zu einem deutlichen Rückgang des Working Capital geführt. Genauer und in Zahlen ausgedrückt, ging die durchschnittliche Dauer der Kapitalbindung 2021 gegenüber dem Vorjahr in dem Sektor um 10 Tage zurück − so stark wie in keiner anderen Branche.

Eine Entwicklung, die allerdings nicht durchweg als Verbesserung angesehen werden sollte, wie Co-Autor Sebastian Leidig zu bedenken gibt: „Grundsätzlich ist ein niedriges Working Capital ja gut“, sagt er. Denn die dadurch entsprechend höheren liquiden Mittel ließen sich für dringend benötigte Transformationsmaßnahmen oder auch für Übernahmen einsetzen. Der Studie zufolge blieben im vergangenen Jahr über 100 Mrd. Euro an Cash-Potenzial ungenutzt. „Noch besser wäre es allerdings, wenn die Bestände in der Automobilbranche derzeit etwas höher wären, um die Nachfrage, die ja da ist, zu decken und somit Umsätze zu generieren“, so Leidig.

Maschinenbau braucht Zeit

Die Lieferkettenschwierigkeiten stehen dem Aufbau der Bestände allerdings entgegen. Nach Einschätzung von Dellermann wird das auch im nächsten Jahr noch so bleiben. In anderen Branchen, wie zum Beispiel im Maschinenbau mit seinen teils monatelangen Produktionsprozessen, dem weit verzweigten Lieferantennetzwerk und den manchmal großzügigen Bezahlkonditionen für die Industriekunden, sorgen die Engpässe wiederum für eine extrem lange Kapitalbindung. „Einzelne nicht vorhandene Teile, wie Chips, verhindern die Fertigstellung des Produkts“, sagt Dellermann. „Diese halb fertigen Waren kriegen die Unternehmen dann ewig nicht aus ihrer Bilanz raus.“

Auch das zeigt sich in den Zahlen der Studie, die die Working Capital Performance unter anderem nach Unternehmensgröße aufgeschlüsselt hat. Demnach hatten mittelgroße Firmen, die im Maschinenbau mit Abstand am häufigsten vertreten sind, im vergangenen Jahr durchschnittlich 54 Tage gebraucht, um ihre Bestände in Verkäufe umzuwandeln. Die Zahl ist seit fünf Jahren kontinuierlich gestiegen.

Bei Versorgern wird es eng

Noch mal anders sieht die Situation derzeit bei den Versorgern aus. Hier hat die durchschnittliche Dauer der Kapitalbindung in den Unternehmen im vergangenen Jahr mit plus 14 Tagen mit großem Abstand am deutlichsten zugenommen. „In der Branche ist der Energiepreisanstieg der Haupttreiber für die Verschlechterung, also den Aufbau des Working Capital“, erklärt Leidig. Bestes Beispiel für die Notwendigkeit, die Liquidität im Fokus zu haben, sei derzeit Uniper − der größte Gashändler Deutschlands und zugleich der größte hiesige Abnehmer russischen Gases war wegen der massiv gestiegenen Preise zuletzt so stark in Liquiditätsnöte geraten, dass nun ein Rettungspaket im Umfang von bis zu 9 Mrd. Euro sowie ein Einstieg des Bundes verhandelt wird.

„Ich glaube, das wird noch ein spannendes Thema, vor allem wenn dann im Jahr 2023 die gestiegenen Energiepreise auch an die Endkonsumenten herangetragen werden“, sagt Dellermann. „Da wird es den einen oder anderen Forderungsausfall geben.“ Aus seiner Sicht müsse das Thema Working Capital Management daher gerade im Energiesektor in der nächsten Zeit dringend auf der Agenda weiter nach oben rücken. Daneben seien operative Optimierungsprogramme aber auch in allen anderen Branchen vor dem Hintergrund der steigenden Kapitalkosten „extrem wichtig“. „Wir sprechen hier von einem Paradigmenwechsel, bedingt auch durch den Anstieg der Inflation und der Zinsen“, sagt Leidig. „Man hatte in den vergangenen Jahren den Fokus vielleicht nicht so sehr auf dem Cash, sondern eher auf den Kosten und hat entsprechend nicht in dem Ausmaß in die nötige Transparenz investiert, wie man es hätte tun sollen.“

Unternehmen werden aktiv

Hier finde jedoch gerade ein Umdenken statt. Unternehmen würden sich unter anderem wieder verstärkt dem Forderungsmanagement zuwenden und dabei häufiger auf Finanzierungsinstrumente wie zum Beispiel dem Forderungsverkauf zurückgreifen. Auch sei mittlerweile eine größere Offenheit gegenüber digitalen Tools, etwa für die Überwachung des Lieferantennetzwerks oder der Produktionsprozesse zu erkennen, konstatieren die Autoren.

Das sei elementar, werde die Working-Capital-Performance doch an sämtlichen Punkten in der Wertschöpfungskette beeinflusst. „Das Thema betrifft nicht nur den Finanzbereich, sondern alle, also auch den Vertrieb, den Einkauf, die Produktion, den Kundenservice und die Logistik“, sagt Dellermann. „Es müssen alle zusammen aus einer Hand an verschiedenen Optimierungsmöglichkeiten arbeiten. Denn letztlich gilt immer noch: Cash is King.“