E-Commerce

KI-Agenten sollen Potenzial im Online-Handel freisetzen

Salesforce und andere Software-Riesen wollen mit KI-Agenten den E-Commerce umkrempeln. Einige Händler setzen die Technologie bereits ein – doch Analysten fürchten, dass diese nur kurz Mehrwert bieten wird.

KI-Agenten sollen Potenzial im Online-Handel freisetzen

KI-Agenten sollen Potenzial im E-Commerce freisetzen

Händler wollen Kundeninteraktionen über neue Anwendungen reibungsloser gestalten – Zweifel an Erlöspotenzial für Software-Riesen um Salesforce

xaw San Francisco

Leah McGowen-Hare verliert regelmäßig ihr Lieblings-Silberarmband – das dann mysteriöserweise am Handgelenk ihrer Tochter auftaucht. Die Managerin, die bei Salesforce für das Anwendernetzwerk zuständig ist, will dem steten Klau ein Ende setzen und dem Nachwuchs ein eigenes Schmuckstück der Marke Pandora schenken. Nachdem sie ihr Konto bei dem dänischen Anbieter aufgerufen hat, muss sie nicht lange nach einem Armband suchen – sondern kann einfach den Kundenassistenten öffnen.

Personalisierung elementar

Der hat ihre Transaktionen gespeichert und schlägt McGowen-Hare nicht nur ein passendes Geschenk vor. Er kann auch den Kauf für sie abschließen und ihr nahtlos Termine für Reinigungs- oder Reparaturarbeiten buchen. „Der KI-Agent setzt da an, wo die jüngste Konversation mit dem Kunden aufgehört hat“, sagt McGowen-Hare in der Keynote-Präsentation bei der „Dreamforce“, der Kundenkonferenz von Salesforce in San Francisco. Dem Geclicke durch Chatbots, bei denen der Fragesteller in jedem Prozess alle Informationen neu eingeben muss, will der Software-Riese so ein Ende setzen.

So wie die dänische Schmuckmarke Pandora wollen auch andere Retailer die Plattformen von Salesforce nutzen, um das Online-Erlebnis reibungsloser zu gestalten. „Bei unseren Kunden soll der Besuch unserer Webseite in Zukunft das gleiche warme Gefühl auslösen, das sie in unseren Filialen empfinden“, sagt Laura Alber, CEO des Küchengeschirr- und Einrichtungskonglomerats Williams-Sonoma. Ein personalisierter Service sei dabei elementar – und an dieser Stelle kämen die KI-Agenten von Salesforce ins Spiel.

Küchengeräte von Williams-Sonoma in einer New Yorker Filiale.
Küchengeräte von Williams-Sonoma in einer New Yorker Filiale.
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Der Dienstleister kündigte im Rahmen der „Dreamforce“ den globalen Start seiner Plattform „Agentforce 360“ an. Die leistungsfähigere Version der 2024 lancierten „Agentforce“-Anwendung enthält neue Möglichkeiten, KI-Agenten für gezielte automatisierbare Aufgaben per Text und Stimme in natürlicher Sprache zu bauen und zu instruieren.

Grundlegende Veränderung voraus

„Der E-Commerce wird sich grundlegend verändern“, sagt Patrick Heinen, KI-Spezialist bei Salesforce Deutschland. „Für Pandora beispielsweise ist die Online-Präsenz ja auch wichtig, um den physischen Kundenkontakt reibungsloser zu gestalten“, führt der Manager aus und verweist auf die KI-Funktionen, durch die der Schmuckhersteller seinen Kunden die Terminbuchung zu Reparatur- oder Reinigungsarbeiten zu erleichtern sucht. „Schon heute beginnen 90% unserer Kundentransaktionen online, auch wenn wir dort erst 23% der Abschlüsse generieren“, sagt David Walmsley, Chief Digital & Technology Officer bei Pandora, in einer Medienrunde. „Wir sind kein Technologieunternehmen, aber wir müssen Barrieren abbauen, die unsere Kunden heute noch am Kauf hindern“, betont Walmsley.

Für Händler wie Williams-Sonoma sollen KI-Agenten hingegen eine Möglichkeit darstellen, um die Kundenbindung zu stärken. Das für Marken wie West Elm oder Pottery Barn bekannte Konglomerat will die Agenten einsetzen, um seinen Customer Support an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr betreiben zu können, „ohne dabei Abstriche bei der Qualität zu machen“, wie es in einer Salesforce-Mitteilung heißt. Williams-Sonoma geht davon aus, in der Folge 60% der Chat-Anfragen autonom und ohne menschlichen Eingriff lösen zu können. Dies soll Service-Mitarbeitern Raum für komplexere Aufgaben verschaffen.

Digitaler Sous-Chef kocht mit

Neben dem Kundendienst-Agenten baut Williams-Sonoma auf Basis von „Agentforce 360“ auch einen digitalen Sous-Chef namens „Olive“, der Kunden dabei helfen soll, Gerichte und ganze Menüs zu planen und Rezepte umzusetzen. Dafür schreibt der KI-Agent ihnen gleich einen Einkaufszettel für Zutaten und schlägt ihnen hilfreiche Küchenutensilien des kalifornischen Unternehmens vor – nicht nur neue, sondern auch solche, die der Kunde offenbar bereits besitzt, da sie in seiner Transaktionshistorie auftauchen. „Olive“ soll bald in der Lage sein, aus Daten logische Schlüsse zu ziehen und aus dem Kundenverhalten die jeweilige Absicht abzuleiten.

Börsen-Zeitung, ha/iGrafik.de

Mittelgroßen Unternehmen soll die reibungslosere und stärker auf den Nutzer zugeschnittene Shopping-Erfahrung dabei helfen, gegen führende Retailer zu bestehen. Doch auch die suchen ihre Kundenbeziehungen über KI anzukurbeln. So hat Walmart eine Partnerschaft mit OpenAI angekündigt, die es Kunden ermöglichen soll, Produkte direkt in ChatGPT zu kaufen – außer frischen Lebensmitteln soll nahezu alles aus dem Sortiment in dem Textgenerator verfügbar werden.

Retail-Riesen treten aggressiv auf

OpenAI erlaubt Nutzern des Textgenerators bereits, bestimmte von US-Verkäufern auf der Plattform Etsy angebotene Produkte direkt zu erwerben. Zudem will sie in Kürze Händler, die über die E-Commerce-Angebote von Shopify aktiv sind, in ChatGPT aufnehmen. Noch sind über die „Instant Checkout“-Funktion nur Käufe von Einzelartikeln möglich, doch die Expansion des Angebots läuft. Walmart stellt sich nun also besonders aggressiv als Retail-Partner der KI-Pioniere auf und teilt dafür sogar seine Transaktionsdaten mit diesen. Diese stellen eigentlich eine gut gehütete Informationsquelle dar, aus der Walmart Analysen zum Konsumverhalten und der Rezeption bestimmter Produkte ableiten kann.

Salesforce-Manager Heinen sieht damit eine der größten Veränderungen im Online-Handel anrollen. Noch loggten Kunden sich in ihre Accounts bei individuellen Händlern ein, diese Interaktionsebene werde künftig aber häufiger entfallen. „Kunden werden künftig direkt aus ihrem bevorzugten KI-Tool heraus bei verschiedenen Anbietern einkaufen“, sagt Heinen.

Skeptische Investoren

Gerade bei jungen Nutzern sei dieser Trend bereits zu beobachten – und die Zahl der Händler, die ihre Produkte unmittelbar über ChatGPT und ähnliche Anwendungen verfügbar machten, wachse. „Der Bedarf, unternehmensspezifische KI-Agenten für den Kundensupport im E-Commerce zu bauen, verschwindet damit aber nicht“, betont Heinen. Welche Leistung die Anwendungen erbringen müssten, hänge dabei aber vom spezifischen Produktangebot ab.

Investoren zeigen sich indes skeptisch, ob die Agenten-Funktionalitäten für Salesforce zu dem erhofften Nachfragesprung führen werden. Wiewohl CEO Marc Benioff im Rahmen der „Dreamforce“ betont, dass „Agentforce 360“ das am schnellsten wachsende Produkt der Unternehmensgeschichte sei, hat die Ankündigung der Plattform der Aktie nur kurz Auftrieb verliehen.

Bisher zählt der Titel 2025 zu den Tech-Underperformern: Zwischen Jahresbeginn und dem frühen New Yorker Handel am Donnerstag haben Salesforce 23% an Wert verloren, während der Nasdaq 100 um 19% zugelegt hat. Dabei fiel das Minus bei dem Software-Riesen noch größer aus, bevor eine Prognose zu den langfristigen Erlösaussichten am Mittwoch für Schub sorgte. Das Unternehmen geht für das Geschäftsjahr 2030 von einem Umsatz von 60 Mrd. Dollar aus, dies übertraf die Erwartungen der Wall Street.

Adaptionsrate überzeugt nicht

Die Adaptionsrate von „Agentforce“, die in unterschiedlichen Versionen seit rund einem Jahr am Markt ist, überzeugt die Wall Street trotz Benioffs hoch fliegenden Ambitionen aber noch nicht: Das Unternehmen hat insgesamt über 150.000 Kunden, erst rund 8.000 sind bisher auf die neue Plattform umgestiegen.

Stößt mit seinen KI-Ambitionen bei Investoren bisher noch auf verhaltene Resonanz: Salesforce-CEO Marc Benioff.
Stößt mit seinen KI-Ambitionen bei Investoren bisher noch auf verhaltene Resonanz: Salesforce-CEO Marc Benioff.
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jessica Christian

„Diese Rechnung lässt das Potenzial von Slack völlig außen vor“, sagte Benioff am Dienstag vor Medienvertretern, die ihn mit dem schleppenden Start konfrontierten. Die Kalifornier suchen ihr Kommunikationstool im Rahmen ihrer Neuausrichtung aufzuwerten. Der Textgenerator Slackbot soll im Rahmen eines Pilotprojekts stärker zu einem KI-Agenten ausgebaut werden, der seine Nutzer laufend kennenlernt und diesem so nützlichere Rückmeldungen und Anregungen geben kann. Somit und durch eine stärkere Integration anderer Produkte und externer Anwendungen wie ChatGPT soll Slack zum „System werden, in dem Menschen, KI-Agenten, Apps und Daten in Echtzeit miteinander interagieren“.

Neue Disruption voraus

Analysten fürchten indes, dass der Mehrwert ihrer mittels „Agentforce“ aufgemotzten Web-Auftritte für mittelgroße Händler von kurzer Dauer sein wird, da Retail-Riesen wie Walmart und Amazon Innovation noch schneller vorantreiben. Dass Salesforce die propagierten Erlöspotenziale wirklich umsetzen könne, bevor sich Direktinteraktionen von Kunden mit Händlern über ChatGPT durchsetzten, sei jedenfalls nicht gesichert.

Salesforce und andere Software-Riesen wollen mit KI-Agenten den E-Commerce umkrempeln. Einige Händler setzen die Technologie-Anwendungen bereits ein, um den Customer Support zu optimieren und die Kundenbindung zu stärken. Doch Analysten fürchten, dass dies nur auf kurze Dauer Mehrwert bieten wird.