Klöckner setzt auf Digitalisierung und Plattformen
Von Carsten Steevens, HamburgUm gut 40 % hat die Aktie von Europas größtem produzentenunabhängigen Stahlhändler Klöckner & Co seit dem historischen Tiefstand von 4,19 Euro am 22. Juli bis gestern zugelegt. Spekulationen über eine Übernahme des Duisburger SDax-Unternehmens durch Thyssenkrupp sowie über eine Partnerschaft von Klöckner und der Werkstoffhandelssparte des kriselnden Essener Industriekonzerns haben den Börsenwert zwischenzeitlich steigen lassen. Substanzlos scheinen die Gerüchte zumindest in Teilen nicht zu sein. Doch auf eine potenzielle Zusammenarbeit etwa, die den deutlich größten Werkstoffhändler in Europa und Nordamerika entstehen lassen würde, will Vorstandschef Gisbert Rühl nicht näher eingehen, als er sich an diesem Dienstag in Hamburg vor Wirtschaftsvertretern zur Lage und zu den Perspektiven von Klöckner äußert. “Kein Kommentar”, lautet die Auskunft. Umso ausführlicher erläutert er hingegen, warum die Ende Juni 2006 an die Börse gekommene KlöCo-Aktie aus seiner Sicht noch erhebliches “Upside-Potenzial” hat.Dabei ist die Lage für die Stahlindustrie gerade alles andere als günstig. Dass Klöckner im Juli die zweite Gewinnwarnung für das laufende Jahr innerhalb von drei Monaten abgeben musste und nun 2019 ein operatives Ergebnis vor Abschreibungen (Ebitda) und vor wesentlichen Sondereffekten von 140 bis 160 (i. V. 229) Mill. Euro erwartet, hat viel mit Überkapazitäten in der Branche und niedrigen Preisen zu tun.Mit Blick auf Belastungen im Zuge rückläufiger Nachfragen vor allem aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie der Autobranche spricht Rühl ferner von Problemen der Autohersteller, die strukturell und nicht konjunkturell bedingt seien. In letzter Konsequenz müsse man sich – im Zuge des Umbruchs in Richtung Zukunftstechnologien – auf weniger Autos mit einem geringeren Stahlanteil einstellen. Der Klöckner-Vorstandschef geht davon aus, dass die Stahlpreise in Europa inzwischen zwar den Boden durchschritten haben, aber auch nicht schnell wieder steigen werden. Der Konzern erwirtschaftet fast 60 % seiner Erlöse in Europa, etwa 40 % in Nordamerika und einen kleinen Teil in Brasilien. “Stabiles Unternehmen”Eine Dividende für 2019 zieht Rühl in Erwartung eines schlechten Jahresergebnisses in Zweifel – auch wenn das Unternehmen durchfinanziert sei und aufgrund eines seit Jahren positiven Cash-flows Ausschüttungen möglich seien. “Wir sind ein stabiles Unternehmen”, betont der seit November 2009 amtierende, 60 Jahre alte Klöckner-Chef. Er verweist aber auch darauf, dass die Börsenbewertung, die sich im Juli auf etwa 420 Mill. Euro belief, unterhalb des Nettoumlaufvermögens von 1,4 Mrd. Euro abzüglich der Nettofinanzschulden von knapp 700 Mill. Euro liege. Seit 2011 habe man die Stellenzahl um rund 4 000 auf 8 500 verringert, ohne nachhaltige Ergebnisverbesserungen zu erreichen. Daher seien Änderungen des Geschäftsmodells initiiert worden. Von diesen verspricht sich das Unternehmen in den nächsten Jahren Auftrieb – nicht zuletzt beim Aktienkurs.Zu den Ansätzen gehört neben einer stärkeren Ausrichtung auf höherwertige Produkte das Vorantreiben der Digitalisierung. Dafür bildete das Unternehmen 2014 ein Kompetenzzentrum “Klöckner.i” mit Sitz in Berlin, für das inzwischen rund 90 Mitarbeiter tätig sind. Diese konzerninterne Digitaleinheit, die seit Anfang 2019 auch Beratungsdienstleistungen für andere Unternehmen anbietet, soll dazu beitragen, den über digitale Kanäle erwirtschafteten Anteil am Konzernumsatz bis 2022 auf 60 % von aktuell etwa 30 % auszuweiten. Online-Shops werden inzwischen in sechs Ländern betrieben. Intern strebt man in Duisburg eine durchgängige Prozessdigitalisierung an. Mit der Zeit seien positive Ergebniseffekte zu erwarten, so Rühl. In der Stahlindustrie hat sich Klöckner bei der Digitalisierung zum Vorreiter aufgeschwungen – in der Hoffnung auf höhere Marktanteile.Viel verspricht man sich im Konzern zudem von der im Februar 2018 in Europa gestarteten unabhängigen Industrieplattform XOM Materials, über die auch Wettbewerber Produkte verkaufen können. Inzwischen seien, so der Klöckner-Chef, rund 40 Händler mit über 7 000 Produkten sowie über 300 registrierte Kunden auf dieser Plattform für Stahl- und Metallprodukte sowie angrenzende Bereiche in Europa und Nordamerika. Wenn sie sich “hochskalieren” lasse, werde mit den Erlösen auch die Bewertung steigen. Bislang sollen sich die aus fixen und transaktionsabhängigen Gebühren resultierenden Umsätze auf einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag belaufen. XOM-Börsengang möglich In einer ersten kleineren Finanzierungsrunde könnte Klöckner in einigen Wochen einen Anteil von etwa 10 % an Drittinvestoren abgeben. Ziel ist es – wie beim Bundeskartellamt hinterlegt -, mittelfristig die Mehrheit an der Berliner Tochter mit ihren derzeit rund 50 Beschäftigten abzugeben. Langfristig, das lässt Rühl an diesem Tag auch noch durchblicken, sei ein Börsengang denkbar.